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Blick hinter den Spiegel

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Die Wiener Herbstmesse 1972 steht am Beginn einer neuen wirtschaftlichen Periode unseres Landes. Das Interimsabkommen Österreichs mit der EWG ließ uns Mitglied eines großen Freihandelsmarktes werden, der in der Wiener Messe eines seiner schönsten Schaufenster besitzt. So werden die Kontaktgespräche und die Geschäftsabschlüsse auf der Herbstmesse bereits im Zeichen des gegenseitigen Zollabbaues stehen. Viele neue Verbindungen versprechen, geknüpft zu werden, viele österreichische Firmen werden erstmals den Schritt in den Außenhandel wagen.

Die Handelskammer läßt in dieser entscheidenden Zeit ihre Mitglieder mit ihren Problemen nicht allein. Schon seit Monaten sind Bemühungen im Gange, Unternehmungen, die bisher noch nicht den Weg des Exports beschritten haben, dazu zu animieren. Das Risiko wird dabei weitgehend durch den praktischen Beistand der Kammer herabgemindert Während einerseits der ausländische Markt für das neue Produkt analysiert und die Kundschaft gesucht wird, erhält der Export-Neuling Schützenhilfe bei den ersten behördlichen Schritten und wenn es sein muß, sogar Dolmetscherdienste für die schriftliche Geschäftsanbahnung.

Um aber alle Unternehmer mit dem EWG-Abkommen vertraut zu machen, wird derzeit an einer Information gearbeitet, die schon in nächster Zeit den Mitgliedern der Wiener Handelskammer kostenlos zugehen und sie über die Einzelheiten des Vertrages unterrichten wird. Wie jeder Vertrag, bringt auch der Vertrag mit der Europäischen Gemeinschaft nicht allein einer Seite Vorteile — das wäre Utopie. In der Tatsache, daß unsere Wirtschaft nun einem Freihandelsmarkt von rund 300 Millionen Menschen angehört, in dem die Exporte jährlich 140 Milliarden Dollar ausmachen, liegen derart viele Chancen für unsere Zukunft, daß wir froh sein müssen, nach 14 Jahren endlich in diesen gemeinsamen Markt Einlaß gefunden zu haben.

Freilich, die wirtschaftlichen Erfolge, die wir uns erhoffen, werden uns, nicht in den Schoß fallen — in Zukunft weniger noch als bisher. Die Zollerleichterungen kommen nicht nur uns zugute, sie helfen auch der ausländischen Konkurrenz und das Angebot an fremden Waren in unserem Land wird größer sein als bisher. Wenn wir aber unsere ganzen Kräfte zusammennehmen, neue Wege der Zusammenarbeit suchen und jede Gelegenheit für Rationalisierungsmaßnahmen ausnützen, werden wir die Vorteile des neuen Wirtschaftsraumes bald erkennen.

Nicht in großen Serien und in Massenwaren liegen unsere Chancen, sondern in der anerkannten gediegenen Qualität unserer Produkte, in der flexiblen Möglichkeit, auf individuelle Kundenwünsche einzugehen und in der Fähigkeit, hochentwickelte und in aller Welt begehrte Spezialprodukte herzustellen.

Der letzte OECD-Bericht hat Österreich bescheinigt, daß es an der westeuropäischen Konjunkturab-schwächung fast vorbeigekommen ist. Das Wachstum unseres Nationalprodukts geht überdurchschnittlich vor sich, liegt sogar höher als jenes der USA und wird es — so die Fachleute in Paris — auch in den nächsten Jahren bleiben.

Was Wir allerdings brauchen, um dieser optimistischen Prognose zu entsprechen und um auf dem Freihandelsmarkt konkurrenzfähig zu bleiben, das ist eine Stabilisierung der Preise, ein Stop für die gar nicht mehr so schleichende Inflation.

Leider stehen hier die Aussichten nicht zum Besten. Mit den wiederholten Versuchen, Büttel und Paragraphen gegen Preiserhöhungen einzusetzen, kann man diesem Problem nicht beikommen. Wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten lassen sich nicht durch staatliche Zwangsmaßnahmen beeinflussen. Dort, wo dies versucht wird, scheitert der Staat, oft genug auch die Wirtschaft. In Österreich trägt die angespannte Arbeitsmarktlage — wir haben eine beneidenswerte Vollbeschäftigung, die nun schon längere Zeit anhält — zum Steigen der Löhne und damit der Preise aller Dienstleistungen und Produkte bei.

Die öffentliche Hand hat in den letzten Monaten wieder Tariferhöhungen durchgeführt, die prozentuell so hoch sind, daß jeder Privatunternehmer, der damit gleichziehen wollte, als Preistreiber gebrandmarkt werden würde. Alle diese Tarife sind Bestandteile der Preisbildung in Handel, Gewerbe und Industrie, i

Und nun kommt auch noch die Mehrwertsteuer auf uns zu, die dem Staat höhere Einnahmen und dem

Konsumenten höhere Preise bringen wird. Als Kenner der österreichischen Verhältnisse muß man leider jetzt schon befürchten, daß jene, die sich für eine Umstellung des Steuersystems innerhalb weniger Monate eingesetzt und die den Steuersatz mit 16 Prozent festgelegt haben, auch jene sein werden, die den Wirtschaftstreibenden die Verantwortung für kommende Preiserhöhungen unterschieben.

Das ist also die Lage zu Saison-:beginn. Wenn man von der Wiener Messe als 'einem Spiegelbild der österreichischen Wirtschaft spricht, so.trifft das zu und man kann sicher sein, daß auch diese Herbstmesse ein sehr schönes Bild widerspiegeln wird. Allerdings: ein Spiegel kann immer nur die Äußerlichkeit zeigen. Wenn sich dahinter Mängel oder Fehler verbergen, sieht man sie im Spiegelbild nicht.

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