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Blüte im rauhen Gegenwind

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Die traditionelle Verflechtung von Religiosität und Nationalgefühl in der polnischen Kultur läßt es schwierig erscheinen, eine rein katholische Dichtkunst auszusondern. Mit dem Jahr 1939 begann jedoch eine Epoche, die Polens geistige Eliten sowohl fürchterlich in Mitleidenschaft zog als ethisch und weltanschaulich stark herausforderte. Das Ende von Krieg und feindlicher Besatzung, die Errichtung der Volksdemokratie brachten wiederum neue gesellschaftliche Bedingungen, hie Landflucht und Industrialisierung, da eine vom dialektischen Materialismus geprägte Bildungspolitik für breite, von komplizierten Denkprozessen bis dahin unberührte Massen.

Überdies waren billige Romantik oder sentimentaler Kitsch weniger gefragt denn je; schon die Generation der Zwischenkriegszeit hatte, beeinflußt vom französischen Neutho-mismus Jacques Maritains, eine katholische Erneuerungsbewegung in die Wege geleitet.

Den positivistisch, wenn auch, zum Unterschied von romanischen Ländern, nicht antiklerikal erzogenen Intellektuellen der Großstädte galt schon vor 1939 die Unzahl frommer Druckwerke, von denen der Markt überschwemmt war, als wertlos und verdummend. Unter dem Sozialismus sind nun die Katholiken genötigt, höchste Leistungen zu vollbringen, um den ideologischen Wettkampf mit dem Marxismus erfolgreich zu bestehen. Man darf es kühn behaupten: gerade heute eröffnen sich einer wertvollen christlichen Literatur in Polen große Chancen. Dies um so mehr, als der Staat zwar Beschränkungen auferlegt, doch innerhalb der gesteckten Grenzen das religiöse Schaffen nicht behindert.

So gibt es heute weit mehr erns_tzu-_ nehmende katholische Publikationen und Forschungszentren, als im Polen Pifsudskis. Die Kirche zieht manchen Gebildeten an, der in Westeuropa völlig abseits stünde. Von der jüngsten Generation hat freilich noch kein Dichter hohen Bekanntheits-grad erlangt, doch wird die aus christlicher Sicht betrachtete Frage nach Herkunft, Sinn und Ziel des Daseins immer wieder gestellt.

Die besten Werke seit 1945 stammen von Schriftstellern der alten Schule, die des Lateinischen, Griechischen, ja Hebräischen kundig waren. In Fortsetzung einer zunächst von Jözef Ignacy Kraszewski, dann von Henryk Sienkiewicz, schließlich von Zofia Kossak-Szczucka gepflegten Tradition des historischen Romans wandten sie sich während der vierziger und fünfziger Jahre der fernen Vergangenheit zu. Teodor Par-nicki, Antoni Goiubiew, WTadysTaw Jan Grabski, Janina Hertz und Jan Dobraczyhski schilderten das polnische Frühmittelalter. Der feurignaive Glaube der Christen des 10. und 11. Jahrhunderts, die Rolle der Kirche bei der Festigung von öffentlicher Moral und abendländischer Kultur, ebenso das schwierige Verhältnis zwischen geistlicher und weltlicher Macht kommen dabei zur Sprache. Alle sind Sünder, alle müssen Gott um Erbarmen bitten. Es heißt, Rache und Haß begraben, statt dessen lieben und verzeihen. Das deutsch-polnische Verhältnis, symbolisiert im Guten durch Kaiser Otto III. und Herzog Bolesfew, soll in völkerverbindendem Sinn entspannt werden.

Hanna Malewska studiert, an der Errichtung der Kathedrale von Be-auvais, den Menschen als Gegenstand der göttlichen Gnade. Die Entstehungsgeschichte des Doms klingt wie eine Hymne auf das Glaubensbekenntnis der christlichen Gemeinschaft. Ein anderer, zweibändiger Roman derselben Autorin zeigt die großen Umwälzungen zur Zeit der Völkerwanderung im Italien des 5. und 6. Jahrhunderts. Der Civitas-Dei-Gedanke des heiligen Augustinus steht hier zur Debatte, das Verhältnis zwischen greifbarem und übersinnlichem Geschehen. Dobraczyhski betrauert in einem Kaleidoskop der Kreuzfahrerstaaten des Mittelalters die durch Intoleranz und Überheblichkeit der fränkischen Herren verspielten missionarischen Chancen der Kirche im Nahen Osten.

Aus einer Reihe von Christusromanen ragen zwei grundverschiedene Werke unumstritten hervor: Jan Dobraczyriskis in fünfzehn Sprachen übersetzte Nikodemus-Briefe, entstanden 1952, und der vierbändige, internationaler Würdigung noch harrende „Jezus z Nazaretu" von Roman Brandstaetter, in Polen 1967-1973 erschienen.

Bei Dobraczyhski findet der zunächst skeptisch-abweisende Pharisäer Nikodemus stufenweise den Weg zum Erlöser. Christus dünkt ihm bald als Inbegriff aller Tugenden, dann als Gott, ein Gott der unermeßlichen Caritas. Die Hingabe an den Heiland bedeutet existentielle Befreiung des Menschen. Geschickt verwebt der Autor echte Bibeltexte mit den Schöpfungen seiner Phantasie zu einem faszinierenden Bild Palästinas vor zwei Jahrtausenden. Bei Brandstaetter ersteht in einer Art Entwicklungsroman der Gottmensch vor unseren Augen, in seinem konkreten, einengenden Erdenwallen, den gesellschaftlichen Bedingtheiten von Zeit und Ort freiwillig unterworfen. Er ist der jüdische Messias, dessen Wirken von den geheimnisvollen Weissagungen des Alten Testaments angekündigt wurde; das Neue Testament läßt sich nur als logische Fortsetzung des Alten begreifen. Die profunde Kenntnis der Tradition des Judentums ließ den getauften Enkel eines angesehenen Rabbiners die vielleicht faszinierendste Schilderung Jesu in der modernen Literatur geben.

Komplizierter gestaltet sich das PtiH dir TffHk Unerschütterliche Festigkeit im Glauben spricht aus 3?n Gedichten von Kazimiera Ifla-kowiczöwna und Roman Brandstaetter, der Christus und die Muttergottes besingt. Franziskanische Wärme und Menschlichkeit, zugleich der Schrei der Armen und Verzweifelten kennzeichnen die Verse des jungen Geistlichen Jan Twardowski. Auch zwei Auslands polen, der Amerikaner Ja-nusz Ihnatowicz und der Österreicher Bonifacy Miazek, erweisen sich, ein Novüm im polnischen Geistesleben, als dichtende Priester von Rang. Die bange Frage nach Gott und dem Sein stellen, bar jeder Sentimentalität, auch Tadeusz Rözewicz und Zbigniew Herbert. „Neubarocke" Bildungslyrik verkörpern Jarostaw Rymkiewicz und Jerzy Sito mit ihrer Vorliebe für Märtyrertum und Metaphysik. Tadeusz Nowak und Jerzy Harasymowicz hingegen bieten echt polnische, volkstümliche Religiosität.

Katholische Studententheater, durchwegs Liebhaberbühnen, führen Stücke von Claudel, Eliot, Chesterton, Graham Greene, Gheon und polnischen Vorkriegsautoren wie Ka-rol Hubert Rostworowski auf. Die Lubliner Universitätstruppe gastierte auch schon mehrmals im Ausland. Tadeusz Grotowski verwertete auf seiner Breslauer Experimentenbühne mit nackter Unmittelbarkeit Leidensszenen nach Calderön und Sibwacki. Das Drama von Wojciech Bäk über den heiligen Franz von Assisi kam nur einmal auf eine polnische Amateurbühne, während es sich in Österreich (Innsbruck 1963 und Klagenfurt 1965) weit besserer Aufnahme erfreute.

Auch auf dem Theater leistet Brandstaetter Bedeutendes, abgesehen vom existentialistisch angehauchten Jerzy Zawieyski. „Der Tag des Zorns", das Schicksal eines vor den Nazischergen wunderbar erretteten Juden, errang bei den Bregenzer Festspielen und am Burgtheater höchste Anerkennung. Daheim erschien das Stück in Buchform, fand aber nicht den Weg zu staatlichen Theatern.

Schließlich hat Karol WojtyTa, der polnische Papst, in Lyrik und Drama unter mehreren Decknamen den ethischen Problemen, die ihn bewegten, formschönen und starken Ausdruck verliehen.

Der weitere Weg des katholischen Schrifttums läßt sich schwer bestimmen; eine dichterische Verarbeitung des heutigen Alltags steht immer noch aus. Der Buchverlag „Pax", die Zeitschriften „Znak" und „Ty-godnik Powszechny", die Schriften der kirchlichen Universität Lublin (es gibt seit 1944 auch eine staatliche), zeugen jedenfalls von einem mannigfaltigen und regen, wenngleich mit erheblichen Schwierigkeiten konfrontierten Geistesleben.

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