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Blinde Blindenführer

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„Freiheit gilt uns als höchster Wert“, steht als Leitmotiv über dem neuen Parteiprogramm der FPÖ. Und dementsprechend geht diese Partei auch an den Fragenkomplex „Biotechnik“ heran, wie die diesjährigen „Weissenseer Gespräche“ deutlich machten.

Sicher ist es verdienstvoll, daß sich auch die Freiheitlichen mit dem Thema auseinandersetzen, das die Leiterin des freiheitlichen Bildungswerkes, Sabine Engels, zurecht als „die Herausforderung für die Politik“ bezeichnete. Was bei dieser Auseinandersetzung aber herauskam, war typisch für die heutige Ratlosigkeit, die sich hinter selbstsicherem, strahlendem Optimismus verbirgt.

Am ehesten konnte man ihn noch den Naturwissenschaftlern nachsehen. Die Biologen Werner Nitzsche (Technische Universität, Berlin) und Hermann Katinger (Bodenkultur, Wien) zeigten -auf, welche Möglichkeiten die Biotechniken eröffen: Gegen Krankheiten resistente Pflanzen, Tests von Chemikalien an Tierzellen statt an Tieren, Konservierung von Erbgut, Bereitstellung von Hochleistungstieren, Erzeugung körpereigener Substanzen des Menschen in Bakterienkulturen (heute schon Insulin für Zuk-kerkranke)...

Keine Frage — es gibt atemberaubende Perspektiven. Biotechnik wird „das big business“ von morgen, wie Nitzsche feststellte. Die Medizin, die Landwirtschaft, die Viehzucht stehen vor sensationellen, neuen Entwicklungen. „Wir brauchen nur klug vorzugehen“, damit dem freien Spiel der Kräfte genügend Raum bleibt, setzt Katinger auf die Vernunft des Menschen.

Und die Politik? Sie solle der Wissenschaft durch Förderung Impulse geben und nur dann „eingreifen, wenn Gefahren unmittelbar bevorstehen“. So Katinger voll Zuversicht, als gäbe es keine

Umweltkrise — Folge der Zuversicht von Naturwissenschaftlern früherer Jahrgänge. Wer Einblick hat, „sei nicht beunruhigt“.

Zuversichtlich gab sich auch Alexander Stadler, Arzt an einer Klagenfurter Klinik, die Retorten-Befruchtungen durchführt. Man sei schon recht erfolgreich. „Es kommt darauf an, möglichst viele Eizellen zu gewinnen.“ Das erhöhe die Chancen erheblich. Und wenn ein Embryo „fehlerhaft“ ist? „Ich würde ihn nicht einsetzen. Es käme ja zu einer Fehlgeburt.“

Hier wird der Kernpunkt des Problems berührt: die Verfügung über alles, was wir antreffen, sogar über den Menschen. Was sagt da das Recht dazu?

Erwin Bernat, Grazer Rechtswissenschafter, sieht die Sache nüchtern: In überzähligen Embryos — sie werden tiefgekühlt für zukünftige Einpflanzung aufbewahrt — sei weder reales, mensch-, liches Leben verwirklicht noch eine vom Gesetz geschützte Leibesfrucht. Sonst käme man ja mit der Fristenregelung in Konflikt! „Soll denn der extrakorporale Embryo mehr Schutz genießen als der intrakorporale?“ Eigentlich logisch, nicht wahr? Ähnlich hatte schon Justizminister Harald Of-ner, pikanterweise einst Abtreibungsgegner, argumentiert (FURCHE 14/85). Frei nach Goethe: Das ist der Fluch der bösen Tat...

Natürlich wurde auch am Weis-sensee jeweils die nötige Dosis Beruhigungsmittel verabreicht: Alles müsse sehr verantwortungsvoll geschehen. Was das konkret bedeutet, sollte der Grazer Philosoph Kurt Weinke aus ethischer Sicht beleuchten. Aber was konnte er schon bieten ohne festen Bezugspunkt? Eine „moralische Kosten-Nutzen-Rechnung“, die auf ein Abwägen von Nützlichkeit hinauslief.

„Eine Handlung ist gut, wenn sie X nützt, Y nicht schadet.“ Als ob die Welt so einfach wäre. Neue Normen brauchten wir. Man müsse sie „den Gegebenheiten anpassen“, forderte Weinke. Nur, welchen Sinn können solche Normen haben, die gutheißen, was ohnedies geschieht? Die Abtreibungsregelung bietet dazu Anschauungsmaterial.

Kein Wunder, daß Weinkes Argumente auf eine „vorsichtig positive Stellungnahme“ für alles, was da auf uns zukommt, zielten. Selbst Experimente mit Embryos seien nicht ganz auszuschließen. Natürlich müsse man sehr restriktiv vorgehen und nur bis zum Alter, indem üblicherweise die Einnistung in der Gebärmutter stattfindet.

Blieb noch der Grazer Moraltheologe Alois Wolkinger. Er bewies, daß man aus jedem Fach zu jeder Aussage Experten findet. Seine Schlußfolgerungen unterschieden sich kaum von denen Weinkes. Es war auch kein Wunder, denn auch seine Überlegungen schienen nicht von einer letzten Autorität hergeleitet. Das Wort Gott nahm er nur einmal in den Mund, die Heilige Schrift erwähnte er nie. Päpstliche Äußerungen relativierte er durch Stellungnahmen von Moraltheologen. Und so lehnte er nicht einmal die Tiefkühlung von Embryos grundsätzlich ab - „bei unvorhergesehenen Ereignissen“.

Besorgt macht die Fortschrittfans nur das, was Zukunftsmusik ist. Die heutigen Schrecklichkeiten — etwa Versuche mit Embryos — werden heruntergespielt. Und langsam gewöhnen wir uns an sie. Und „blinde Blindenführer“ beschwichtigen uns. Schließlich seien wir ja vernünftig.

War das bisher ein seligmachendes Erfolgsrezept?

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