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Blaues Dilemma

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Der Parteitag der Freiheitlichen hat ein Echo geweckt wie kaum eine ähnliche Veranstaltung einer der beiden Großparteien, sicherlich mehr, als ihm proportional zur Wählerschaft „zugestanden“ wäre. (Was wohl auch wieder beweist, daß die österreichische Journalistik nicht einfach auf „schwarz“ oder „rot“ getrimmt ist, sondern die Ereignisse nach ihrem Nachrichtenwert einschätzt.) Das Echo war berechtigt, auch wenn es meist in eine andere Richtung wies, als es verdient gewesen wäre. Die Persanaldebatte verdeckte Erscheinungen, die wert gewesen wären, mehr hervorgehoben zu werden.

Die Personaldebatte lenkte nicht nur in Villach von den eigentlich brennenden Problemen ab — sie tut es nicht nur in der FPÖ. Wer mag Interesse daran haben, sie immer wieder von neuem anzuheizen, von innen oder von außen, um damit den jeweiligen Bubmann am Leben zu halten oder über Leerstellen hinwegzutäuschen, mögen sie nun ideologischer oder strategischer Art sein? Was nicht heißen soll, brennende Personalprobleme unter den Teppich zu kehren.

In der FPÖ heißt die Personalfrage Friedrich Peter, und das nun seit längerer Zeit. Seine Qualitäten zuerst als Reorganisator seiner Partei, dann als brillanter Redner im Na-ittanarrait, sind unumstritten. Umstritten ist seine Vergangenheit. Solange keine gegenteiligen Beweise vorliegen, muß ihm Glauben geschenkt werden, daß er selbst von den Aktionen seiner Einheit keine Kenntnis hatte — in dubio pro reo.

Was nicht heißt, daß er seiner Partei Gutes tat, den Steher zu spielen und zu demonstrieren, daß man sich nicht 'abschießen lasse. Es gab Zeiten, in denen sich'ein Spitzenpolitiker zu erschießen hatte, wenn er in ein schiefes Licht gekommen war, mit oder ohne sein Zutun. Diese Zeiten sind — Gott sei Dank — vorbei. Das heißt aber nicht, daß ein Funktionär nicht die Verantwortung für das Schicksal seiner Gemeinschaft trüge, sobald dieses durch Umstände in seiner Person beeinflußt wird.

Man kann auch darüber streiten, ob diese Personaldiskussion, ob die vorgebrachten Vorwürfe schuld waren, daß die FPÖ bei den letzten Wahlen ihr Ziel nicht erreicht hat, daß die SPÖ ihre absolute Herrschaft zementieren konnte und die kleine Oppositionspartei, die so gerne mitregiert hätte, mit Stimmver-lusten abschwamm. Tatsache aber ist, daß Friedrich Peter in dieser Zeit an ihrer Spitze stand und damit die Verantwortung dafür trägt.

Auch die Formel, es sei keiner da, der bereit sei, die Nachfolge zu übernehmen, zieht nicht. Solange der „Alte Mann“ auf dem Posten steht, geliebt oder ungeliebt, muß sich jeder seiner Mitstreiter als Vatermörder vorkommen — oder diesen Vorwurf aus den eigenen Reihen fürchten —, der die Hand gegen ihn erheben würde. In einer Partei, in der altdeutsche Ehrenfcodices hochgehalten werden, kann diese Überlegung nicht ausgeschaltet werden.

Auch die Ankündigung, mm in den kommenden zwei Jahren den Nachfolger aufbauen au wollen, er müsse nur von der Partei genannt werden, befreit Friedrich Peter und seine Partei nicht aus dem, Dilemma. Weitere zwei Jahre werden mit Personal-diskussionen vergehen —• mit oder ohne Zutun von außen —, und von den eigentlichen Problemen ablenken. Wird nicht auch der Nachfolger, wer immer es sein wird, gehandikapt sein, das Erbe Friedrich Peters antreten zu sollen, solange dieser noch im Amt ist oder zum mindesten auf dieses Einfluß nimmt?

Zwei weitere Jahre wird man sich die Frage stellen müssen, ob die FPÖ ihrer Punktion als Dritte Kraft im österreichischen Parlamentarismus gerecht wird. Man kann darüber streiten, ob ein Zwei-Parteien-System vorzuziehen sei, ob ein System wechselnder Koalitionen wie etwa in den Niederlanden oder Belgien Vorteile brächte. Wenn man aber zur Überzeugung kommt, für Österreich liege die Dritte Kraft in der Tradition, dann müßte sie auch diese Funktion echt wahrnehmen. Hat sie das in den vergangenen Jahren können? Lag es nur am Proporzdenken, das aus der Nachkriegsära in die Zeiten der Alleinregieruingen über nomimen worden ist, oder doch auch an der kleinen dritten Partei selbst?

Zwei weitere Jahre wird man kaum Gelegenheit finden, die in Gemeinden und Landtagen bewiesene freiheitliche Präsenz auch im Bund vorzuexerzieren. Zwei weitere Jahre werden vergehen, in denen die Personaldiskussion auch die Jungen absorbiert, statt daß ihnen Gelegenheit geboten würde, an echten Problemen zu lernen und zu zeigen, was in ihnen steckt. Daß das Potential vorhanden ist, zeigte der Villacher Parteitag mit seinen erstaunlich offenen Diskussionen — Wahlergebnisse unter den von anderen Veranstaltungen gewöhnten 90 und mehr Prozent sollten eigentlich froh stimmen. Sie zeigen das Vorthandensein einer kritischen Generation.

Diese kritische Generation aber wäre aufgerufen, sich über so manches ins klare zu kommen. Über die Frage etwa, wo der Standpunkt einer Partei heute sein soll, deren geistige Ahnen einst ihre Standpunkte im Antiklerikalismus, im Antisemitismus, im Deutsch-Nationalismus fanden — ein Erbe, das heute mehr Hypothek als Positivkonto bedeutet. Für die Jungen von heute sind diese Begriffe inhaltslos geworden — wie aber wäre heute ein Bekenntnis zu einem übergeordneten deutschen Volkstum zu definieren, das sich mit dem Bekenntnis zur österreichischen Staatsnation vereinbaren läßt? Wo sind die geistigen Grundlägen für eine Politik der achtziger Jahre, die sie einst mitgestalten sollen?

Über die Frage auch sollte man ins klare kommen, was der Begriff „liberal“ für jene bedeutet, die noch am ehesten die Erbschaft der Liberalen des 19. Jahrhunderts in Anspruch nehmen .können. Heute, wo alle Parteien diese Ahnen für sich deklarieren, aber niemand klarstellt, was er wirklich unter „liberal“ versteht. Ist „'Blutgruppe Null“ allein schon gleichbedeutend mit „liberal“? Gerade die „jungen Liberalen“ der FPÖ sollten hierauf eine Antwort wissen.

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