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Bischof einer Zeitenwende
Von schmaler Physis, von mancher Krankheit heimgesucht, von nicht wenigen Enttäuschungen getroffen, hat sich Paulus Rusch seit über vier Jahrzehnten tagaus, tagein, wie man so leicht sagt, im Weinberg des Herrn abgerackert.
Über dem Beginn seiner oberhirtli- chen Tätigkeit ab Oktober 1938 stand das Fanal des Nationalsozialismus, gefolgt vom mörderischen Zweiten Weltkrieg.
Es bleibt das geschichtliche Verdienst von Bischof Rusch, daß er, obwohl von den nationalsozialistischen Machthabern weitgehend ignoriert, dennoch die geistlich-geistige Einheit gegenüber einer mit dem Staatsapparat aufs engste verbundenen Häresie trotz stärksten Drucks bewahren konnte.
Mehr noch: In jenen schweren Jahren hatten sich auch in der Apostolischen Administratur Innsbruck-Feldkirch unter Führung von Bischof Rusch die Kräfte einer grundlegenden Erneuerung, Priester wie Laien, „unterirdisch“ verständigt und formiert.
1945 stand Rusch für den kirchlichen Wiederaufbau eine Reihe in der Verfolgungszeit bewährter Priester- und Laienmitarbeiter zur Verfügung. Wieder war es das unbestreitbare Verdienst des Bischofs, daß er in der fast pfingstlichen Aufbruchstimmung der Nachkriegsjahre alle Persönlichkeiten und Bewegungen, welche echt Neues verhießen, inspirierte, ermunterte, unterstützte und in einem groß gesehenen Konzept zusammenführte, obwohl erst 1964 Innsbruck gleichzeitig mit Feldkirch zu einer eigenen Diözese erhoben wurde.
Folgende Schwerpunkte einer vorkonziliaren Kirchenreform hatte sich dieser Bischof damals gesetzt: Auf- und Ausbau einer unmittelbar in der Kirche beheimateten Jugendorganisation mit einer davon deutlich abgehobenen Katholischen Arbeiterjugend; Ausfaltung der Katholischen Aktion in eine Katholische Männer-, eine Katholisch Frauen- und eine Katholische Arbeiterbewegung.
Besonderes Augenmerk wandte Bischof Rusch der Katholischen Hoch Schuljugend zu. Im weiteren Umkreis der Katholischen Aktion entstanden
spezielle „Arbeitsgemeinschaften“ und „Werke“ wie das Katholische Bildungswerk Tirol.
Zweierlei war für die damalige Haltung ünd Arbeitsweise des Bischofs bezeichnend: die von großem Vertrauen getragene Einladung an die Laien, sich unter der Führung von ihm berufener Geistlicher Assistenten in gleicher Weise für die Kirche wie für die „Wie- derverchristlichung“ der Welt zu engagieren.
Sozialreform aus christlicher Wurzel als Antwort auf die Herausforderung des marxistischen Sozialismus war der zweite Schwerpunkt im Denken und Handeln von Bischof Rusch. Gerade weil ihm die allseitige Durchdringung auch des politischen Raumes mit christlichen Wertvorstellungen und Zielrichtungen ein besonderes Anliegen war, ging er gegenüber allen bestehenden Parteien auf je graduelle Distanz.
Die Bedrängnis der Kirche unter Hitler und dem Nationalsozialismus hatte Bischof Rusch und seine Mitarbeiter darüber belehrt, daß weder die Brauchtumskirche josephinischer Prägung nochdertraditionelleHerz-Jesu-Patrio- tismus der Tiroler ausreichten, um einer militanten Weltanschauung auf die Dauer erfolgreich widerstehen zu können. Diese Reform hatte beim Priester zu beginnen.
Die Verwirklichung eines geschichtsrichtigen Bildes vom Priester war das dritte Anliegen des Bischofs. Ähnlich wie die heute tragende Laienschicht aus den Reihen der damaligen Katholischen Jugend stammt, ist auch die heutige Priesterschaft in der Diözese Innsbruck im neuen Priesterseminar geprägt worden.
Ein um den Seelsorger gescharter Kreis von Laien, womöglich aus der örtlichen Katholischen Aktion, sollte werbend ausstrahlen nicht nur auf die übrigen bekennenden Christen, sondern auch auf die „Auswahlchristen“ und „Sympathisanten“.
Ausdruck dieser Tendenz, vor allem die Pfarre wieder zu einem missionarischen Zentrum zu gestalten, waren auch die vielen Neubauten und Restaurierungen von Kirchen und Pfarrzentren, aber auch die Errichtung von Bildungsheimen und Bildungswerken.
Das Bild des „Vorstehers“ der Diözese Innsbruck wäre aber unvollständig, wenn nicht auch noch auf ein anderes Feld christlicher Bewährung hingewiesen würde, auf die Caritas. Sie war großgeschrieben in den Notzeiten, nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges, sie blieb es bis zum heutigen Tag.
Mit all diesen Perspektiven und Unternehmungen, denen noch viele^,kleinere“ zuzuzählen wären, war unzweifelhaft ein Teil des Zweiten Vatikanums bereits vorweggenommen, wenn auch - dies darf nicht verschwiegen werden - weder der ganze Klerus noch die gesamte aktive Laienschaft dem Reformeifer dieses Bischofs immer zu folgen vermochte.
Zu Beginn der sechziger Jahre begann auch in unserer Diözese der Impuls der Erneuerung nach innen und nach außen allmählich zu erlahmen. Es war nicht nur der Strukturwandel Österreichs von einer vorwiegend bäuerlich-gewerblichen zu einer modernen Industrienation und der ihr zugeordneten Leistungs- und Konsumge- sellschaft-in Tirol besonders erwies sich der Massentourismus als eine revolutionierende Kraft -, sondern ebensosehr der Umschlag des Zeitgeistes in eine zweite Aufklärung, welche unsere heutige weltanschaulich pluralistische (praktisch: agnostizistische und permissive) Gesellschaft hervorbrachte.
Die Symptome dieser jüngsten und vielleicht schwersten Prüfung der Kirche waren in ganz Österreich so eindrücklich, daß darüber die hoffnungsvollen Anzeichen der gleichzeitig weitergehenden Erneuerung derselben Kirche allmählich in den Hintergrund traten.
Vielleicht haben wir alle, Priester wie Laien, uns vorzuwerfen, daß spätestens Ende der fünfziger Jahre unsere Diagnosen des Zeitalters nicht mehr der heraufziehenden Wirklichkeit entsprechen, und daß wir es vor allem an dem notwendigen Heroismus fehlen ließen. Den Bischof für diese Krise verantwortlich zu machen, wäre das letzte.
Bald nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil mußten die Wacheren unter den Katholiken erkennen, daß auch die neue Sprache einer zur Welt von heute sich öffnenden Kirche nur bei ei
nem Teil der Zeitgenossen Widerhall fand, ja daß selbst die christlichen Brüder in den anderen Kirchen der Einladung zum Gespräch in Richtung auf die je größere Kirche nur zögernd folgten. Die große Umkehr blieb zunächst aus.
Ungeachtet dieser veränderten Lage der Kirche berief Bischof Rusch 1971 eine Diözesansynode ein, um die Einsichten und Wegweisungen des Konzils auch in unserem Kirchengebiet zu verwirklichen. Dies geschah bereits zu eifern Zeitpunkt, als eine in vielem unge- echte Kritik an der Kirche sich unter der jungen Generation breitmachte, als
der Kirchenaustritt gesellschaftsfähig wurde, als nicht wenige Priester von heute auf morgen ihr Amt niederlegten und ganze Gruppen von Katholiken gegen ihren Bischof aufstanden, und unter den vielen Katholiken, die dennoch zu dieser Kirche hielten, Spannungen und Parteiungen auftraten.
Diese Krise drückte sich auch in den Versuchen so mancher Theologen aus, gerade in einer Zeit des Umbruchs die Grenzen, die einem theologischen Pluralismus innerhalb der Kirche vom Lehramt nun einmal gezogen werden müssen, immer wieder zu überschreiten.
In solch einer verwirrten und verwirrenden geistigen Situation muß ein Bischof, sofern er seinen Auftrag ernst nimmt, von Fall zu Fall „Nein! So nicht!“ sagen. Dieses bittere Geschäft blieb in diesen unruhigen Jahren auch unserem Bischof nicht erspart.
Er sah sich damit Mißdeutungen seiner Haltung ausgesetzt, gegen die er sich nur selten wehren konnte.
Gewiß, auch ein Bischof macht Fehler, nicht zuletzt, wenn er von Beratern einseitig oder falsch informiert wird; aber die große, in die Zukunft der Kirche weisende Linie hat Bischof Rusch immer durchgehalten.
Vielleicht hat er sich in seinem Denken und Sprechen nicht immer auf den zeitgenössischen Dialekt umzustellen vermocht. An prophetischem Mut hingegen hat er es nie fehlen lassen.
Der Autor ist Leiter des Bildungswerkes der Diözese Innsbruck.
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