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Bleibt Vollbeschäftigung: erhalten?

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Die Arbeitsmarktsituation hat sich in den westlichen Industriestaaten seit der Krise des Jahres 1975 grundlegend gewandelt. War sie bis dahin durch Arbeitskräfteknappheit gekennzeichnet gewesen, die umfangreiche Wanderungsströme in Gang setzte, so wurde danach wieder Arbeitslosigkeit nach mehreren Jahrzehnten zur Hauptsorge der Wirtschaftspolitiker. Zwar ist Österreich bisher kaum betroffen, doch läßt sich auch auf dem österreichischen Arbeitsmarkt ein grundlegender Wandel feststellen. Die Ursachen dafür liegen sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite.

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Die Arbeitsmarktsituation hat sich in den westlichen Industriestaaten seit der Krise des Jahres 1975 grundlegend gewandelt. War sie bis dahin durch Arbeitskräfteknappheit gekennzeichnet gewesen, die umfangreiche Wanderungsströme in Gang setzte, so wurde danach wieder Arbeitslosigkeit nach mehreren Jahrzehnten zur Hauptsorge der Wirtschaftspolitiker. Zwar ist Österreich bisher kaum betroffen, doch läßt sich auch auf dem österreichischen Arbeitsmarkt ein grundlegender Wandel feststellen. Die Ursachen dafür liegen sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite.

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In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg gingen von der Bevölkerungsentwicklung keine nennenswerten Impulse auf das Arbeitskräfteangebot aus. Die Nachfrage konnte nur durch bessere Ausschöpfung des Arbeitskräftepotentials, Strukturumschichtungen sowie letztlich durch Ausländer befriedigt werden. Für das nächste Jahrzehnt ist jedoch, nach zwei Studien des österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung, mit einer gegenteiligen Entwicklung zu rechnen, weil die aktiven Jahrgänge (16 bis 65 bzw. 60 Jahre) expandieren werden.

Der Bevölkerungszuwachs steht dem Arbeitsmarkt freilich nur nach Maßgabe der Erwerbsquoten, also des Anteils der Erwerbstätigen an der jeweiligen (Alters-)Gruppe der Bevölkerung, zur Verfügung. Diese prognostizierte das Institut für das Jahr 1980, wobei angenommen wurde, daß weder von der Pensionsgesetzgebung, noch von der Kinderzahl ein spürbar dämpfender Effekt auf die Erwerbsneigung zu erwarten ist. Der Einfluß steigender Heiratsquoten werde nur noch schwach sein und auch die Verringerung des Agraranteils die Erwerbsquote kaum mehr drücken. Der zunehmende Trend wird sich fortsetzen und nur der steigende Schulbesuch die Erwerbsneigung der jüngeren Jahrgänge senken. Unter Berücksichtigung dieser Erwerbsquoten, ihrer Veränderungen bis 1980 und der Annahme ihrer Konstanz bis 1985, ergab diese Berechnung zwischen 1975 und 1985 einen Zuwachs von 223.000 Erwerbstätigen.

Für das Angebot an inländischen unselbständigen Arbeitskräften ist weiterhin der Abgang an Selbständigen maßgebend. Dieser besteht zumindest in der Landwirtschaft hur zu einem Drittel aus echtem Berufswechsel, also Abwanderung und zu zwei Dritteln aus altersbedingtem Ausscheiden aus der Erwerbstätigkeit. Bei gegebener Erwerbstätigenzahl bedeutet jedoch dieser Abgang einen entsprechenden Zuwachs an Unselbständigen.

Zwischen 1975 und 1985 hätte sich nach der Prognose des Institutes für Wirtschaftsforschung der Bestand an Selbständigen in der Landwirtschaft sowie im Gewerbe voraussichtlich um 146.000 verringert. Daraus folgt, daß die Zahl der Unselbständigen im gleichen Zeitraum um rund 370.000 oder 14% steigen müßte.

Die Entwicklung der letzten Jahre gibt zur Überlegung Anlaß, ob nicht einige Prognoseelemente revisionsbedürftig seien und ob es nicht bereits möglich wäre, Anhaltspunkte für die Erwerbsquotenentwicklung zwischen 1980 und 1985 zu finden. So könnte die außerordentliche Zunahme der Frauenbeschäftigung eine stärkere Steigerung der Frauenerwerbsquoten herbeigeführt haben als dies angenommen worden war, anderseits dürfte sich die schwierige Situation auf den Arbeitsmärkten für Akademiker und Mittelschüler auf die Schulbesuchsneigung ausgewirkt haben. Obwohl diese Probleme untersucht werden müssen, ist dennoch nicht anzunehmen, daß solche Entwicklungen an den Größenordnungen der Prognose Wesentliches ändern könnten, so daß von 1977 bis 1985 mit einem zusätzlichen Angebot an inländischen Arbeitskräften von rund 300.000 Personen zu rechnen ist.

Die wichtigste der heute gestellten wirtschaftspolitischen Fragen ist jene, ob es möglich sein wird, diese Mengen von Arbeitskräften auch zu beschäftigen. Vorerst wäre doch darauf hinzuweisen, daß ein solcher Angebotszuwachs durchaus der Beschäftigungsausweitung in der Vergangenheit entspricht, ja erheblich unter jener des letzten Konjunkturaufschwunges liegt, die zwischen 1970 und 1974 rund 60.000 erreichte. Die Frage danach, ob das wachsende Arbeitskräftepotential im nächsten Jahrzehnt Arbeit finden werde, ist überhaupt nur als Folge des Rückschlages 1974/75 und der daraus entstehenden pessimistischen Grundstimmung, welche für alle westlichen Staaten charakteristisch ist, erklärlich. Tatsächlich sind einigermaßen seriöse mittelfristige Prognosen über das künftige Wirtschaftswachstum und damit der Arbeitskräftenachfrage schwer möglich, wiewohl es gegenwärtig offensichtlich nicht gelingt, dieses auf jene Höhe zu bringen, die es erlaubte, alle zusätzlichen Arbeitskräfte zu beschäftigen.

Unter welchen Bedingungen könnte es gelingen, bis 1985 Vollbeschäftigung sicherzustellen? Maßgebend dafür sind die Wachstumsrate des realen Brutto-Nationalproduktes, die Veränderungen der Arbeitszeit sowie schließlich jene der Arbeitsproduktivität.

Unterstellt man bis 1985 eine durchschnittliche Wachstumsrate des Brutto-Nationalproduktes von 4% und nimmt man an, daß die Arbeitszeit im gleichen Ausmaß gesenkt werden wird, wie vor der großen Reduktion 1970/75, dann könnte der österreichische Arbeitsmarkt im wesentlichen dann ausgeglichen bleiben, wenn die gesamtwirtschaftliche Beschäftigungsproduktivität auf dem vergleichsweise niedrigen Wert der letzten Jahre verharrt. (Dieser hängt freilich nicht unwesentlich mit dem starken Wachstum des Dienstleistungssektors in dieser Periode zusammen.) Unter diesen Bedingungen würde bis 1985 nur ein rechnerischer Arbeitskräfteüberschuß von rund 20.000 Personen entstehen. Eine Größenordnung, die durch Verringerung des relativ hohen Standes an ausländischen Arbeitskräften (1977: 188.900) kompensiert werden sollte. In einzelnen Jahren könnte freilich während konjunktureller Abschwungphasen Arbeitslosigkeit auftreten. Das gleiche gilt für die gesamte Periode, wenn die Wachstumsrate des realen Brutto-Na-tionalproduktes signifikant unter 4% fiele.

Sicherlich stehen in einem solchen Fall der Wirtschaftspolitik - beschränkte - Möglichkeiten offen, das Arbeitskräfteangebot zu verringern oder das nachgefragte Arbeitsvolumen auf mehrere Köpfe aufzuteilen. Dazu gehören weitergehende Arbeitszeitverkürzungen. Nur muß man sich bei Einsatz dieses Instrumentes vor Augen halten, daß es wie eine Lohnerhöhung wirkt, wenn es mit vollem Lohnausgleich realisiert wird. Es könnte also aus Gründen der Konkurrenzfähigkeit mit dem Ausland die Notwendigkeit entstehen, dadurch auf einen Teil der Lohnsteigerung zugunsten einer Beschäftigtenvermehrung zu verzichten. Überdies muß wohl auch vermerkt werden, daß eine derartige Umstrukturierung des Arbeitsvolumens in einer länger andauernden Wachstumsschwäche nur eingeschränkt funktionieren würde, weil die Unternehmungen dann vermutlich die Verringerung des Arbeitsvolumens einfach hinnehmen würden.

Weiters ließe sich das Arbeitskräfteangebot durch eine Verlängerung der Schulzeit reduzieren. Die Verringerung hätte im wesentlichen einmaligen Charakter und träfe ausschließlich Jugendliche. Es läßt sich also nicht annehmen, daß diese Reduktion - zumindest kurzfristig - ebenso wirkte, wie eine solche von erwachsenen Arbeitskräften. Stärker wäre vermutlich die Wirkung der Senkung des Pensionsalters, doch scheint der Einsatz dieses Instruments sozialpolitisch äußerst problematisch, weil das altersbedingte Ausscheiden aus dem Erwerbsprozeß schon heute vielfach als Schock empfunden wird, und brächte überdies eine weitere Erhöhung der Abgabenbelastung.

Eine gewisse Möglichkeit bestünde noch - sieht man von der auch nur begrenzten Möglichkeit einer weiteren Reduktion der Gastarbeiter ab - darin, die Teilzeitarbeit der Frauen zu forcieren, weil die Nachfrage danach bisher recht hoch schien. Doch sind nicht ohne weiteres wirksame Instrumente zu sehen, wie diese Beschäftigungsart vermehrt werden könnte, und auch hier ist die Annahme nicht von der Hand zu weisen, daß die Neigung zur Teilzeitbeschäftigung bei Stagnation sehr rasch zurückgehen würde.

Zusammenfassend ist also zu sagen, daß sich das Arbeitsvolumen wohl reduzieren läßt, daß das Ausmaß dieser Reduktion beschränkt ist und daß die Wirksamkeit der Instrumente in Stagnationsphasen vermutlich abnimmt. Die Wirtschaftspolitik sollte es sich daher angelegen- sein lasse*! - soweit ihr das die Entwicklung der Weltwirtschaft sowie des Preisniveaus erlaubt -das Keynessche Instrumentarium nicht über Bord zu werfen und expansiv vorzugehen.

(Der Autor ist Leiter des Referates für Arbeitsmarktforschung im Wirtschaftsförderung sinstitut)

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