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Bleibt liberales Abtreibungsrecht ?

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1973 brachte eine junge Texanerin unter dem Decknamen Jane Roe beim Obersten Gerichtshof der USA Klage ein, weil sie es sich nicht leisten konnte, in einen anderen Bundesstaat zu reisen, um eine Abtreibung vornehmen zu lassen, die ihr die strengere Rechtslage in Texas verwehrte.

Der Oberste Gerichtshof gab ihr Recht Mit einem Schlage waren

Abtreibungsgesetze in 40 Staaten aufgehoben. Die Entscheidung beendete die Freiheit der Bundesstaaten, ihre eigenen Regelungen zu treffen und machte den Schwangerschaftsabbruch zu einem nationalen Streitthema.

Jährlich werden in den Vereinigten Staaten etwa 1,5 Millionen Abtreibungen vorgenommen. Teenager und junge Frauen in den Zwanzigern haben die meisten Abtreibungen. Mehr als 80 Prozent der Frauen, die sich einer Abtreibung unterziehen, sind nicht verheiratet.

Zahlreiche Bundesstaaten haben seit 1973 versucht, die liberale Praxis einzudämmen. Ihre Bemühungen hatten wenig Erfolg. Das Höchstgericht befand, daß die Einwilligung des Ehemannes oder der Eltern bei Minderjähri-

gen nicht zur Voraussetzung eines legalen Abbruchs gemacht werden dürfe.

Die Rolle der gewählten Volksvertreter im amerikanischen Kongreß und in den Bundesstaaten beschränkt sich seit 1973 im wesentlichen darauf, sich über die Verwendung öffentlicher Mittel zur Subventionierung von Schwangerschaftsabbrüchen der Einkommensschwachen zu streiten.

Daß die am wenigsten demokratische Institution des politischen Systems Amerikas, das Höchstgericht, für die Abtreibungspolitik verantwortlich ist, bedeutet aber keineswegs, daß es sich hiebei nicht um ein politisch brisantes Thema handelt.

Einer Umfrage der Fernsehgesellschaft ABC zufolge betrachteten 33 Prozent der Befragten die Abtreibung bei den letzten Wahlen im November 1988 als eine wichtige Frage. Eine Mehrheit davon stimmte für George Bush, der sich wie Ronald Reagan „für das Leben“ aussprach.

Bushs Wahlsieg stellt aber nur einen bedingten Erfolg der Abtreibungsgegner dar. Zum einen hat der Präsident wenig Einfluß auf die Rechtslage. Zwar obliegt es ihm, Kandidaten zum Obersten Gerichtshof zu nominieren; seine Wahl muß jedoch vom Senat gebilligt werden. Reagans konservativer Kandidat Robert Bork scheiterte an dieser Hürde.

Zum anderen hat sich Bush erst sehr spät „bekehrt“; Kritiker sagen, just zu dem Zeitpunkt, als es für einen konservativen Präsidentschaftskandidaten opportun erschien.

Bei der Abtreibungsthematik handelt es sich um ein politisches Minenfeld; nicht zuletzt deshalb, weil es um eine moralische Grundfrage geht, die eben wenig Raum für politische Kompromisse läßt.

Auf der einen Seite stehen die Lebensschützer, die die Fötenver- nichtung als Tötung, Mord, oder ob der systematischen Praxis gar als Holokaust betrachten; auf der anderen die Befürworter, die die Grundfrage in der freien Entscheidung der Frau und der Unrechtmäßigkeit staatlicher Einmischung sehen.

Während man den Abtreibungsgegnern aber kaum nachsagen kann, daß sie materielle Interessen vertreten, stehen auf der anderen Seite durchaus finanzielle Interessen auf dem Spiel.

Abtreibung ist ein gutes Geschäft. Daher kaschiert der Kampf um die Erhaltung des

Rechts auf Selbstbestimmung der Frau auch die Bestrebungen der Abtreibungsbranche, ihre Geschäftsinteressen zu wahren.

Die Recht-auf-Leben-Organisa- tionen sind hingegen auf die Unterstützung Gleichgesinnter angewiesen und bedienen sich medienwirksamer Protestformen, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Lebensschützer protestieren mit Kindersärgen, abgetriebenen Föten, sie ketten sich vor Abtreibungskliniken an Betonklötze, versuchen Frauen vom Eintreten abzubringen und lassen sich zu Hunderten von der Polizei verhaften und wegschleifen.

Einzelne gehen sogar so weit, die „Stätten des Kindermordens“ in Brand zu stecken und spielen damit der Abtreibungslobby in die Hände, die die gesamte Bewegung als frauenfeindlich und gewalttätig brandmarken möchte.

Die Interessenvertretung der Abtreiber bedient sich traditioneller Strategien, um ihre Medienpräsenz zu sichern und kann sich hiebei auf Geldmittel aus dem lukrativen Abtreibungsgeschäft selbst stützen.

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