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Bischöfe im Zeitenwandel

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Ich stehe mit ihm in fast allgegenwärtiger gedanklicher Verbindung: mit Kardinal Theodor Innitzer. Manchmal erlebe ich im Traum den Sturm au? sein Palais mit. Dann gibt es Lebenssituationen, in denen ich plötzlich eine schützende Hand über mich gehalten fühle. Es ist die Hand dessen, mit dem ich in dieser beschriebenen Verbindung stehe. Kardinal Innitžer danke ich es auch, daß mir der Grazer Kirchenhistoriker Liebmann immer wieder Publikationen zuschickt.

Prof. Maximilian Liebmanns Geschichtsdarstellungen vermag man nur dann mit vollem Gewinn zu folgen, wenn man sich nicht bloß vom Strom des spannend Erzählten mitreißen läßt, sondern auch in das Nonpareilledickicht der Fußnoten hinabtaucht. An einer solchen in seiner Publikation „Der Hl. Stuhl und der Anschluß Österreichs 1938“ blieb ich unlängst hängen. Es geschah ausgerechnet an »jenem Tag, da die Nachricht von der endgültigen Verabschiedung des gewaltigen Friedensdokuments der amerikanischen Bischöfe Hoffnung und Freude erweckte.

Die Fußnote, die für mich zur Fußangel einer schlaflosen Nacht wurde, läßt klarer als jeder Kommentar erkennen, was die Bischöfe der USA für die Menschheit getan haben, indem sie sich von keiner Seite bestimmen ließen, ihre Worte für den Frieden und gegen den Krieg und seine unselige Mutter, die Rüstung, abzuschwächen.

Liebmann zitiert eine Tagebucheintragung des Salzburger Fürsterzbischofs Sigismund Waitz vom 1. April 1938: „Besuch von Berlin. Nuntius Orsenigo. Lange mit ihm gesprochen. Spanien geht gut vorwärts. Ein Gedanke und ein Wunsch: daß Spanien, Deutschland und Japan zusam men die Herrschaft in Rußland zerstören.“

Ein ungeheuerliches Wort! Ein Kriegs wort, ein Kreuzzugs wort! Ein „Antikomminternpakt“ im Gedanken: ausgeheckt im Erzbischöflichen Palais zu Salzburg, das schon in den ersten Stunden nach dem Anschluß von nationalsozialistischen Horden gestürmt worden war.

Mir läßt die Fußnote keine Ruhe. Wer war jener Waitz? Ein konservativer, patriotischer, im Mon-

archismus verhafteter Kirchenfürst. Aber wer war der Nuntius Orsenigo?

Liebmann führt Beweise dafür an, daß Orsenigo Kardinal Innitzer am Morgen des 12. März 1938 überraschend aufgesucht und ihm den Auftrag Roms überbracht hat, Hitler seine Aufwartung zu machen. Orsenigo scheint ein Mann jener vatikanischen Politik gewesen zu sein, die Pater Leiber, Sekretär von Pius XII, mit seiner Mitteilung erhellte, daß der Papst den russischen Bolschewismus immer für gefährlicher gehalten habe als den Nationalsozialismus.

Die Fußnote beschäftigt mich weiter. Ich hole mir Bücher hervor, die sich mit dem Problem Kirche und Nationalsozialismus beschäftigen. Durch die Lektüre nimmt das Bild Orsenigos immer mehr Gestalt an: Da schreibt ein amerikanischer Autor (George N. Shuster) 1935, daß der Nuntius über die Machtergreifung Hitlers „offen frohlockt“ habe.

Als Oberst Gerstein dem Nuntius Dokumente über die Vergasung von Juden zur Weiterleitung an den Vatikan überbringen wollte, wurde er abgewiesen. Ernst Woermann vom Außenamt notiert am 15. Oktober 1942, daß Orsenigo wegen der Judenvernichtung „mit einiger Verlegenheit und ohne Nachdruck“ vorstellig geworden sei. Auf einen Hinweis von Botschafter Weizsäcker, daß sich der Vatikan in diesen Dingen bisher „sehr klug“ verhalten habe, meinte Orsenigo, „daß er das Thema nicht eigentlich angeschnitten habe und dies auch in Zukunft nicht zu tun gedenke“.

Orsenigo brachte auch die historische Begegnung zwischen Kardinal Faulhaber und Hitler 1933 zustande, bei der beide ihre Übereinstimmung im Kampf gegen den Bolschewismus feststellten. Faulhaber schrieb noch im Oktober 1942 (!) an das Kirchenministerium: „Niemand kann in seinem Inneren einen unglücklichen Ausgang des Krieges wünschen.“ ‘

Noch ein deutsches Bischofs- Wort läßt mir den Schauer über die Seele laufen. Da schrieb der Paderborner Erzbischof Jäger 1942 in einem Hirtenbrief von „slawischen Untermenschen“ und Rußland, „dessen Menschen durch ihre Gottfeindlichkeit fast zu Tieren entartet sind“.

Solche Worte sind niemals aus der Hirtenfeder oder von den Hirtenlippen österreichischer Bischöfe, schon gar nicht des guten Kardinals Innitzer, geflossen. Ich denke es und spreche. es beim Frühstück nach der durchwachten Nacht aus. Da höre ich ein zartes Leuten aus dem Salon. Die alte Biedermeieruhr fing plötzlich zu gehen und zu schlagen an. — Sie war schon vor etlichen Tagen stehengeblieben und ich fand keine Gelegenheit, sie aufzuziehen.

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