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Blut auf dem Hügel

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Zum 30. Male jährt sich der Beginn des erbitterten Bingens um die Wege nach Rom und damit die Tragödie des Klosters am Monte Cassino. Es war ein Höhepunkt im Kampf zwischen Deutschland und den Alliierten — fast ein Wendepunkt im mediterranen Kriegsgeschehen.

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Zum 30. Male jährt sich der Beginn des erbitterten Bingens um die Wege nach Rom und damit die Tragödie des Klosters am Monte Cassino. Es war ein Höhepunkt im Kampf zwischen Deutschland und den Alliierten — fast ein Wendepunkt im mediterranen Kriegsgeschehen.

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Im Herbst 1943, also ziemlieh genau vor dreißig Jahren, trafen einander einige deutsche Truppenführer der süditalienischen Front in Ca-pua. General Conrath referierte über die durch den “Verlust Neapels entstandene Lage und erklärte voll Zuversicht, daß den alliierten Streitkräften vor Pescara an der Ostküste, und vor dem Monte Cassino im Westen ein für allemal Halt geboten werde und sogar entscheidende Gegenaktionen möglich sein dürften. Jedenfalls seien hervorragend gestaffelte Verteidigungsanlagen geschaffen worden oder im Entstehen, darunter die sogenannte Winterstel-lunig und, falls alle Stricke reißen sollten, die etwas weiter nördlich davon verlaufende Gustav-Linie. Bei letztgenannter Position käme allerdings dem 556 m hohen Monte Cassino mit seiner Abtei besondere Bedeutung als Riegel über dem Lirital, das den Weg nach Rom bilde, zu. Tatsächlich stünden von 24 deutschen Divisionen in Italien mindestens zehn bereit, um dort die Scharte von Salerno auszuwetzen. General Conrath berichtete abschließend über mögliche Finten beim Zurückgehen £>uf die geschilderten Linien und gab der Hoffnung Ausdruck, daß sich die Lage in Rußland ebenso konsolidieren werde wie hier.

Unter den Zuhörern des Generals befand sich auch jener ehemalige k. u. k. Offizier und spätere Oberstleutnant der deutschen Wehrmacht Julius Schlegel von der Panzerdivision „Hermann Göring“, der sich in den nächsten Wochen um die Kunstschätze Monte Cassinos besondere Verdienste erwerben SDllte. Er und alle anderen Kameraden konnten freilich nicht mehr lange in Capua verweilen, denn die Amerikaner griffen am 12. Oktober über den Volturno und von See her an. Capua wechselte einige Male den Besitzer und ging nach zwei Tagen endgültig verloren. Die Deutschen setzten sich planmäßig in ihre Stellungen entlang der Flüsse Garigliano und San-gro ab, wobei es ihnen nicht entging, daß die gefürchtete Überlegenheit des Feindes an Menschen und Material öfter zu wünschen übrigließ.

Der Blick, den man aus den Fenstern des gewaltigen Klosters gegen Süden genießt, dürfte in allen Jahrhunderten und zu jeder Jahreszeit überwältigend gewesen sein. Bis ans ferne Neapel dehnten sich Ebenen und sanfte Hügelketten, während im Osten und Norden kahle Felswände das Hochgebirge andeuten. Tief unter den Abstürzen des Monte Cassino liegt die Stadt gleichen Namens am Flüßchen Liri, das Bahn und Straße begleiten. Das Kloster gilt bekanntlich als die große Mutter europäischer Mönchskultur und hat die Entwicklung des Abendlandes seit 529 n. Chr. beeinflußt und miterlitten.

Sein Gründer, der heilige Benedikt von Nursia, wurde 480 n. Chr. in Umbrien als Sohn eines Landadeligen geboren. Nach einer Studienzeit in Rom zog er sich in die Gegend von Subiaco zurück, um das auch jetzt wieder gekämpft wurde. Drei Jahre lang dürfte er als Einsiedler in einer nahen Höhle gelebt haben, bis ihn die Mönche des Vicovaro-Klosters zu ihrem Abt ausriefen. Nun fand Benedikt Gelegenheit, seine damals umwälzenden Ideen christlich-abendländischer Ordenstätigkeit in die Tat umzusetzen. Zunächst stieß er bei vielen Mitbrüdern auf Widerstand und ein Giftanschlag zwang ihn, abermals in die Einöde zu gehen. Aber ab 520 n. Chr. hatte er mit zwölf neuen Klostergründungen, von denen die Abtei auf dem Monte Cassino am bedeutungsvollsten war, endgültigen Erfolg.

Das Schicksal sparte indessen nicht mit Prüfungen. Schon 581 verwüsteten die Langobarden die Stätte des Gebetes und der Arbeit, 883 erstürmten die Sarazenen Berg und Kloster. Auch während der normannischen Machtergreifung gab es bewaffnete Auseinandersetzungen um Monte Cassino, dessen Äbte sowohl in Rom als auch unter den süditalienischen Landesfürsten großen Einfluß gewannen. 1866 brachte der Konflikt der katholischen Kirche mit dem neuen italienischen Staat die Aufhebung des Klosters mit sich, doch wurde mehreren Mönchen gestattet, am Ort zu bleiben. 1929 erfolgte gemäß den Lateran-Verträgen die Wiedereinrichtung der Ordensgemeinschaft von Monte Cassino.

Am 14. Oktober 1943 erschien Oberstleutnant Schlegel an der Hauptpforte, durchschritt die drei großartigen, von Bramante geschaffenen Innenhöfe und ließ sich beim greisen Erzabt Gregorio Diamara, dem 297. Nachfolger des heiligen Benedikt, melden.

Schlegel will die Schätze des Klosters abtransportieren, wird zunächst abgewiesen, kommt jedoch am nächsten Tag wieder und darf mit der Vorbereitung seines Unternehmens anfangen. Innerhalb der nächsten fünf Wochen stellt er 120 Lastwagenladungen zusammen und bringt sie in das 140 km entfernte Rom, während die Front grollt und Tiefflieger die Straßen unsicher machen. Die Wagen der von ihm kommandierten Instandsetzungsabteilung der Panzerdivision „Hermann Göring“, die stets Material nach vorne bringen müssen, brauchen nicht leer zurückzufahren: 70.000 Bibliotheksbände, Pergamente, sakrales Gut und Gemälde, darunter Werke von Tizian, Raffael, Tintoretto, Breughel und Leonardo, erreichen die Ewige Stadt. Am Schluß sollen auch die Mönche das Kloster verlassen; der 80jährige Erzabt bettet die Gebeine des heiligen Benedikt in einen Handkoffer und gibt ihn den Deutschen mit. Ringsum ist bereits die Hölle los, Bomben und Granaten explodieren in den Flügeln des weitläufigen Bauwerks, während im Keller viele Zivilisten und Ordensleute die endgültige Evakuierung erwarten.

Die Winterstellung, in die sich die Deutschen zurückgezogen hatten, wurde in ihrem adriatischen Teil am Saragro Ende Oktober von der nachrückenden britischen 8. Armee, also den ehemaligen „Wüstenratten“, erreicht. Die Briten nahmen in erbitterten Straßenkämpfen ein paar Dörfer, darunter das alte Ortona am

Morobach, und blieben dann stehen. Der Weg nach Rom, das Anfang September 1943 den alliierten Wunschvorstellungen so nahe gerückt war, schien sehr beschwerlich zu sein und konnte, wenn überhaupt, so nur auf der tyrrhenischen Seite Italiens beschritten werden. Aber schon der Ubergang über den Volturno war für General Clark kein Spaziergang gewesen. Clark brauchte Wochen, um seine kampfesmüden Divisionen aufzufrischen oder zu ersetzen und ließ erst später im Jahr sein 2., 6. und 10. Korps die Caminoberge angreifen. Sogar königstreue italienische Truppen kamen jetzt auf seiner Seite zum Einsatz und ein französisches Expeditionskorps unter General Juin traf auf dem Kampfplatz ein: Marokkanische Soldaten erinnerten etwas an die Sarazenenzeit, ausgepumpte US-Einheiten lungerten in den Dörfern der Etappe und fütterten hungrige Kinder mit Keks und Dosenfleisch. Erst um Silvester wurde die vom Regen aufgeweichte deutsche Winterlinie durchlöchert und die 5. Armee schob sich langsam an das Hauptverteidigungssystem Hitlers in Italien, die sogenannte Gustav-Linie, heran. Die Engländer im Osten hatten zwar mittlerweile im Raum Campobasso mit seinen wilden Gebirgsszenerien etwas Boden gewonnen, aber viel schaute dabei auch nicht heraus. Das alliierte Hauptquartier im Mittelmeer unter General Alexander mußte sich vorerst damit zufriedengeben, 24 deutsche Divisionen auf der Apenninen-halbinsel gebunden und damit dem russischen Kriegstheater entzogen zu haben. Den Sowjets kam das zweifellos etwas wenig vor, und die deutsche Propaganda wurde nicht müde, die Diskrepanz der militärischen Anstrengungen des Feindes im Süden und Osten Europas anzuprangern.

Wie gesagt, Cassino sperrte den Eingang ins Lirital und damit die Verbindung nach Rom. Freilich gibt es noch eine zweite Straße unmittelbar entlang der Küste, wo einst die Via Appia verlief. General Alexander wollte womöglich beide Wege öffnen lassen, und Clark befahl zunächst seinem 10. Korps, vorzudringen. Aber der Durchbrach zum Liri, der den britischen Einheiten der 5. Armee anvertraut wurde, mißlang. Im Gegenteil, die 36. US-Division, die gleichzeitig damit über den Rapido ging, mußte unter schwersten Verlusten den Rückzug antreten. Im trüben Licht der Jännertage offenbarte sich den alliierten Befehlshabern eine sehr unangenehme Situation. Gleichzeitig mit dem Angriffsunternehmen über den Garigliano und Rapido war nämlich eine alliierte Flotte vor Nettuno und Anzio erschienen und hatte die ersten drei Divisionen des 6. Korps an Land gebracht. Ein großangelegtes Doppelunternehmen zur Einschnürung der deutschen Verteidiger um den Monte Cassino kam ins Rollen, dessen Erfolgschancen jedoch von Stunde zu Stunde geringer wurden.

Der Hügel 516

Die Häuserkämpfe im Städtchen Liri hielten über eine Woche an und verwandelten seine Baulichkeiten in Schutthaufen. Inzwischen erklommen alliierte Soldaten mehrere Felsblöcke im Norden und Nordwesten des Monte Cassino, und eine Handvoll Amerikaner erreichte an einer Stelle sogar die Mauer des Klosters. Da setzte der deutsche Gegenstoß ein und das Gefecht verlagerte sich weit ins Tal zurück. Schließlich suchte alles erschöpft zwischen Steinen und Morast nach Deckung; nur in den Feuerpausen wagten sich Sanitäter durchs Niemandsland, um Verwundete und Sterbende aufzulesen. Der Hügel 516, wie die Amerikaner den Monte Cassino bezeichneten, gehörte nach wie vor zum Besitztum deutscher Fallschirmjäger, der Wiener Deutschmeisterdivision, der deutschen Gebirgsjäger und Infanteristen. Nur die Panzerdivision „Hermann Göring“ mußte jetzt hauptsächlich gegen den bei Nettuno und Anzio gelandeten Feind anrennen.

Anfang Februar traf ein neuseeländisches Korps, das aus der 2. Neuseeländischen Division, der 4. Indischen Brigade bestand, vor Cassino ein und übernahm den Angriff. Die Neuseeländer waren hinsichtlich der Unantastbarkeit des Klosters, von der die Deutschen in ihren Rundfunksendungen wiederholt sprachen, weniger beeindruckt. Das Korpskommando verlangte massive Unterstützung seiner Operation durch die amerikanischen Luftstreitkräfte. Die 15. strategische Bomberflotte, die sonst meistens über Norditalien, Österreich und dem Balkan tätig war, flog daraufhin am 15. Februar 1944 ihre erste, fürchterliche Attacke auf Berg und Kloster.

Die deutsche Propaganda nützte diesen Schlag weidlich aus, um das „kulturschänderische Treiben der Yankees“ anzuprangern und versicherte, daß in der Abtei selbst keine militärischen Einrichtungen vorhanden gewesen wären. Jedenfalls kamen weder die Neuseeländer noch die Inder nachher über die Hälfte der Ruinen der Stadt Cassino am Fuß des Hügels 516 hinaus. Anfang März erschienen abermals 500 schwere Bomber und pflügten das Tal, die Flanken des Berges und die Trümmer des Klosters um. Nach heftigem Trommelfeuer tasteten sich die Neuseeländer wieder vor, indische Stoßtrupps nahmen die Koten 193 und 165 sowie den Henkershügel. Doch die 1. Deutsche Fallschirmjägerdivision, die den direkten Anordnungen Hitlers unterstellt worden war,-hielt einen Teil der Ansiedelung sowie den Monte Cassino weiter und schlug alle Angriffe zurück. Alexander und Clark mußten sich die neuerliche Niederlage eingestehen. Sie konnten froh. sein, daß wenigstens Nettuno und Anzio, wo ebenfalls sehr prekäre Situation gemeistert werden mußten, in alliierter Hand verblieben.

Der letzte Schlag

Im April verschlechterte sich die allgemeine Position des Dritten Reiches und seiner Bundesgenossen. Der russische Feldzug mußte verlorengegeben, eine bevorstehende Landung der Anglo-Amerikaner irgendwo im

Westen als sicher angenommen werden. Die alliierte Luftoffensive von England und von Süditalien her zerschlug eine deutsche Stadt nach der anderen, die Gegenwirkung kommender Wunderwaffen erschien fraglich. Angesichts dieser Situation beschleunigten die Verschwörer gegen Hitler ihre Vorbereitungen, damit durch seinen Tod gerettet werde, was noch zu retten war.

Bei Monte Cassino spürte man nur wenig von solchen Absichten. Kesselring hatte mehr als zwölf Divisionen zwischen der Adria und dem Tyrrhenischen Meer innerhalb der anscheinend unüberwindlichen Gustav-Linie umgruppiert und dahinter für alle Fälle noch eine sogenannte Hitler-Linie von Terracina bis Aquino aufgebaut. Fünf deutsche Divisionen hielten Nettuno und Anzio in Schach, die Pontinischen Sümpfe, die zwischen der Cassino-Front und dem Landekopf lagen, wurden überflutet. Mittlerweile ließen britische Flieger den Pescaradamm in die Luft gehen und verursachten damit einen ähnlichen Wasserwall, der jedoch den alliierten Stellungen an der Adria zugute kam. Denn die Entscheidung mußte nach wie vor am Monte Cassino fallen, die anderen Schauplätze sollten erst etwas später reaktiviert werden.

Der Operationsplan hatte sich seit dem Winter wenig geändert. Jetzt wie damals hieß es, die Verbindung durchs Lirital und die Küstenstraße freizukämpfen und die Einkesselung der Deutschen mit Hilfe der aus Nettuno und Anzio ausbrechenden Verbände Truscotts anzustreben. In der mörderischen Woche nach dem 11. Mai 1944 rissen die alliierten Truppen endlich die Gustav-Linie auf und stießen in die Hitler-Linie . hinein. Die Franzosen eroberten den Monte d'Oro und den Monte Chiavica. Die Polen arbeiteten sich durch die Felsen hinter Cassino und trafen dort auf britische Vorhuten, die aus der anderen Richtung kamen. Die deutschen Stellungen in der Stadt waren damit umgangen, Cassino so gut wie erledigt. 1500 Angehörige der Hitler-Wehrmacht ergaben sich nach dieser Umzingelung inmitten des Gerölls der einstigen Häuser. Das Kloster oben am Berg wurde wertlos, nach dem rechts und links nichts mehr zu halten war. Überall zogen sich die Deutschen zurück, und die obere Lirisenke bot sich den Verfolgern dar, die an mehreren Stellen zum Fluß abstiegen. Entlang der Küstenstraße nahmen die Amerikaner Formia und zwangen den Gegner in einer dreitägigen Schlacht zur Flucht. Viele deutsche Bergstellungen, die vom Meer aus erreicht werden konnten, mußten aufgegeben werden, und das alte Terracina fiel nach erbitterten Kämpfen. Es dürfte kurz nach dem 18. Mai 1944 gewesen sein, als eine alliierte Patrouille unter den Ruinen der Abtei des heiligen Benedikt stand und den Geruch des zerteilten, uralten Mauerwerks spürte. Das Schweigen, das hier der Herbst des Vorjahres unterbrochen hatte, war wieder da.

Jenseits des Gebirges aber richteten bereits tausend amerikanische Feldkanonen ihre Mäuler auf Cister-na, aus dem die Panzer der todwunden 14. Armee des Generals Mackensen noch siebenmal hervorbrachen, bevor sie verbrannten.

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