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Blau-gelbe Rochaden

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Niederösterreichs Landespolitik ist am 15. Mai in eine neue Phase getreten. Leopold Grünzweig, seit 1980 „roter“ Landes-Vize nahm Abschied. Und Landeshauptmann Siegfried Ludwig nahm das zum Anlaß für eine „kleine Regierungsumbildung“, in der er selbst künftig ein „Super-Ressort“ “besetzt.

Grünzweigs Rückzug nach 27 aktiven Jahren aus der Landespolitik war seit 16. Oktober 1983 programmiert. Bei den Landtagswahlen verlor damals die blaugelbe SPÖ an die VP drei Mandate (VP jetzt 32, SP 24). Bald darauf signalisierte Grünzweig—seit 1980 auch SP-Landesobmann — Rücktrittsabsichten.

In der Partei war das Auftakt zu heftigen Diadochenkämpfen. Eine kleinere Gruppe favorisierte Innenminister Karl Blecha (sitzt auf einem blau-gelben Nationalratsmandat). Die Mehrheit kämpfte für Ernst Höger, Jahrgang 1945.

Den gewachsenen Gewerkschafter Höger hatte Grünzweigs Vorgänger als SP-Landesobmann, Hans Czettel, in den niederösterreichischen Landtag geholt. Höger „erbte“ von Czettel nach dessen plötzlichen Tod 1980 das Gemeindereferat. Er machte das Rennen, ist seit Oktober 1985 SP-Landesobmann.

Zu regeln blieb noch Grünzweigs Nachfolge im Schul- und Kulturreferat, seit 1945 in Niederösterreich eine Domäne der SPÖ.

Grünzweig selbst schlug den Landtagsabgeordneten Franz Slawik, 50, Gymnasialdirektor in Schwechat, SP-Kultursprecher und Chef des SP-„Kulturforums“ vor. Doch Slawik, einst auch Leiter des Karl-Renner-Instituts der

SPÖ, verscherzte sich Ludwigs Gunst. Er opponierte allzu heftig gegen Ludwigs Landeshauptstadt-Idee.

Jedenfalls überraschte der Landeshauptmann bei Parteienverhandlungen über die Ressort-Neuverteilung: er zog das Kulturreferat an sich. Von seinen „Nachbarn“ - Helmut Zilk in Wien und Josef Ratzenböck in Oberösterreich — scheint Ludwig abge-

schaut zu haben, was durch Auftritte in der Kultur szene an Image zu gewinnen ist. Geförderte Künstler sind übrigens dankbare und medienwirksame Trabanten.

Fürs erste überrascht hat, daß SP-Chef Höger - seit 15. Mai auch Landes-Vize — das Kulturreferat kampflos abgab. Vermutlich hat aber Höger nur die Machtverhältnisse in Nieder Österreich realistisch eingeschätzt.

Verwendet man nämlich den ersten Bundespräsidenten-Wahlgang vom 4. Mai als „Seismograph“, so hat die ÖVP mit 52,47 Prozent Waldheim-Wählern beinahe ihr „Hoch“ bei den Landtagswahlen 1983 (54,55 Prozent) halten können. Die SPÖ schnitt etwas besser ab als 1983. Wählten sie damals 41,35 Prozent der Niederösterreicher, so schenkten jetzt 42,71 Prozent dem SPÖ-Kan-didaten Steyrer ihr Vertrauen. Aber in den traditionellen SP-Hochburgen gab's auch in Niederösterreich die meisten Stimmen für Freda Meißner-Blau.

Ludwig gelang aber noch ein

geschickter Schachzug. Er wechselte den manchmal glücklos agierenden Wirtschaftslandesrat Erwin Schauer (Jahrgang 1927) gegen den Präsidenten der Niederösterreichischen Handelskammer, Vinzenz Höfinger, aus.

Das Gesprächsklima im Land unter der Enns sei gut zwischen den Parteien. Man strebe gemeinsam das Beste für das Land an. Das war der Tenor der Erklärungen von Ludwig und von Höger rund um den 15. Mai.

Das gute Klima könnte erstmals spätestens am 10. Juni auf dem Prüf stand stehen. An diesem Tag könnte die Entscheidung für den Standort der neuen Landeshauptstadt fallen.

Dem grundsätzlichen Ja der Mehrheit aller Landesbürger bei der Volksbefragung vom 1. und 2. März (54 Prozent) beugte sich auch die SPÖ. Zwar hatte man vorher Bedenken, man sagte aber umso lieber Ja, als von fünf Bewerberstädten das „rot“ regierte St. Pölten mit rund 45 Prozent die Mehrheit erhalten hatte.

Nun hat das Raumordnungs-Institut eine ^Feinstudie“ von St. Pölten und Krems vorgelegt, die St. Pölten den Vorrang gibt. Gelingt es Höger, seine Idee von einer gleichzeitigen Aufwertung der Regionen durchzusetzen (als Gemeindereferent kann er sich als Anwalt der Regionen stark machen), stünde einer Einigung nichts im Weg. Der Landtag könnte - im Herbst, nach den ßeam-ten-Personalvertretungswahlen - per Verfassungsgesetz die Hauptstadt dekretieren. Ludwig wäre der strahlende Sieger —.die SPÖ hätte mit „Regional-An-walt“ Höger nicht ihr Gesicht verloren.

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