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Digital In Arbeit

Bleiben wir ruhig Reaktionäre…

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Die Regierung hat unter der Unzahl veröffentlichter und unveröffentlichter Entwürfe, Vorschläge und Konzepte einen besonderen Aufhänger zu bieten: den Entwurf für ein neues Strafgesetzbuch, der sich mit den Schlagwörtern „Menschlichkeit“, „Verständnis“ und „Resozialisierung“ gut zu verkaufen scheint. Nun, vorläufig ist dieser Entwurf noch nicht verkauft, sondern Teil eines wirksamen Angebots.

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Die Regierung hat unter der Unzahl veröffentlichter und unveröffentlichter Entwürfe, Vorschläge und Konzepte einen besonderen Aufhänger zu bieten: den Entwurf für ein neues Strafgesetzbuch, der sich mit den Schlagwörtern „Menschlichkeit“, „Verständnis“ und „Resozialisierung“ gut zu verkaufen scheint. Nun, vorläufig ist dieser Entwurf noch nicht verkauft, sondern Teil eines wirksamen Angebots.

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Bekanntlich enthält der Entwurf auch eine neugefaßte Bestimmung gegen die Abtreibung. Denn was ist aktueller, als die Fragen des Intimlebens einer öffentlichen Diskussion aus zusetzen und so den Beweis zu führen, wie offen, ehrlich und unkompliziert wir geworden sind? Jetzt, nachdem, das Thema illustriertenreif ist?

Die Höchststrafe soll von derzeit fünf Jahren auf ein Jahr herabgesetzt werden, bei Vorliegen besonders berücksichtigungswürdiger Gründe kann überhaupt von Bestrafung abgesehen werden. Außer der medizinischen Indikation — in einer weitschweifigen Formulierung — ist auch von indirekter Berücksichtigung sozialmedizinischer, eugenischer und ethischer Gesichtspunkte die Rede.

Während der letzten Wochen konstituierte sich ein Aktionskomitee, das entschieden gegen diese geplanten „Lösungen“ Stellung nimmt und auch entsprechende Aktionen dagegen einleiten will. Die Erklärung der österreichischen Bischofskonferenz vom 8. Juni 1971 dient als Grundlage der Tätigkeit dieses Komitees, jedoch konzentriert sich die Arbeit ausschließlich auf die Fragen des Schutzes ungeborenen Lebens.

Dr. Walter Csoklich, der Vorsitzende dieses Komitees, sieht mehrere Ziele:

• Anerkennung des Rechtes auf Leben auch für Ungeborene,

• wirksame Sicherung dieses Rechtes durch entsprechende Bestimmungen gegen Abtreibung im neuen Strafgesetz.

• Förderung aller positiven Maßnahmen, die geeignet sind, das Bekenntnis zum ungeborenen Leben zu stärken.

Durch organisierte Aufklärungsarbeit und gezielte Aktionen will das Komitee klar machen, daß es bei der Frage der Abtreibung in weiterer Konsequenz um die Frage des Hechtes auf Leben überhaupt geht: „Dieses Recht kann nicht erst mit der Geburt beginnen!“

Es gibt keinen Zweifel, daß es ein gefährlicher Weg ist, bestehende Schranken, die das Recht auf menschliches Leben schützen, aufzuheben. Denn auch hier muß man die Konsequenzen sehen: Die Tötung „un- werten Lebens“ könnte leicht eine Folge sein — die man nicht zum ersten Male erlebt! Dies wäre ein Weg, an dessen Ende der Verlust der Menschlichkeit und Humanität stünde. Diese Grenze zu überschreiten, hieße die Grundlagen eines geordneten Gemeinwesens gefährden.

Menschliche und soziale Belastungen werdender Mütter können erdrückend werden. Doch ist die Tötung der Frucht im Mutterleib eine Lösung? Eine menschenwürdigere Hilf e wäre hier eher am Platz, als die

Flucht in ein juridisch ausgesprochenes „Ja“ zum Mord.

Wenige Tage vor der Erklärung der Bischofskonferenz brachte die Illustrierte „Stern“ eine Story mit dem Titel „Wir haben abgetrieben“, ein Bekenntnis bekannter (weiblicher) Persönlichkeiten zur Abtreibung (denen sich nun Männer als „Beihelf er“ angeschlossen haben). Die Parole „Gynäkologen sollten nicht wie der liebe Gott bestimmen, wer zu leben hat“ — ausgegeben von der Journalistin Leona Siebenschön — gibt allerdings tatsächlich zu denken. Denn eben Menschen, auch Arzt, auch Mutter, sollten diese Entscheidung nicht treffen. Ganz im Sinne dieses Zitates sollte man die Überheblichkeit, wie Gott zu entscheiden, ablegen…

Wie gesagt — soziale Hilfeleistung wäre angebrachter! Die SOS-Kinder- dörfer Hermann Gmeiners haben schon vor Jahren begonnen, sich der Kinder, die nicht erzogen werden können oder wollen, anzunehmen. Der Verein „Rettet das Leben“ befaßte sich seit seiner Gründung mit der Betreuung von Müttern. Mehr als 5000 Kinder sind in etwa eineinhalb Jahrzehnten von Gruppen dieser Art großgezogen worden. Die zur Verfügung stehenden Mittel sind freilich zu gering, die Zahl der Mitarbeiter völlig unzureichend. Hier wäre eine staatliche Unterstützung und Förderung angebracht, die natürlich teurer käme, als die Verabschiedung eines neuen Gesetzes.

Die österreichischen Bischöfe sagen im zweiten Absatz ihrer Stellungnahme aus, daß die Kirche allen Versuchen, die dem Recht auf Leben entgegentreten, ein glattes Nein zu erwidern hat. Zuerst sollen sämtliche sozialpolitischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Bisher allerdings ist es bei dieser — wenn auch sehr deutlichen — Stellungnahme geblieben. Die erste große Initiative in dieser Richtung wurde von Laien, ohne aktive Unterstützung der kirchlichen Stellen, gestartet. Dort, wo die Notwendigkeit des intensiven und raschen Eingreifens in die gesellschaftlichen Entwicklungen am bedeutendsten ist, müßten aber noch mehr Männer und Frauen ein- springen.

In der kurzen Zeit seit der Konstituierung ties Komitees sind bereits zahlreiche Personen spontan beigetreten, verteilt über das ganze Bundesgebiet, so daß sich in der nächsten Zeit auch örtliche Komitees bilden werden, die entsprechende Aufklärungsarbeit leisten wollen. Korporativ haben auch bereits einige Verbände ihre Unterstützung und Mitarbeit zugesagt, wie beispielsweise die Katholische Frauenbewegung, die Katholische Männerbewegung, die Arbeitsgemeinschaft katholischer Verbände, der Katholische Familienverband.

Allerdings: sie haben keinen

„Stern“ zur Verfügung. Und was sie tun, qualifiziert man anderswo als reaktionär. Reaktionär?

Bleiben wir ruhig Reaktionäre — wenn dabei Menschenleben erhalten werden. Es ist ein Ehrentitel.

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