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Blau-gelbes Polit-Tandem

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Ein Tandem: Zwei hinter-einandergespannte Pferde vor einem Wagen. Oder ein Fahrrad, bei dem zwei treten und einer lenkt. Beides paßt zu Niederösterreich vor der Wahl.

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Ein Tandem: Zwei hinter-einandergespannte Pferde vor einem Wagen. Oder ein Fahrrad, bei dem zwei treten und einer lenkt. Beides paßt zu Niederösterreich vor der Wahl.

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Die Partner der Koalitionsregierung erwarten mit Interesse den Herbst. ÖVP und SPÖ messen am 16. Oktober in Niederösterreich ihre Kräfte (FURCHE 28/ 1988). Der Ausgang dieser Landtagswahl kann Bundeskanzler

Franz Vranitzky oder Vizekanzler Alois Mock mehr politisches Gewicht verleihen.

Von Niederösterreich gingen übrigens auch die stärksten Impulse für die Bildung der Großen Koalition aus. Hier verpflichtete die Landesverfassung die Parteien zur Zusammenarbeit. ÖVP und SPÖ teilen sich seit 1945 die Landtagssitze und die Regierung.

Nicht immer verlief dese Partnerschaft friktionsfrei. In der auslaufenden Legislaturperiode aber fanden sie ein besonders gutes Verhältnis zueinander. Während einander 1986 die Großparteien im Bundespräsidentenwahlkampf prügelten, schufen die Landesparteien in Niederösterreich ein „Jahrhundertgesetz“ für die Entwicklung im Land.

• In der Landesverfassung wurde St. Pölten als neue Landeshauptstadt verankert.

• Gleichzeitig wurden die Politiker auf ein Regionalisierungspro-gramm verpflichtet, das in den kommenden 20 Jahren die Strukturen der vier Viertel stärken und neu organisieren soll.

• Die Neuorganisation und De-

Zentralisierung der Landesverwaltung steht mit im Programm.

Die Impulse für diese Weichenstellung gingen von Landeshauptmann Siegfried Ludwig aus. Der ÖVP-Landesobmann nutzte die 1983 gestärkte absolute Mehrheit. Damals hatte die ÖVP bei den Landtagswahlen der SPÖ drei Mandate abgenommen. Sie hält 32, die SPÖ sank auf 24 Mandate zurück.

Ludwig leitete denn auch das gute Klima im Land von „seiner“ Absoluten ab. „Die acht Mandate Unterschied, die können sie nicht überwinden. Das mußten sich die Sozialisten selbst sagen“, meint er.

SPÖ-Obmann — und „roter“ Vize Ludwigs - Ernst Höger versucht es anders zu deuten: „Das gute Klima in der Politik geht immer von der Minderheit aus.“ Aus der Umarmung mit der ÖVP, die er selbst herbeigeführt hat, versucht Höger Gewinn zu schlagen: Für die Regionalisierungspolitik beansprucht er die „Vaterschaft“.

Kein ungeschickter Schachzug. Nach dem Verlust von 1983 war die SPÖ bis 1985, als Höger den Obmann übernahm, praktisch nicht präsent. Durch die Hauptstadt-Volksbefragung drohte sie überhaupt zu zerbrechen. Während sich das „rote“ St. Pölten massiv um die Hauptstadtwürde bewarb, rief das „rote“ Wiener Neustadt zum Boykott der Befragung auf. Högers Vorgänger Leopold Grünzweig wollte sogar ein „Nein zur Hauptstadt“ empfehlen1.

Höger trat für eine Stärkung der Regionen statt für die Hauptstadt ein, signalisierte aber, daß er gegen eine Hauptstadt St. Pölten nichts hätte. So wahrte er das Gesicht nach dem Ja zur Hauptstadt, das die ÖVP übrigens mit einem Ja zur Regionalisierung verknüpft hatte.

Im „Vaterschaftsstreit“ übersieht das Höger geflissentlich. Die Regionalisierungsmillionen rollen seit 1987 (350 im Jahr), dazu noch jährlich 150 Millionen zusätzliche Gemeindehilfe. Und Höger ist auch Gemeindereferent.

Während Höger mittels seiner Aktion „Nö soll blühen“ möglichst viele Bürger für Regionalisierung aktivieren will, setzte Ludwig neue Impulse.

Zuerst von der SPÖ belächelt, leitete er eine Landes-Außenpoli-tik ein, knüpfte Kontakte zu Ungarn, Polen, Mähren, zur Bundesrepublik Deutschland.

Erstes kulturelles Ergebnis: Am ersten blau-gelben Donaufestival im Juni und Juli nahmen Künstler aus Osteuropa teil. Erstes wirtschaftliches Ergebnis: An der Hollabrunner „Weinlandmesse“ werden erstmals Aussteller aus der CSSR teilnehmen.

Höger sprang auf den „Ost-Expreß“ im Frühjahr auf, besuchte die CSSR, Ungarn, lud zu einem „Grenzland-Symposion“ nach Gmünd.

Inzwischen realisierte Ludwig seine nächste Idee: Als Basis für universitäre Einrichtungen in Niederösterreich schuf er eine „Landesakademie für Wissenschaft und Forschung“ mit Sitz in Krems. Die SPÖ zog zähneknirschend mit, predigte sie doch die Notwendigkeit zeitgemäßer Bildung als Voraussetzung für wirtschaftlichen Aufschwung und Basis für einen EG-Anschluß.

Die Partnerschaft von VP und SP gab es auch in der Umweltpolitik. Man verabschiedete das erste „Abfall-Wirtschaftsgesetz“, schloß sich mit Wien zum „Sondermüllverband Ost“ zusammen. In der vorvergangenen Woche wurde ein „Staatsvertrag“ mit dem Bund unterzeichnet, der weitere Entwicklungen im Land garantiert: Bau eines Archäologieparks Carnuntum (siehe Letzte Seite) und einer Schlösserstraße im Marchfeld — schon als blaugelbe Attraktionen für die Weltausstellung 1995. Der Bund wird den Hauptstadtbau fördern, ebenso ein auf St. Pölten zentriertes neues Verkehrsnetz.

Kein Wunder, daß- Ludwig hofft, die Absolute halten zu können. Gelingt es, will er bis 1993 Landeshauptmann bleiben. Höger will eine stärkere SPÖ. Als „Wahlkampftourist“ soll ihm dazu Kanzler Vranitzky verhelfen. In der VP hat man Vizekanzler Mock noch nicht eingeladen. Man ist verschnupft, weil er den Verlust der Absoluten in Niederösterreich für möglich hält und die FPÖ, die für Ludwig kein Partner ist, für koalitionsfähig erklärt hat.

Einzige Gefahr für ÖVP und SPÖ im „Kernland“: Ein „fader“ Wahlkampf, der die Bürger von den Urnen fern hält.

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