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Blasphemisch, destruktiv?

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Schon auf den Namen Hermann Nitsch reagieren viele Menschen wie der Stier auf ein rotes Tuch. Sein Werk, so sagen sie, sei blasphemisch und destruktiv. Andere räumen ihm einen hohen Stellenwert in der Kunstszene ein; von ihm seien starke Impulse für die Kunst unserer Tage ausgegangen.

Wie lassen sich so unterschiedliche Urteile erklären? Was steckt hinter diesem Werk? Wie versteht Nitsch sich selbst? Niemand, der sich mit der österreichischen Kunst der Gegenwart auseinandersetzt,

kann sich solchen Fragen entziehen. Trotzdem schleichen auch die meisten Kunstkritiker wie die Katze um den heißen Brei. So schwer es auch fallen mag, möchte ich dennoch versuchen, in eine sachliche Diskussion einzutreten.

Das Hauptwerk, an dem Nitsch seit Jahren arbeitet, ist das Orgien-Mysterien-Theater. Es ist auf sechs Tage angelegt; eine dreitägige Version wurde bereits auf Schloß Prin-zendorf#an der Thaya, wo Nitsch lebt, aufgeführt. Nitsch versteht dieses Orgien-Mysterien-Theater als existentielles Drama, als therapeutisches und kultisches Spiel. Versuchen wir von daher einen Zugang zu finden.

Das Orgien-Mysterien-Theater ist ein existentielles Drama, näher-hin der Versuch einer Wiedergeburt der griechischen Tragödie aus dem Geist der Moderne. Diese For-: mulierung ist eine Anspielung auf Friedrich Nietzsche, der zu den geistigen Vätern von Nitsch gehört. In der griechischen Tragödie setzt sich der Mensch mit sich selbst, mit seiner existentiellen Situation auseinander, etwa in der schrecklichsten dieser Tragödien, in „König Ödipus". Der Mensch sieht sich selbst als tragisches Wesen, das unter einem dunklen Schicksal steht, das er nicht begreift. Ödipus tötet seinen Vater und heiratet seine Mutter. Als er erkennt, was er getan hat, blendet er sich selbst und irrt in der Welt umher. Nietzsche nimmt diese tragische Deutung menschlicher Existenz auf und versucht dazu ein volles, uneingeschränktes Ja zu sagen: ein Ja zum Leben, dort, wo es herrlich, aber auch dort, wo es entsetzlich ist.

Nitsch folgt seinem Lehrmeister Nietzsche, wenn er sagt: „Das Unternehmen des o. m. Theaters ist Ausdruck einer trunkenen unbedingten Lebensbejahung." Nitsch weiß um Größe und Elend des Menschen. Darum begnügt er sich nicht mit einer Behübschungskunst, einer Unterhaltungskunst, einer Verdrängungskunst, die ja nur Fluchtphänomene sind, eine Flucht aus der grausamen Wirklichkeit in süße Illusionen. Er stellt sich dem Phänomen Mensch in> seiner Abgründigkeit. Und er versucht - wie Nietzsche - aus dem Leben ein Fest zu machen.

Doch ist das möglich? Lebensbejahung ist gewiß eine hohe Kunst, doch eine „unbedingte" Lebensbejahung ist angesichts des Leidens (vor allem des Leidens anderer Menschen!) nur schwer möglich, angesichts des Bösen jedoch unverantwortlich. Der Mensch ist nicht nur grausam wie ein Raubtier, er kann ganz bewußt Böses tun. Zum Bösen aber kann man nur ein hartes Nein sagen.

Nitsch versteht - zweitens - das Orgien-Mysterien-Theater als ein therapeutisches Spiel, ein „ Abreak-tionsspiel". Damit widerspricht er allerdings seiner eigenen Aussage, in der Kunst gehe es nur um die Form. Wenn Kunst ein Abreak-tionsspiel sein soll, ist sie viel mehr als nur Form. Thema des Spiels sind die verdrängten Wünsche des Menschen: der Inzest- und der Tötungswunsch. Das weist auf den zweiten „Vater" von Nitsch hin: auf Sigmund Freud. Freud hat den Menschen unter der Macht zweier mächtiger Triebe gesehen: der Libido und des Todestriebes. Nun erklärt sich auch, warum im Werk

von Nitsch Blut eine so große Rolle spielt. Blut ist nicht nur Symbol des Lebens und des Todes; Blut ermöglicht erst das Leben - wenn es vergossen wird, bedeutet das den Tod. Der direkte Einsatz von Blut löst stärkste Emotionen aus.

Nitsch geht damit weit über Freud hinaus. Für diesen war die Frage: Wie kann der Mensch aus der Macht seiner Triebe befreit werden? Er hat es mit der psychoanalytischen Methode versucht, deren Ziel ist: „Wo Es war, soll Ich werden." Oder anders ausgedrückt: Es geht um die Stärkung der Vernunft. Nitsch dagegen will, daß die Triebe ausagiert werden. Sicher geschieht das hier in einem Spiel. Aber es geschieht drastisch und unappetitlich genug. Und eine Stärkung der Vernunft wird damit wohl kaum erreicht.

Das Orgien-Mysterien-Theater ist auch ein kultisches Spiel. Es soll „die Erlösungsidee der Menschheit wissenschaftlich fortsetzen". Es ist „Sakrament der positiven Entfaltung aller Lebenstriebe". Die Orgie ist das Sakrament dieses Erlösungsrituals, das zelebrierte Drama einer Liturgie. Um ein Gesamtkunstwerk zu erreichen, werden alle Register gezogen, von alter Musik bis zu höchster Lärmentwicklung, vom Verschütten von Blut bis zum festlichen Essen und Trinken. Höhepunkte sind die Schlachtung des Lammes und die Kreuzigung des Knaben. Christliche Symbole werden in den Kontext eines blutigen heidnischen Opferrituals versetzt.

Spätestens hier stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Nitsch zum Christentum beziehungsweise des Orgien-Mysterien-Theaters zum christlichen Kult. Was den Christen so befremdet, ist die Regression, die hier geschieht. Christus ging -nach den Worten des Hebräerbriefes - „nicht mit dem Blut von Böcken und Rindern, sondern mit seinem eigenen Blute ein für allemal in das Aller-heiligste hinein". Damit sind alle blutigen Opfer abgeschafft. Das Orgien-Mysterien-Theater ist eine Regression ins Heidentum. Wenn Nitsch Meßgewänder mit Blut überschüttet, weist er auf den Opfercharakter der Eucharistie hin. Doch ist gerade solcher Realismus durch die symbolische Gestalt des christlichen Kultes überholt und überwunden.

Nitsch hat mehrfach mündlich und schriftlich erklärt, daß er sein Werk nicht blasphemisch meint. Ich nehme ihm das ab. Aber die Vermischung des Christlichen mit Heidnischem ist für einen Christen dennoch schwer erträglich. Was noch gravierender ist: man kann „die Erlösungsidee der Menschheit" nicht „wissenschaftlichfortsetzen". Dahinter steht der Wunsch nach Selbsterlösung. Damit übernimmt sich der Mensch. Die Erlösung kann nur von Gott herkommen.

In jüngster Zeit scheint sich ein Wandel im Verhältnis von Hermann Nitsch zum Christentum anzubahnen. Dafür sprechen seine eindrucksvollen „Kreuzweg"-Bilder, aber auch Äußerungen wie: „Trotz meiner rückhaltlosen Lebensbejahung, die sich nicht geändert hat, kommt mir mit zunehmendem Alter das Christentum wieder näher... In der tieferen Symbolsprache des Christentums vermag ich viel mehr Lebensbejahung zu erkennen als in früheren Jahren... Tod und Auferstehung ist das lebensbejahende Gleichnis für die Annahme des Daseins." Das ist es für den Christen, freilich noch mehr: eine geglaubte Realität.

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