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Bitte: ein Schranz-Wirbel war genug!

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Tfll rnejne> da^ w“r al*e eigent-lieh erwachsen genug sind, um Schein von Schein zu unterscheiden. Und ernst genug, um aus Spielen nicht Spielerei werden zu lassen.

Ich meine die Olympischen Spiele.

Schon jetzt, drei Wochen vor dem Beginn, geht in diesem rotweiß-roten Land die Welt unter, wenn auch nur eines der Medaillenverdächtigen Asse Bauchweh hat oder sich die Schulter verrenkt. Gesetzt den Fall: wir gewinnen nichts, keine einzige Medaille, — sind wir dann schlechtere Gastgeber?

Tatsächlich, dieser Pseudo-paWiotismus geht mir schon jetzt gewaltig auf die Nerven. Er ist nämlich nichts anderes als Chauvinismus — der aus nichts anderem entspringt als aus einem gestörten Selbstbewußtsein der Österreicher. Ist es nicht so, daß wir wie kaum ein anderes Land Sportsiege als Ersatzsiege, die wir anderswo nicht erringen, feiern? Ist es nicht so, daß das Getue rund um die Sportgrößen uns immer mehr den Blick verstellt für die eigentlichen Größen in diesem Land?

Nach den Katastrophen von 1918 und 1938 hat der Österreicher eben einen recht unterentwickelten Bewußtseinspegel für die Äußerungen eines wirklich gewachsenen und ehrlichen Patriotismus. In der Schweiz ist das Bekenntnis zum Staat, zum Volk, zur Nation ein selbstverständliches Lebensgefühl. Und es äußert sich in der Wehrbereitschaft, auch in der Bereitschaft zum materiellen Opfer, in einem ausgeprägten Interesse zur Übernahme öffentlicher Funktionen — und vor allem in einer selbstbewußten Zivilcourage.

Hierzulande duckmäusert man und empfindet sich im Staat doch nach wie vor in einem Untertanenverhältnis, das sich dann in gehorchender Unterwürfigkeit oder in institutionalisierter Drückebergerei manifestiert.

In der Schweiz geht die Welt nicht unter, wenn Bernhard Russi nicht gewinnt. Und das kann man auch in den eidgenössischen Gazetten bestätigt finden. Aber hierzulande manipuliert ein findiger Sportboulevard ein pseudonationales Fieber, das dann letal wirkt, wenn vielleicht wirklich einmal die Erfolge ausbleiben.

Nein, ich möchte 1976 keinen Schranz-Wirbel mehr erleben. Audi keinen Siegesrummel ähnlicher Kategorie, sollten wir sogar alle Goldmedaillen im Skifahren gewinnen.

Damals, als Karl Schranz in Japan nicht starten durfte, haben wir ja der Welt ein beschämendes Beispiel aufgeheizter und morbider chauvinistischer Agitation geliefert. Als miserable Patrioten — und Sportler; denn man muß verlieren können, man muß sogar verschmerzen können, nicht starten-zu dürfen.

Nun, 1976 droht uns kein Avery Brundage mehr. Gott sei Dank.

Dafür aber eine Welle der Selbstbetäubung, die schon damit beginnt, daß wir einer Zeit totaler Olympiadis entgegengehen — durchaus eine neue Krankheit, die man freilich nur kollektiv diagnostizieren kann.

Sieht man sich die Zeitpläne des Februars an, dann gibt es in diesen Wochen keine Politik (die Politiker sind selbstverständlich in Innsbruck vor den TV-Kameras präsent); es gibt auch keine kulturellen Ereignisse. Die Medien plätschern tagein tagaus Olympisches und selbst die Kinder dürfen ja nicht durchs Lernen vom Fernsehzuschauen abgelenkt werden.

Was mich bei alledem nur freut, ist die Meldung vom nahenden Milliardendefizit der Spiele. Man hat den ersten Kostenrahmen, so lese ich, um das Vierfache überzogen.

Vielleicht werde ich bei den zu erwartenden Siegen nur mäßig mitfeiern. Als rot-weiß-roter Außenseiter quasi. Mitzahlen werd' ich ja jedenfalls dürfen. Sie übrigens auch.

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