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Bittsteller im Weißen Haus

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Wenn außer den endemischen Nixon-Hassern heute auch andere, dem Präsidenten im Grunde freundlicher gesinnte Gruppen in den USA seinen Rücktritt diskutieren, so geschieht das, weil sie befürchten, daß ein schwer angeschlagener Präsident dem Lande die notwendige Führerqualität nicht mehr vermitteln könnte. Und trotzdem geht die Arbeit weiter und sind die Vorbereitungen für den Breschnew-Besuoh nahezu abgeschlossen.

Breschnew kann in den USA — ausgestattet mit aller Machtvollkommenheit — auftreten. Er hat seine politischen Gegner in der Partei an die Kandare gelegt und hat das Land auch publizistisch auf die bevorstehende Zusammenarbeit mit dem Westen vorbereitet. Dagegen ist Nixon gezeichnet von der Flut ungeprüfter Anschuldigungen und manche befürchten mit Recht, daß er sich in seinen Verhandlungen mit Breschnew als zu nachgiebig erweisen könnte. Wenn man jedoch die Verhandlungspositionen der beiden analysiert, so kann man erkennen, daß die der USA wesentlich stärker ist, als jene der Sowjetunion.

Denn die Vereinigten Staaten haben nach Vietnam kein lebenswichtiges Anliegen an die Sowjetunion, während Breschnew industrielle Technologie und Lebensmittel in großen Mengen dringend braucht. Er benötigt die amerikanische Neutralität im Verhältnis zu Peking und einen kooperativen Einfluß der USA in Westeuropa, um die sowjetische Westgrenze aus dem Problemkreis seiner Außenpolitik auszuschalten.

Jetzt zeigt sich ganz deutlich, wie klug Nixon und Kissinger handelten, als sie das Tor zu China öffneten. Trotz geballter Macht einer auf nationale Ziele ausgerichteten Bevölkerung in der Sowjetunion und deutlicher Dekadenzerscheinungen auf westlicher Seite erscheint Breschnew in Washington als Bittsteller. Und man weiß im voraus in der amerikanischen Hauptstadt, was Breschnew verlangen wird; was man nicht weiß, ist höchstens, wie er bezahlen wird.

Konkret benötigt die technologisch rückständige sowjetische Industrie westliches Know-how und langfristige Kredite; da das sowjetische Agrarsystem neuerlich versagt hat, braucht man weiterhin massive Agrarimporte. Hier gibt es allerdings erhebliche Schwierigkeiten. Die US-Exporte des Jahres 1972 haben bereits zu einer wesentlichen Verteuerung amerikanischer Lebensmittel geführt und die Inflation in den Staaten angefacht. Die US-Regierung wurde auch kritisiert, daß sie der Sowjetunion zu niedrige Preise berechnet habe und daß der amerikanische Steuerzahler diese Exporte eigentlich subventionieren mußte.

Daß Rotchina heute das zentrale Problem der sowjetischen Militär-und Außenpolitik ist, soll Breschnew Kissinger bei dessen vorbereitendem Besuch in Moskau unumwunden zugegeben haben. Es ist klar, daß sich Breschnew in Washington einer neutralen Haltung der Amerikaner vergewissern will. Mehr wird er hier auch nicht erreichen können — denn Nixon weiß sehr wohl, daß seine günstige taktische Position gegenüber der Sowjetunion auf seinem korrekten,

wenn nicht sogar konstruktiven Verhältnis zu Peking beruht. Das wurde erst vor einigen Tagen symbolisch demonstriert, als Nixon den neuangekommenen Pekinger Geschäftsträger innerhalb von Stunden empfing und seinen Wunsch nach einem neuen Peking-Besuch zum Ausdruck brachte. Überdies sind auch industrielle Anstrengungen, den Warenaustausch mit China erheblich auszubauen, in einem fortgeschrittenen Stadium.

Es ist klar, daß angesichts dieser Lage die Sowjetunion ihren „Osteuropäischen Kolonialbesitz“ außer jegliche Diskussion stellen will. Diesem Zweck dient die sogenannte Entspannungspolitik mit der Bundesrepublik sowie die kleineren Entspannungsakte zwischen dieser und Gliedstaaten des sowjetischen Kolonialreiches. Washington soll diese Politik sanktionieren. Dazu bleibt der amerikanischen Außenpolitik auch keine Alternative. Die amerikanische Öffentlichkeit tendiert sowieso zu einer Rücknahme vorgeschobener außenpolitischer Positionen in Europa, während die Westeuropäer ihre Unabhängigkeit im Rahmen des Gemeinsamen Marktes immer wieder betonen.

Was hat aber die USA von Breschnew zu erwarten? Zunächst einen weiteren Druck auf die Nordvietnamesen, den Waffenstillstand in Südostasien einzuhalten; Kissinger ist da eher optimistisch.

Weiter eine Kooperation in Richtung eines israelisch-arabischen Interessenausgleiches im Nahen Osten, wo vitale ölinteressen der USA auf dem Spiele stehen. Auch hier gibt es gewisse Anzeichen sowjetischen Einlenkens. Zuletzt hat die sowjetische Regierung auch in der Frage der Auswanderung sowjetischer Juden eingelenkt — und das nicht bloß ,via facti, sondern in Form einer formellen Verständigung der amerikanischen Regierung, was rein prestigemäßig eine wichtige sowjetische Konzession darstellt.

Die amerikanische Regierung erwartet aber auch Konzessionen im Rahmen der Abrüstungsgespräche der sogenannten zweiten SALT-Runde. Hier • geht es jetzt um die Kontrolle offensiver Atomwaffen, ein Anliegen für beide durch das Wettrüsten überforderten Volkswirtschaften. (Auch die Wiener Verhandlungen über die reziproke Reduzierung amerikanischer und sowjetischer Truppen in Europa steht noch obenan auf der Tagesordnung.)

Schließlich erwartet sich die amerikanische Wirtschaft große Energiezuschüsse aus der Sowjetunion. Man spricht von einem 7-Milliarden-Pro-jekt zur Förderung sowjetischen Erdgases in Sibirien.

So gesehen, zeichnet sich zwischen Nixon und Breschnew ein Treffen von größter weltpolitischer Tragweite ab und es ist bezeichnend, daß die Nixon-Hasser alles darangesetzt haben, um dieses Treffen nicht zustande kommen zu lassen. Noch vor zvifei Wochen forderte die „New York Times“ eine Verschiebung der Gespräche bis zur Klärung von Watergate. Als ob es Breschnew besonders interessieren würde, wessen Telephon in Washington abgehört wurde. Bei ihm ist das ja eine tägliche Übung.

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