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Blick durchs Schlüsselloch in die Ewigkeit

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Arthur Koestler, dessen Bücher vierteljährlich zu erscheinen pflegen, nimmt darin gewöhnlich zu den gerade brennendsten Problemen Stellung, um deren Lösung noch gerungen wird. Diesmal geht es um den Zufall, jenen Zufall, den man lange Zeit hindurch am Zaumzeug mathematischer Formeln vollkommen gezähmt zu haben glaubte, der aber nun, im Lichte neuerer Forschungen, insbesondere jener der Atomphysik, seine Verständlichkeit wieder eingebüßt zu haben scheint.

So zeigten schon in den dreißiger Jahren angestellte Experimente, daß unter Umständen, die man herbeiführen kann, die Zufallsgesetze ihre Geltung weitgehend verlieren können; daß man etwa beim Würfeln auffallend öfter die gewünschte Augenzahl erhält als statistisch vorauszusehen ist. Ebenso werden die von einer als Sender fungierenden Person aufgedeckten Bilder oder Zeichen von der Empfängerperson viel öfter richtig nachgezeichnet oder erraten, als erwartet werden kann. Eine Art von telepathischem Vermögen in uns scheint es mit dem Zufall aufnehmen zu können. Ob es sich dabei um Präkognition oder um Psychokinese handelt? Das ist hier die Frage. Ob wir, mit anderen Worten, was kommt vorauswissen oder es durch willentliche Anstrengung zum Kommen veranlassen, es gleichsam herbeizwingen? Aber haben wir übrigens nicht alle außersinnliche Wahrnehmungen? Wer von uns wüßte nicht von Ahnungen zu erzählen, die wir selbst oder die andere hatten, und die sich erfüllten? Derartige sogenannte ASW-Erlebnisse waren nun bislang Dinge, von denen sich unsere Schulweisheit nichts träumen ließ. Es könnte sein, daß die Beschäftigung mit ihnen dereinst Schulgegenstand wird. Man wird Erklärungen für sie suchen, wie man sie für den Magnetismus suchte und fand. v ^

Die Annahme ist begründet, daß nicht in alle Ewigkeit Erscheinungen, wie dem Hellsehen, der Psyohokine-se, dem Gesetz der Serie, oder der Tatsache synchronistischer Koinzidenzen der Geruch entweder des Betruges oder des Selbstbetruges anhaften wird. Stehen doch heute die atomistaschen Vorgänge mit ihren ganz offensichtlich gegen den Normalverstand gerichteten Ungereimtheiten gleichsam beispielhaft und Erklärung gebend für die Ungereimtheiten der parapsychologischen Vorgänge.

Um nichts befremdender als die „extra“ der extrasensorischen Wahrnehmungen sind die „extra“ der modernen Physik. Und wer sich scheut, an diesen zu zweifeln, weil es zugleich am Verstand der Wissenschaftler zweifeln hieße, wie sollte der es anders halten mit den Erscheinungen des PSI, das ist mit ASW und PK zusammengenommen? Muß er es nicht vielmehr befremdlich finden, wenn unsere Zeit, der Materie, Kausalität und Determinismus längst gestorben sind, nichts unternimmt, um Vorgänge, wie die Hypnose, diese anerkannte Macht in den Händen der Ärzte, endlich einer zeitgemäßen Erklärung zuzuführen?

Er, Koestler, findet es sehr befremdlich. Und er führt eine Reihe von Beispielen an, aus denen zu ersehen ist, daß die ASW-Forschung genauso wissenschaftlich wie jede andere ist. Er verweist darauf, daß unter den Präsidenten und Vizepräsidenten jener britischen Gesellschaft für Psyehical Research, die sich mit derlei Dingen jahraus jahrein beschäftigt, nicht weniger als vier Nobelpreisträger sich befinden. Vornehmlich Nobelpreisträger für Physik. Da ist zum Beispiel Wolfgang Pauli, der Erfinder, oder wenn man will, Entdecker des Aus-schließungsprinzdps, der über den Zusammenhang der Naturwissenschaft mit dem Mystizismus schrieb, wobei er, der exakte Wissenschaftler, sich nicht scheute, von den akausalen Ereignissen in der Mikrophysik auf ebensolche in der Makro-physik zu schließen. Bleibt die Seltsamkeit, daß die offizielle Wissenschaft es ablehnte, sich mit dem Problem der sinnvollen Zufälle zu beschäftigen.

Nach Koestler ist eine Revision der gegenwärtigen Anschauungen längst fällig. Es sei an der Zeit, von der nach-meChanistischen Naturwissenschaft endlich auch etwas zu lernen., Das Weltbild unserer Zeit hinke ein Jahrhundert hinter der Entwicklung der modernen Naturwissenschaften her. Diese Entwicklung kulminiert aber, nach Koestler, in einer gewaltigen Niederlage: Wir wissen nicht mehr, was die Dinge bedeuten, die wir entdeckten. Und er wagt den kühnen Vergleich der modernen Physiker, die immer neuen kleinsten Teilchen nachjagen, mit den Mystikern, die nach den letzten Dingen suchten. Würden wir uns der längst erwiesenen Unzulänglichkeit das'“ kausalen Dehk-gebäudes endlich ganz bewußt, wäre auch der Wag frei zur Erkenntnis, daß „Parapsychologie das bedeutendste Forschungsgebiet ist, das der menschliche 'Geist jemals in Angriff genommen hat“.

Auf die Frage, die der Leser nach diesem Glaubansbekenntnis dem Verfasser stellen möchte: Wird man die auf dem neuen Forschungsgebiet gemachten Erkenntnisse besser verstehen als die physikalischen, gibt er noch rasch selbst die Antwort: Wenigstens die Füllung sollten wir doch aus dem Schlüsselloch nehmen, durch das uns vielleicht gestattet ist, einen Blick in die Ewigkeit zu tun!

DIE WURZELN DES ZUFALLS. Von Arthur Koestler, Scherz-Verlag, Bern-München-Wien. 168 Seiten.

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