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Blickwende nach vorn ist fällig!

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Es mag verwundern, wenn ich einleitend einen Dichter des 19. Jahrhunderts zitiere. Er schrieb: „Keine Regierung und keine Bataillone vermögen Recht und Freiheit zu schützen, wo der Bürger nicht imstande ist, selber vor die Haustüre zu treten und nachzusehen, was es gibt.“

Der solches dachte und empfahl, war der Schweizer Gottfried Keller. Hinauszugehen, um nach Recht und Freiheit zu sehen, ist immer eine staatsbürgerliche, geistige und politisch verpflichtende Herausforderung, und sie ist in unseren Tagen in unserem Land aktueller denn je.

Was wir draußen vor der Haustür vorfinden, ist erschreckend. Ich bin weit davon entfernt, mich mit einer solchen Aussage jenen Defätisten, Untergangspropheten, Verbal-Erlösern oder Revolutionär-Dilettanten anzuschlie-

ßen, die allenthalben wieder Haupt und Stimme erheben. Es ist vielmehr die Sorge um Recht und Freiheit, Anstand und Würde. Diese erscheinen in unserem Vaterland bedroht.

Selbstverständlich ist gerade die junge Generation von den Po-litskandalen, der persönlichen Raffsucht mancher Machthaber und von der Wirtschaftskriminalität geschockt und abgestoßen. „Wir wollen nicht so sein wie Politiker“, schrieb jüngst eine Wiener Zeitung über das Ergebnis einer Rundfrage unter jungen Menschen. Die gesamte Szenerie in Österreich vergraust gerade der Jugend die Politik wie sie ist, wie sie sich geriert und darstellt. Das Klima in diesem Land läßt Vertrauen und Engagement schwinden.

In manchen westlichen Staaten wurde zuletzt geradezu der Slogan propagiert, man könne keinem Österreicher mit grauen Haaren trauen. Halten wir dagegen fest: es ist nicht die Schuld der Väter, der sogenannten „45er-Ge-neration“, einst gebildet von allen Demokraten, von den Heimkehrern aus den KZ wie den Soldaten von den Fronten, die damals aus einem Trümmerhaufen ein neues Österreich aufgebaut haben, bei Hungerrationen, wenn heute die politische Gegenwart in vielem armselig, in manchem konfus, in den letzten Erscheinungsformen sogar ekelhaft geworden ist. Dieses Österreich auf seinem Weg in die Zukunft hätte auch angesichts dieser fatalen Wahrheiten Vergangenheitsbewältigung zu betreiben. Sicher

können wir auf die DaWr aus dem Erinnern an die positive Zeit des Aufbauens der Zweiten Republik nicht leben und nicht die drängenden politischen Sorgen erledigen, aber ebenso sicher ist, daß daraus Gesinnung und Motivation wieder zu gewinnen wären. Statt dessen aber hat der Präsidentschaftswahlkampf uns an die Talsohle politischer Kultur und Gesittung gebracht.

Schon etwa vor einem Jahr war in der CV-Zeitschrift „Academia“ zu lesen: „Das Elend nach dem Krieg war unsere Glanzzeit. Unsere Sattheit, unsere Ideenlosigkeit, das ist heute unser Elend...“

Auch damit ist eine Wirklichkeit in unserem Gemeinwesen angesprochen, und auch ein solches Erkennen wäre Vergangenheits-

bewältigung im Sinne einer Gegenwartsbewältigung. Wie am Anfang unseres neutraten öster* ' reich das gemeinsame Schicksal im Vordergrund stand, so müßte Österreich heute wieder repräsentiert und regiert und in die Zukunft geführt werden.

Das Vaterland, sagte einmal ein Weiser, ist die Innenseite des Staates. Und ihm, diesem Vaterland mit seiner inneren Ausstattung an Moral, Ideen und Menschlichkeit, zu dienen, verlangt das längst fällige Umdenken.

So ist es nicht Parteiräson oder bloße Parteipolitik, sondern die Räson unseres Staates und unseres Volkes, baldigste Neuwahlen zum Nationalrat zu verlangen. Die Blickwende nach vorne ist geboten! Klärung und eine neue

Vertrauensbildung in die Redlichkeit des-politischen Geschäf-tes^int Hause Österreich zu •schaff'“ fen, dies ist geboten, um das Defizit Vaterland zu beheben.

Keine Generation, die Älteren und die Jungen nicht, darf in dieser entscheidenden Stunde der oft gehörten Formel „Politisch Lied ein . garstig Lied“ erliegen. Zu deutlich schon gibt es in manchen Kreisen unseres Staatsvolkes die Resignation und Apathie als eine Art Protesthaltung. Das „Gegen-Serum“ ist ein neues und bewußtes Engagement für Charakter und Verantwortung. Aus Haltung, Wissen, Leistung und Krea- . tivität ist jenes Engagement zu gestalten, das „vor der Haustüre“ für Recht und Freiheit, Sauberkeit und Selbstachtung virulent werden soll. Fern allen Pathos ist

die Selbstverständlichkeit eines aufgeklärten, wissenden und modernen Patriotismus dem ganzen demokratischen Leben Österreichs gegenüber zu erweisen. Solches muß zu unserem politischen Credo werden.

Jener Einzelfall literarischer Vaterlandshasserei, wie er vom Publicity-Schocker und Menschenfeind Thomas Bernhard bekundet wurde, als er just bei der Entgegennahme des österreichischen Staatspreises sagte „Wir sind Österreicher, wir sind apathisch ... wir haben nichts zu berichten, als daß wir erbärmlich sind...“, darf nicht Bestätigung erfahren und Recht bekommen. Patriotische Gefühlswallungen genügen nicht. Wir haben als Österreicher konkret und tatkräftig das Leben unseres Staates, die Gestaltung der Zukunft in unsere Hand zu nehmen. Wir haben zu schöpfen aus den Reservoiren unserer Geschichte, der ganzen Geschichte eines tausendjährigen Österreich. Wir haben zu schöpfen aus den Reservoiren der Wissenschaft und der Kultur und vor allem als gläubige Menschen aus den unvergänglichen, aber immer wieder neu zu formulierenden Wertvorstellungen unserer Religion.

Aus der ^Vergangenheit ist nichts zu verschweigen, nichts zu verniedlichen und nichts, was an Irrtümern, ja Unmenschlichkeit leidvoll geschehen ist, zu beschönigen. Aber verstehen müssen wir lernen, wie es eigentlich in der Geschichte unseres Jahrhunderts gewesen ist. Wir sollen wissen, daß manche katastrophalen Irrtümer, die die Menschen unserer Welt getroffen haben, aus einem einmal geschaffenen Unrecht gekommen sind. Wir müssen erkennen, daß die Irrlehren, vornehmlich des 19. Jahrhunderts, in einem ungezügelten Liberalismus, in einem totalitären Marxismus, in einem unerleuchteten Nationalismus zu Katastrophen geführt ha- ben: zum Verfall Europas, zu schrecklicher sozialer Not, zum Schädelgrundbruch im Niedergang des alten großen Österreich, zum Unrecht im Versailler Vertrag und zu St. Germain, zu einem Holocaust und zur unheilvollen Teilung Europas in Jalta^ Eine umfassende Geschichtsbetrachtung ohne Zweck-Propaganda und einseitige Kriminalisierung des Vergangenen wird zeigen, daß Schuldige und Mitschuldige überall zu finden sind, aber auch jene, die eine neue, humanere und menschlich befriedigende, sinnvolle Welt zu bauen bemüht waren und sind.

Der Autor ist Generaldirektor des Styria-Verlages in Graz und Herausgeber der FURCHE.

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