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Bis ins Konzentrationslager hinein…

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,A-Ue Versuche, die Sittenlehre und die sittliche Ordnung vom Felsenböden des Glaubens abzuheben und auf dem wehenden Flugsand menschlicher Normen aufzubauen, führen früher oder später einzelne und Gemeinschaften in moralischen Niedergang.“ Ebenda

Das päpstliche, offizielle Promulgationsorgan „Acta Apostoli- cae Sedis“ hatte die Enzyklika in zehn thematische Kapitel gegliedert; Einleitung und Schluß umrahmten sie gewissermaßen. Wenngleich sie eine Abrechnung mit dem Nationalsozialismus darstellt, ist sie keineswegs nur an den deutschen, sondern an den Weltepiskopat adressiert.

Die dogmatischen Aussagen steigern sich bisweilen zu formelhaften Wendungen, die zu ana- thematisierenden Lehräußerungen werden, und münden in die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Irrtümern der nationalsozialistischen Weltanschauung. In den letzten drei Kapiteln wendet sich Pius XI. an die Jugend, an alle Priester und Ordensleute sowie an die Getreuen unter den Laien.

Der nazistischen arischen Mythologie, wie sie vor allem der Chefideologe Alfred Rosenberg propagierte, trat das Rundschreiben entgegen: „Wer in pantheisti- scher Verschwommenheit Gott mit dem Weltall gleichsetzt, Gott in der Welt verweltlicht und die Welt in Gott vergöttlicht, gehört nicht zu den Gottgläubigen. Wer nach angeblich altgermanischvorchristlicher Vorstellung das düstere unpersönliche Schicksal an die Stelle des persönlichen Gottes rückt, leugnet Gottes Weisheit und Vorsehung.“

Breiten Raum nahm die Auseinandersetzung mit dem Kernstück nazistischer Wahnideologie, der Rassenlehre, die später zur furchtbarsten Barbarei ausarten sollte, ein. Der Papst nahm sich kein Blatt vor den Mund: „Wer die Rasse, oder das Volk, oder den Staat, oder die Staatsform, die Träger der Staatsgewalt oder andere Grundwerte menschlicher Gemeinschaftsgestaltung — die innerhalb der irdischen Ordnung einen wesentlichen und eh-

rengebietenden Platz behaupten — aus dieser ihrer irdischen Wertskala herauslöst, sie zur höchsten Norm aller, auch der religiösen Werte macht und sie mit Götzenkult vergöttert, der verkehrt und fälscht die gottgeschaffene und gottbefohlene Ordnung der Dinge.“

Den Personenkult um den Potentaten Hitler, der fast schon zur Vergottung gedieh, jedenfalls den Diktator mit Christus verglich, scheute sich die Enzyklika nicht, entsprechend zu qualifizieren: „Wer in sakrilegischer Verkennung der zwischen Gott und Geschöpf, zwischen dem Gottmenschen und den Menschenkindern klaffenden Wesensunterschiede irgendeinen Sterblichen, und wäre es der Größte aller Zeiten, neben Christus zu stellen wagt, oder gar über Ihn und gegen Ihn, der muß sich sagen lassen, daß er ein Wahnprophet ist.“

Die Praktiken von Parteiorganen, die bereits bis zur Verfolgung pflichtbewußter Priester reichten, wurden vor aller Welt mit direkter Verwendung des Terminus „Konzentrationslager“ angeprangert: „Mit verhüllten und sichtbaren Zwangsmaßnahmen, Einschüchterungen, Inaussichtstellung wirtschaftlicher, beruflicher …und sonstiger Nachteile wird die Glaubenstreue der Katholiken und insbesondere gewisser Klassen katholischer Beamter unter einen Druck gesetzt, der ebenso rechtswidrig wie menschlich unwürdig ist…Druckerpresse und Radio überschütten euch Tag für Tag mit Erzeugnissen glaubens- und kirchenfeindlichen Inhalts und greifen rück- sichts- und ehrfurchtslos an, was euch hehr und heilig sein muß

All denen, die ihren Bischöfen die bei der Weihe versprochene Treue gehalten, all denen, die wegen Ausübung ihrer Hirtenpflicht Leid und Verfolgung tragen mußten und müssen, folgt — für manche bis in die Kerkerzelle und das Konzentrationslager hinein — der Dank und die Anerkennung des Vaters der Christenheit.“

Der Kenner der Kirchengeschichte, Papst Pius XI., ließ aus tiefem Glauben und Gottvertrauen „Mit brennender Sorge“ positiv und optimistisch ausklingen: „Dann wird der Tag kommen, wo « anstelle verfrühter Siegeslieder der Christusfeinde…das Te Deum der Befreiung zum Himmel steigen darf…“

Der Schock, den Hitler und sein Regime mit dieser öffentlichen päpstlichen Zurechtweisung erlebte, führte nicht zur Einstellung des Kirchenkampfes, im Gegenteil, die Sittlichkeitsprozesse gegen Priester und Ordensleute, die nun anrollten und den Klerus dem Kirchenvolk entfremden sollten, heizten ihn damit vermehrt an. Die Austritte aus der katholischen Kirche schnellten von 46.000 im Jahre 1936 auf 108.000 im Enzyklika-Jahr 1937.

Der allzufrüh verstorbene profunde Kenner dieser ganzen Materie, P. Ludwig Volk SJ, resümierte: „Wichtiger als die Argumente für und wider ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß das Nachbeben auf die Enzyklika im Gefüge des Episkopates Risse verursacht hatte, die die Einheit gefährdeten und nicht mehr zu kitten waren.“ Liegt in dieser Bilanz eine wesentliche Ursache für den gegen Papst Pius XII. immer wieder vorgebrachten Vorwurf des Schweigens?

Rückschauend kann über diese Enzyklika, dieses Ruhmesblatt des Heiligen Stuhles, dem niemand etwas Vergleichbares zur Seite stellen vermochte, nicht treffender geurteilt werden, als es Ludwig Volk getan hat: „Das Rundschreiben hatte …Widerstandsmoral und Durchhaltewil- len nicht nur äußerlich und vorübergehend repariert, sondern auf ein tieferes und festeres Fundament gestellt.“

Der Autor ist Leiter der Abteilung für Theologiegeschichte und kirchliche Zeitgeschichte an der Karl-Franzens-Universität in Graz.

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