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Bittere Erfahrungen

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Als in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in Tirol die „Sommerfrische“ in Mode kam, war dies wohl die Geburtsstunde des Fremdenverkehrs. Aus diesen Anfängen ist heute längst eine Art Tourismusindustrie geworden, eine der wichtigsten Einkommensquellen für viele Menschen auch abseits der Ballungsräume. Es ist schon richtig, daß dadurch Wohlstand auch in viele einst arme Täler gekommen ist, daß es in Tirol praktisch keine entsied- lungsgefährdeten Ortschaften gibt, hängt wohl auch mit dem florierenden Fremdenverkehr zusammen.

Mehr als 40 Millionen Fremdennächtigungen in einem Land mit etwa 600.000 Einwohner bedeuten aber nicht nur Arbeit und Brot für viele Tiroler, das Tourismusgeschäft hinterläßt seine Spuren auch in der Umwelt unseres Landes. Da geht es grundsätzlich einmal um den Raumanspruch des Tourismus in einem Land, in dem nur etwa 14 Prozent der Landesfläche für eine Besiedlung geeignet sind. Raumansprüche für Hotels, Freizeitanlagen, Verkehrseinrichtungen und Parkplätze. Raumansprüche aber vor allem für den Wintertourismus, dessen Besucherzahlen den Sommertourismus immer mehr überflügeln. Etwa 1.000 Hektar Waldfläche wurden in den letzten 20 Jahren gerodet und zu Skiabfahrten umfunktioniert. Das mag im Verhältnis zur Gesamtwaldfläche, die etwa 500.000 Hektar groß ist, wenig erscheinen — die Wirklichkeit sieht aber doch anders aus. Es gibt ja bekanntlich keinen wirksameren Regulator gegenüber Starkregenfälle, es gibt keinen billigeren und besseren Schutz gegen Lawinenabgänge als einen funktionsfähigen Wald. Jede Rodung, wofür immer sie auch verwendet wird, schafft Schwachstellen in einem oft sehr labilen

System. Skiabfahrten sind zudem auch Störquellen, die weit über ihren unmittelbaren Bereich hinauswirken. Sie beunruhigen Wildeinstandsgebiete, sie sperren vertraute und lebensnotwendige Wildwechsel zeitweise ab. Für viele Skifahrer sind gut präparierte breite Skiautobahnen auch längst zu langweilig geworden, sie suchen sich ihre persönliche Variante abseits der Piste und richten an den Verjüngungsflächen der Forstwirtschaft manchmal beträchtliche Schäden an.

Die ökologische Unbekümmertheit der touristischen Gold-

gräberzeit ist heute allerdings längst zu Ende. Zunehmend werden umfangreiche Umweltverträglichkeitsprüfungen bei größeren Eingriffen auch für Skiabfahrten zur Selbstverständlichkeit. Für eine besonders sorgfältige Rekultivierung und Pflege von Skiabfahrten plant das Land Tirol eine zusätzliche Auszeichnung: Dabei geht es nicht um die heute längst selbstverständliche Begrünung, es geht unter anderem um eine sorgfältige, ungefährliche Ableitung des Oberflächenabflusses, es geht um die sorgfältige Wiedereinbindung der Pistenränder in den angrenzenden Wald.

Eine solche Auszeichnung soll auch die Vielzahl der verantwortungsbewußten Liftunternehmen von den schwarzen Schafen trennen, die mit ihrer ökologischen Sorglosigkeit immer wieder die gesamte Branche in die Schlagzeilen bringen. Im Entwurf für ein neues Tiroler Naturschutzgesetz gibt es auch einen Vorschlag für eine „Pistenabgabe“. Damit soll die Inanspruchnahme von Natur

für Skiabfahrten mit einer Abgabe verteuert werden - eine Dop- pelstrategie wäre denkbar: Einmal geht man mit teuren Ressourcen sparsamer um, zum anderen gibt es Geld für ökologische Ausgleichsmaßnahmen.

Sommer- und Wintertourismus beeinträchtigen das Land aber nicht nur mit ihrem Raumanspruch, sie sind zu beträchtlichen Verkehrserregern geworden, in unserem automobilen Zeitalter heißt das vor allem Stau auf den Straßen, Abgase und neue Straßenbaupläne. Für ein Land, das allein im Nord-Süd-Transit jährlich etwa eine Million LKWs und zehn Millionen PK Ws zu verkraften hat, ist dies eine zusätzliche Belastung.

Manche winterliche Tourismuszentren sind mit ihrem hohen Energieeinsatz aber auch zu punktuellen Emissionsquellen geworden, die deshalb besonders kritisch zu betrachten sind, weil der Gast ja im allgemeinen aus belasteten Wohnregionen kommt und sich unbelastete Ferienquartiere wünscht. Ich frage mich immer wieder, wann endlich bei uns der erste Ferienort sich radikal auf eine schadstoffarme Nahwärmeversorgung umstellt—etwa auf eine gut geplante und gut gewartete Hackschnitzelheizung, die ihren Energiebedarf aus dem Wald der eigenen Region bezieht. Der Ersatz mehr oder weniger schwefelreicher Heizöle durch heimeliges Holz könnte zu einem neuen Werbeslogan werden. -

Sosehr der Fremdenverkehr heute als Wirtschaftsfaktor unverzichtbar ist, sosehr gilt es in einem eng begrenzten und überaus sensiblen Land, das verträgliche Maß zu halten. Nicht Bedarfsdeckungsdenken, sondern Verträglichkeitsdenken muß die Landesentwicklung leiten.

Der Autor ist Landesforstdirektor von Tirol.

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