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Blut, Schweiß und Tränen — und Tinte

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Einen „schwarzen Oktober“ hat Moshe Dayan den Arabern beim Ausbruch des vierten Israel-Kriegs prophezeit, und „Schwarzer Oktober“ nennen die deutschen Journalisten Werner Meyer und Carl Schmidt-Polex ihre Darstellung dieses Krieges. Ihr Buch erschien schon 1973, als einschließlich der Wunden noch alles offen war, und so riskierten sie Mängel und Irrtümer. In der Bescheidung jedoch, „nicht die große, umfassende Geschichte eines Krieges liefern“ zu wollen, „sondern Bilder aus der Schlacht; Reportagen und Hintergründe, Tragödien und auch Grotesken“-: in dieser Bescheidung ist ihnen jedenfalls eine taktvolle und verständige erste Sammlung all dessen gelungen, was in den Kriegswochen selber erst einzelweis, widersprüchlich und nicht einordenbar von den Massenmedien ausgestreut' worden war.

Nicht ein Duo, sondern ein ganzes Rudel von Reportern und Redakteuren, das Sunday Times Insight Team, hat das Buch „Der Wüstenkrieg“ verfaßt, das aber auch des etwas späteren Erscheinungstermines wegen viel mehr berichten und viel mehr analysieren kann: von der diplomatischen Vorgeschichte, in welcher Israel keineswegs immer weise agiert hat, bis zu der Kumpanei der beiden Supermächte, deren politische Handlungsfreiheit aber gerade durch ihr beiderseitiges atomares Vernichtungspotential relativ beschränkt bleibt, so daß die Anzahl der Stellvertreterkriege eher zu- als abnehmen wird.

Was den Krieg selber betrifft, stellen die Verfasser zuerst einmal den weit verbreiteten Irrtum richtig, daß Israels Armee von den Amerikanern auch nur halbwegs ausreichend gerüstet und versorgt gewesen sei; so fuhren manche Panzerbataillone noch mit dem (allerdings modernisierten) „Sherman“, der schon bei seiner Einführung im Zweiten Weltkrieg nicht alle in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt hat. Das Buch nennt glaubwürdig einige Gründe für das Versagen der Geheimdienste, die zwar die Tatsachen erkannt, aber falsch beurteilt hatten; die Schuld an der Krise liegt also eigentlich bei der politischen Führung Israels (mit Ausnahme des Warners Dayan) und nicht minder der USA. Die Problematik des Panzers — die, nebenbei bemerkt, den Fachleuten keineswegs erst durch den Jom-Kippur-Krieg ins Bewußtsein getreten ist! — wird mit aller gebotenen Vorsicht skizziert; und die personellen Verluste der Israelis, allgemein als sehr hoch bezeichnet, erscheinen hier, in Anbetracht der fatalen Ausgangslage sowie deren spektakulärer Meisterung, als vergleichsweise gering. Aus der Analyse der Kampfhandlungen schließen die Verfasser, im großen ganzen wohl richtig, auf die noch immer bestehende technologische Überlegenheit des Westens. Und sie machen — um ein weiteres Beispiel zu geben — mit Nachdruck darauf aufmerksam, daß eine Befolgung der Sicherheitsratsresolution vom 22. Oktober rein technisch gar nicht durchführbar war, und zwar für keine der beiden Parteien: man kann eben Kampfhandlungen nicht ab-oder unterbrechen wie eine Schachpartie!

Um so bedauerlicher, daß in dem Blitzkrieg um den Erscheinungstermin die deutsche Übersetzung mitunter Verluste hinnehmen mußte: FROG heißt im militärischen Sprachgebrauch nicht „Frosch“, sondern steht für „free rocket oVer ground“, zu deutsch: ungelenkte Boden-Boden-Rakete; und das islamische Heiligtum auf dem Tempelberg von Jerusalem heißt auch in englischer Transskription nicht „Aksay-Mo-schee“, sondern al Aksa.

Von wirklich gravierenden Fehlern aber strotzt „Die Schlacht um Israel“ von Gerhard Konzelmann; in einem Buch mit gerade diesem Titel sollte der militärische Dilettantismus keine solchen Triumphe feiern dürfen: Die alte russische „Haubitze M-38 vom Kaliber 12,2 Zentimeter hat panzerbrechende Kraft bis zu einer Entfernung von 8000 Metern“ — ein Wunderwerk der Waffentechnik! Die Kämpfe auf dem Westufer waren „eine Schlacht nach dem russischen Rezept ,Stalingrad'“ — ganz im Gegenteil: Stalingrad war eine Umfassungsschlacht nach dem Rezept „Cannae“, Sharons waghalsiges Unternehmen ein Durchbruch im Zentrum der feindlichen Front mit einem anschließenden Linksahmarsch zur Einschließung des rechten Feindflügels. Die Behauptung: „Im Prinzip kann ein Panzer nur von einem Panzer abgeschossen werden, Abschußerfolge durch Waffen der Infanterie sind Ausnahmen“ ist keine „Grundregel“, sondern purer Quatsch: Soldaten der Deutschen Wehrmacht haben im Zweiten Weltkrieg rund 11.000 Feindpanzer im Nahkampf vernichtet, und die russischen PAK-Fronten waren den deutschen Panzern oft viel gefährlicher als der T-34. Und schließlich gar: „Wenige Stunden nach dem Angriff der Phantoms auf Damaskus war an der Front die Unsicherheit zu spüren, der Druck auf die israelischen Stellungen ließ nach. Die syrischen Frontoffiziere hatten Mühe, die Moral aufrechtzuerhalten.“ Abgesehen davon, daß ein Luftangriff gegen zivile Ziele im Hinterland kaum in „wenigen Stunden“ sich bis in die vorderen Linien durchspricht, bewirken solche Angriffe erfahrungsgemäß keine Demoralisierung der Fronttruppe, sondern steigern eher deren Kampfgeist bis zur Erbitterung.

Ganz unverkennbar aber spukt Ideologie in die laut Klappentext „ebenso brillante wie transparente Bestandsaufnahme“, wenn Konzelmann, bar jeder ethnologischen Ahnung, hinschreibt: „2,5 Millionen Palästinenser haben einst als arabisches Volk auf dem Territorium des heutigen Israel und der besetzten Gebiete gelebt“; wie würde er, bitte, reagieren, wenn man die seit 1945 von Westdeutschland integrierten Volksdeutschen ein „Volk“ nennte mit Besitzansprüchen von der Wolga bis Siebenbürgen, vom Baltikum über Brünn und das Banat bis Gottschee? In edler Einfalt vermeint er, „daß Tel Aviv bisher noch immer die Hauptstadt Israels ist“, wie wenn es nicht auch im Orient die von Brandt und Breschnjew einvernehmlich so genannten „Realitäten“ gäbe! Ist das wirklich nur typisch deutsche Schlamperei oder nicht doch schon antizionistische Gehässigkeit, wenn Konzelmann den israelischen Politiker Begin „für zahllose(!) Morde an Soldaten der britischen Protektionsmacht und an Arabern“ verantwortlich macht, die Ermordung von Juden wie NichtJuden durch palästinensische Extremisten hingegen toleriert? Natürlich sagt er nicht, daß er ein Feind der Juden und ihres legitimen Staates ist; seine (allerdings mehr aus Affekten gespeiste, als durch Argumente gestützte) Gesinnung flößt er dem Leser in gleichsam nur homöopathischen Dosen ein: etwa wenn er durch falsche Zahlen und einen falschen Zungenschlag suggerieren will (Seite 256), daß die Zahl der emigrationswilligen Sowjet Juden sowieso nur minimal sei. Und zum Schluß entblödet dieser Autor sich nicht, den Israelis Etzes zu geben: „Israel muß(!) bereit sein, sich unter Aufgabe der elitären Arroganz in seine Umgebung im Nahen Osten einzuordnen.“ Das hieße konkret: es solle sich von seinem Urbanen Status zu dem präurbanen Status der Araber, von einer logosorientierten zu einer mythosorientierten Kultur zurück entwickeln,

Konzelmanns Buch ist somit eine Werbung für die beiden andern, wiewohl auch diese an mancher offenen Frage vorbeigehen; zum Beispiel an der, ob arabische Staaten, deren politische Führer meist ja nur infolge von Duldung durch das Militär, die Großgrundbesitzer usw.) regieren können, ob diese Staaten einen gravierenden Vertrag also überhaupt einhalten können. Das Sunday Times Team erinnert zumindest daran, daß selbst Sadat nie von Frieden im Sinn von Versöhnung (arabisch „Sulch“), sondern stets nur von Frieden im Sinn des Fehlens von kriegerischen Handlungen („Salam“) gesprochen hat. Offen bleibt auch 'die Frage, wie lang die Sowjetunion insgeheim an der Existenz eines relativ starken Israel interessiert bleibt, da nur dieses ihr das Alibi verschafft für Ihre gigantische militärische Präsenz am und dm örtlichen Mitteimeer. Und nicht zuletzt auch die Frage, wann die linksliberalen Papierkrieger des Westens, nachdem Südvietnam von ihnen im fürchterlichsten Wortsinn abgeschrieben worden ist, zum verbalen Generalangriff gegen das „kapitalistisch -ämperialistisch-faschi-stisch-militaristische“ Israel blasen.

SCHWARZER OKTOBER. 17 Tage Krieg um Israel. Von Werner Meyer und Carl Schmidt-Polex. Verlag R. S. Schulz, Percha am Starnberger See, 1973.

DER WÜSTENKRIEG. Die dramatische Geschichte der Schlacht um Golan und den Suezkanal. The Sunday Times Insight Team. Aus dem Englischen von Günter Danehl. 255 Seiten. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1974.

DIE SCHLACHT UM ISRAEL. Der Krieg der Heiligen Tage. Von Gerhard Konzelmann. 289 Seiten, mit mehr als 80 Dokumentarphotos und 5 Kartenskizzen. Verlag Kurt Desch, München-Wien-Basel 1974.

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