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Blaues Riesenbaby

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Der Prophet hat recht behalten. Sein Name lautet schließlich auch Mohammed-Ali Jinnah. Sein Leben lang kämpfte der Advokat aus Bombay für die Idee des Staates der „Reinen“ — für Pakistan — und er setzte diese Staatsbildung unter dem „alle einenden Band des Islam“ auch durch. Sein Werk hatte immerhin 24 Jahre lang Bestand — doppelt so lange, als einst das „Tausendjährige Reich“ währte. Bei einem seiner letzten öffentlichen Auftritte im Jahre 1948 hatte die politische Vaterfigur Pakistans, dessen Bild mit den stechenden, fanatisch glänzenden Augen auch in den armseligsten Buden der entlegendsten Dörfer des Landes anzutreffen ist, angekündigt: „Wenn sich die Bengalen als Bengalen und die Punjabis als Punjabis, nicht mehr als Pakistanis fühlen, ist es aus mit Pakistan.“

Als Totengräber fungierten jahrelang Jinnahs Epigonen in Karachi, Rawalpindi und Islamabad, indem sie den Ostteil des Landes politisch, militärisch und vor allem wirtschaftlich eindeutig diskriminierten, wofür das West-Ost-Gefälle des jährlichen Pro-Kopf-Einkommens von 483 Rupien auf 299 Rupien symptomatisch und um so ungerechter erscheint, als die Ostbengalen mit dem — allerdings ständig abnehmenden — Juteexport beinahe 80 Prozent der Gesamtdeviseneinnahmen erwirtschaftet hatten.

Nun freilich erfolgte erneut eine staatliche Totgeburt, auch wenn Bangla Desh auf den ersten Blick wie ein blaues Riesenbaby, das mit Hilfe von „Mother India“ und kräftiger Finanzspritzen der Großmächte am Leben erhalten werden kann, anmutet. Die substantiellen Bedingungen für ein Staatsgebilde wären — zumindest in Anbetracht südasiatischer Verhältnisse — beinahe ideal: einheitliches Volk, einheitliche Religion, einheitliche Sprache sowie der von überwältigender Mehrheit der Bevölkerung anerkannte und umjubelte politische Führer, Mujibur Rahman, dessen Beliebtheit in Bengalen noch über jene Kemal Atatürks in der Türkei zu stellen ist.

Dennoch überwiegen die Passivposten bei weitem: die vollkommene Zerstörung der bislang ohnehin nur rudimentär existierenden Infrastruktur, die nahezu totale Ausrottung der zahlenmäßig eher unbedeutend gewesenen Intelligenzschicht durch die Glaubensbrüder aus dem Westen, das fast fünfprozentige jährliche Bevölkerungswachstum in einem Gebiet, das etwa Österreich plus Bayern entspricht und in dem mehr als 70 Millionen Menschen „zweistöckig gehen“, wie es ein deutscher Diplomat ausdrückte. Daß rund 80 Prozent des Volkes aus der Landwirtschaft ihr kärgliches Dasein fristen und trotz fast idealer klimatischer Bedingungen beim Hauptnahrungsmittel Reis nur die dürftige Ernte von 9,64 Meterzentnern erzielen (lediglich Indien liegt mit 8,11 Meterzentnern noch unter dieser Ziffer, während etwa Japan zwischen 26 und 36 Meterzentner produziert) und die Zahl der Arbeitskräfte in der nunmehr weitgehend vernichteten Industrie 200.000 nie überstieg, wirkt freilich allein noch nicht existenzvernichtend. Und die Tatsache, daß das „alle einende Band des Islam“ nach einigen Belastungsproben gedehnt und schließlich zerrissen wurde, deutet nur darauf hin, daß sich auf rassische Gründe zurückführende wirtschaftliche und damit notgedrungen politische Gegensätze auf die Dauer eine religiöse Staatsidee ad absurdum führen können.

China wartet

Der bei weitem wichtigste Faktor aber, der gegen eine lange Existenz von Bangla Desh in seiner heutigen Form spricht, ist wohl die Strategie Chinas. Das von zahlreichen politischen Kommentatoren fassungslos betrachtete Zweckbündnis zwischen Peking und Islamabad — obwohl die Regierung der Generale nach kommunistischer Sprachregelung nur als „superreaktionär“ bezeichnet werden kann — weist zwei wesentliche Komponenten auf:

■ Die eine besteht in der langjährigen Rivalität zwischen den beiden bevölkerungsreichsten Mächten Asiens: China und Indien.

■ Die ökonomische Lage des herabgewirtschafteten Prestiges Indiens muß in den Augen Pekings durch den vorjährigen Freundschaftspakt zwischen Moskau und Delhi weit überkompensiert erscheinen.

Daß sich jedoch Chinas Hilfeleistung nicht maßgeblich von jener der übrigen islamischen Welt, die sich auf Sympathiekundgebungen für Pakistan im Rednerwettbewerb am East River beschränkte, unterschied, darf allerdings nicht allein mit der Angst Pekings vor einer Auseinandersetzung mit Moskau erklärt werden (wogegen auch die Grenzgefechte am Ussuri sprechen), sondern letztlich,.damit, .daß die Entwicklung auf diesem Subkontinent auf lange Sicht den Intentionen Maos entsprechen muß: ist doch ein neuer Staat mit denkbar schlechten ökonomischen Startbedingungen, eingekeilt zwischen dem langjährigen chinesischen Hoffnungsgebiet Burma und Westbengalen, dem derzeit wundesten Punkt der Indischen Union, wo die Naxaliten, maoistisch indoktri-nierte Guerilleros bereits aus einem erfolgreich bearbeiteten Untergrund auftauchen, die günstigste Ausgangsbasis für das Reich der Mitte, wenn nicht direkt, so in Form eines Satellitengürtels einen breiten Zugang zum Indischen, Qze^n zu gewinnen — noch dazu, ohne nach außenhin das Gesicht zu verlieren, wie es etwa der USA mit ihrer traditionell unseligen Asienpolitik im indo-pakistanischen Konflikt gelungen ist, ohne sich ein-, deutig zu engagieren.

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