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Blick zurück — im Unbehagen

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Das Bild, das am Abend des 23. Juni 1974 am Fernsehschirm zu sehen war, glich dem vergangener Präsidentschaftswahlsonntage : Verkündigung des Ergebnisses durch den Innenminister als Vorsitzender der Hauptwahlbehörde, Gratulation des unterlegenen Kandidaten, Dank des Siegers an jene Partei, die ihn als Kandidaten nominiert hatte, und an alle, de ihm die Stimme gaben, und schließlich die Bemerkung, daß man „den Wahlkampf als solchen“ nicht nachtragen soll, mit dem Zusatz: „Mit dem Vergessen ist es manchmal schwieriger...“ Die versöhnliche Stimmung dieses Augenblicks konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß diesem Ergebnis ein Wahlkampf vorausgegangen war, der sich in seinem Stil und in seiner Schärfe doch merkbar von den Wahlkämpfen früherer Präsiden'tschaftswahlen unterschied. Wahlkämpfe gehören gleichsam zum Alltag der Demokratie, sie sind Test für das demokratische Bewußtsein des Volkes, sie sind aber insbesondere auch Indiz dafür, inwieweit die politischen Parteien in der Lage sind, politische Kultur in einem Gemeinwesen zu erzeugen und zu verbessern. Unter diesem Gesichtspunkt kann man sich bei manchem, was sich während der letzten Wochen ereignete, ein Unbehagens nicht erwehren.

Die politische Qualität des vergangenen Wahlkampfes wurde maßgeblich von dem Umstand beeinflußt, daß die Wahlentscheidung — anders als früher — zur politischen und persönlichen Prestigefrage des Bundeskanzlers und Parteivorsitzenden der SPÖ wurde, sie war gleichsam eine „Kanzlerwahl mittels Stellvertreter“. In diesem Sinn war die Wahl eine eminent politische Entscheidung und nicht nur das Küren einer Va'ter-gestalt für sechs Jahre Amtszeit. Diese politische Relevanz stand von vornherein in einem Widerspruch zu dem Bild, mit dem die beiden Kandidaten in den Wahlkampf -zogen und das mehr oder weniger dem üblichen Klischee eines unabhängigen, um alle Staatsbürger bemühten Anwärters auf das Amt des Staatsoberhaupts entsprach. Man muß sich in diesem Zusammenhang allerdings die Frage vorlegen, inwieweit heute überhaupt noch mit dem Image der Unabhängigkeit in der Arena des Wahlkampfs agiert werden kann, besonders, wenn man sich vor Augen hält, daß die Wahlwerbung mit den Millionen und dem unerbittlichen Einsatz der gesamten Propagandamaschinerie der politischen Parteien durchgeführt wird und daß die Wahlkampfstrategen der Parteien nicht nur den Terminkalender des Kandidaten fixieren, sondern die Regieanweisungen für das Auftreten ihres Bewerbers planen und festlegen.

Daraus ist es wohl auch zu erklären, daß dem vergangenen Wahlkampf eine persönliche Note weitgehend fehlte. Was an Wahlwerbung geboten wurde, gehört zum Standard heutiger Präsidentschafts-kaimpagnen: Wahlbroschüren, die in zum Teil unerträglicher Penetranz die humanitären und sozialen Vorzüge der Kandidaten hervorstrichen; Komitees der Künstler, Bürgermeister und Sportler, die meistens mit prägnanter Banalität zu erklären versuchten, warum ihr Kandidat eben ihr Kandidat sei; Belangsendungen, in denen nicht nur einmal Schläge unter die Gürtellinie des politischen Gegners geschlagen wurden; und schließlich das obligate

Fernsehduell, von dem man in naiver Erinnerung an die seinerzeitige Auseinandersetzung zwischen Kennedy und Nixon annimmt, daß es wahlentscheidend sei, dessen politischer Informationswert aber — und das zeigte die Diskussion zwischen Kirchschläger und Lugger besonders deutlich — mäßig ist und das vom Betrachter eher als politischer Boxkampf (mit der Beurteilungsskala des Boxrings) gewertet wird, in dem den größten Anklang ein politischer „Cassius Clay“ findet. Alles das erzeugte eine Wahlkampfstimmung, deren negativer Auswuchs eine tätliche Auseinandersetzung zwischen Anhängern beider Kandidaten am Vortag der Wahl in Wien war; bezeichnenderweise geschah dies in der Bundeshauptstadt, wo man um die Grundregeln der Demokratie offenbar noch mehr ringen muß als anderswo.

Symptomatisch für die Schwierigkeiten, neue Konturen für das Amt des Staatsoberhauptes zu artikulieren, mag auch das häufige Berufen auf große Vorbilder sein. Kirchschläger wählte hiebel jene Aussage, die offenkundig am wirksamsten war, nämlich das Versprechen, seine Aufgabe so zu erfüllen, wie es die bisherigen vier Bundespräsidenten der Zweiten Republik getan hatten. Lugger berief sich daneben noch auf Julius Raab und auf Johannes XXIII. Dabei muß man sich jedoch im klaren sein, daß sich Bedeutung und Einflußmöglichkeiten des Bundespräsidenten je nach politischer Konstellation de facto wandeln lassen können. Zu Zeiten der Großen Koalition wurde die Stabilität der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse durch die beiden Großparteien gesichert, der politische Entscheidungsspielraum des Bundespräsidenten wurde durch die Partnerschaft der Koalitionsparteien ziemlich eingeengt. Dies erklärt auch die Vorsicht, mit der sich Körner, Schärf und Jonas während der Budgetkrisen der Jahre 1965, 1960 und 1965 einschalteten. Die Rolle des Bundespräsidenten gewinnt jedoch zweifellos an Bedeutung zu Zeiten einer Einparteienregierung oder einer Kleinen Koalition, egal, mit welcher Parteienkombination.

Aber nicht nur am Beispiel des Kabinettsbildungsrechtes zeichnen sich neue Dimensionen des Amtes ab. Das Recht der Beamtenernennung gibt dem Bundespräsidenten nicht nur die Möglichkeit, den parteipolitischen Einflüssen in der öffentlichen Verwaltung gewisse Hindernisse entgegenzusetzen, es würde ihn vielmehr legitimieren, sich aktiv in Diskussionen über Verbesserungen und Neugestaltungen der Personalstrukturen des öffentlichen Dienstes einzuschalten. Dazu war von beiden Kandidaten nichts zu hören. Ein anderes Beispiel sei noch erwähnt. Die juristischen Fachleute sind seit langem verschiedener Meinung, welche Inhalte in der Kompetenz des Bundespräsidenten als Oberbefehlshaber des Bundesheeres liegen. Es wäre durchaus denkbar, daß sich das Staatsoberhaupt in dieser seiner Funktion stärker in wehrpolitische Diskussionen einschaltet, nicht nur mit bekenntnishaften Reden, sondern vor allem auch mit konkreten Vorschlägen. Das würde keineswegs eine Arrogation von Zuständigkeiten der Regierung oder eines einzelnen Ministers bedeuten, es wäre viel-

mehr die Wahrnehmung einer aktiven Vermittlerfunktion, einer Funktion, bei der sich das höchste Staatsorgan nicht nur über die Nöte der Mitbürger und die Probleme der Gemeinschaft informiert, sondern — ausgestattet mit dem Auftrag des Volkes und der Autorität seines Amtes — agiert.

Von all diesen potentiellen Ansatzpunkten für ein neues Rollenverständnis war im letzten Wahlkampf nicht viel zu bemerken. Die Kandidaten profilierten sich im wesentlichen gleichartig, sie zeigten Konsens und Kontinuität in der Stilauffassung. Zur Belebung der Szene mußten daher die geeichten Wahlpropagandisten von Zeit zu Zeit auf die Pauke schlagen. Und da es über die Amtsauffassung beim Bundespräsidenten offenbar auch zwischen den Parteien keine gravierenden Unterschiede gibt, mußte man in persönliche Angriffe Zuflucht nehmen. Ob und wieweit der Wähler dadurch beeinflußt wurde, läßt sich nicht nachweisen.

Diese Feststellung ist bedauerlich, sie illustriert aber das Schicksal einer politischen Institution, wie es auch an anderen Beispielen gezeigt werden kann. Als man im Zuge der Verfassungsreform des Jahres 1929 durch die „Aufwertung“ des Bundespräsidenten ein politisches Gegengewicht gegenüber dem Nationalrat schaffen wollte, lag bereits dieser Reform ein Kompromiß zwischen der Christlichsozialen Partei und den Sozialdemokraten zugrunde. Erstere wollten nämlich den Bundespräsidenten zu einem echten politischen Faktor machen, die Sozialdemokraten verfolgten mit ihrem Konzept im wesentlichen das Ziel, dem Staatsoberhaupt im Rahmen der Verfassung lediglich die Rolle des obersten Repräsentanten des Staates ohne „echte“ politische Funktionen zuzubilligen. Das Ergebnis war dann eben jener Kompromiß, der im Amt des Bundespräsidenten eine Mischung von Repräsentationsaufgaben und echten politischen Entscheidungsbefugnissen (vor allem in Krisensituationen, wie das Notverordnungsrecht und das Recht der Parlamentsauflösung zeigen) vereinigte. Darüber hinaus wurde der Konsens zwischen Regierung und Staatsoberhaupt dadurch Resichert, daß der Bundespräsident im Regelfall nur über Antrag der Bundesregierung tätig werden kann.

Die institutionellen Beschränkungen sowie die Zurückhaltung, die die Inhaber dieses Amtes in der Zweiten Republik bei der Amtsausübung an den Tag legten, haben dazu beigetragen, daß das Bild des Staatsoberhaupts eher das einer Repräsentationsfigur ist. Es soll aber dabei nicht vergessen werden, daß der Bundespräsident auch in den wenigen Fällen, wo er echt politisch entscheidet, von der öffentlichen Meinung als Garant der politischen Ordnung akzeptiert werden muß. Dieser Prozeß des Werbens um die öffentliche Meinung beginnt mit der Kandidatur und muß sich bei der Amtsausübung fortsetzen.

So besehen, offenbart die Bilanz des abgelaufenen Wahlkampfes eine grundsätzliche Problematik. Es geht um den Stil von Wahlkämpfen, die trotz aller Intensität eine demokratische Erziehungsaufgabe zu erfüllen haben. Man sollte daher auch bei „Persönlichkeitswahlen“, wie sie die Bundespräsidentenwahlen sind, nicht vergessen, daß sie nicht nur eine Person zum Sieg führen, sondern daß sie das Verständnis für das Präsidentenamt in der breiten Öffentlichkeit verbessern und erweitern sollen. Daraus ergibt sich ein qualifizierter Maßstab für Fairneß und Stil des Wahlkampfs. Die Metamorphose des Parteikandidaten zum unabhängigen Staatsoberhaupt, zum über den Parteien stehenden Vermittler zwischen den politischen Kräften, muß nicht nur von demjenigen vollzogen werden, der in das Amt berufen wurde, sondern auch im Bewußtsein der Allgemeinheit verankert werden. Wahlkämpfe dürfen daher nicht Gräben aufreißen, die später nur schwer oder Vielleicht überhaupt nicht zugeschüttet werden können.

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