6848266-1976_34_01.jpg
Digital In Arbeit

Blutiges Ende am Thymianhügel

19451960198020002020

Im Flüchtlingslager et-Tell es-Zaatar („Thymianhügel'-), «las von über viertausend christlichen Milizionären nach vierundfünf -zigtägiger Belagerung und einundsiebzig Großangriffen gestürmt und besetzt Wurde, wehrten sich auch tags darauf noch fünfzig bis hundert Terroristen in unterirdischen Gängen und ebenerdigen Verschanzungen verbissen gegen die Belagerer. Schußwechsel waren jedoch nur noch vereinzelt zu hören, die letzten Verteidiger litten unter Munitions-, Lebensmittel- und Wassermangel. Im übrigen Lagergebiet herrschte Ruhe.

19451960198020002020

Im Flüchtlingslager et-Tell es-Zaatar („Thymianhügel'-), «las von über viertausend christlichen Milizionären nach vierundfünf -zigtägiger Belagerung und einundsiebzig Großangriffen gestürmt und besetzt Wurde, wehrten sich auch tags darauf noch fünfzig bis hundert Terroristen in unterirdischen Gängen und ebenerdigen Verschanzungen verbissen gegen die Belagerer. Schußwechsel waren jedoch nur noch vereinzelt zu hören, die letzten Verteidiger litten unter Munitions-, Lebensmittel- und Wassermangel. Im übrigen Lagergebiet herrschte Ruhe.

Werbung
Werbung
Werbung

Obgleich die christlichen Behörden das Lager sofort nachher Eroberung wegen der überall angelegten Minengürtel und der Seuchengefahr zum militärischen Sperrgebiet erklärt hatten, erhielten Journalisten die Erlaubnis zur Besichtigung. Das „Flüchtlingslager“ ist im Osten Beiruts gelegen und ein in normalen Zeiten von etwa dreißigtausend Menschen bewohnter Stadtteil mit Apartmenthäusern, Ein-familien-Siedlungen und Fabriken. Hier lebten früher Schiiten, und seit 1948 wurde das Gebiet allmählich zu einer Hochburg der Palästina-Flüchtlinge. Seit dem Kairoer Abkommen von 1969, das von dem verstorbenen ägyptischen Diktator Gamal Abdel Nasser vermittelt worden war und den Angehörigen der „Palästinensischen Befreiungs-Organisation“ (PLO) die waffentragende Präsenz im Libanon zugestand, verwandelte die PLO das Gebiet in eine waffenstarrende Festung. Leichte und schwere Waffen, riesige Munitionsmengen wurden ungehindert aus Syrien eingeführt.

Die Christen fingen eine von PLO-Chef Jassir Arafat unterzeichnete Funkmeldung an die letzten Verteidiger auf, wonach diese sich nur dem Internationalen Roten Kreuz ergeben sollten. Diese Funkmeldung beweist übrigens die Verantwortlichkeit Arafats für den Terror im Libanon. Das Kommando im Lager hatte nämlich bis zuletzt die von Georges Habadhe geleitete linksradikale „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ (PFLP).

Etwa zwölf- bis fünfzehntausend Lagerbewohner wurden in den muselmanischen Westen Beiruts umgesiedelt. Vorher wurden sie vom christlichen Sicherheitsdienst streng unter die Lupe genommen. Wer im

Verdacht“ stand, zu den Terroristen zu gehören, wurde abgeführt. Im Gewahrsam der Christen befinden sich auch einige Dutzend Ausländer, darunter zwanzig Japaner, offenkundig Angehörige der dortigen anarchistischen „Roten Armee“. Etwa sieben Personen sprechen Deutsch, aber man weiß noch nichts Genaues über ihre Herkunft und Identität. Sie behaupten, Staatsangehörige der DDR zu sein. ,

Die PLO spricht in ihrer Propagandalegende, an der sie sogleich nach Bekanntwerden der Lagerstürmung zu weben begann, von einem „Schwarzen August“. Im sogenannten „Schwarzen September“ haben die regulären jordanischen Streitkräfte 1970 den Widerstand der Freischärler gegen die legale Regierung König Husseins niedergekämpft. Damals sprach die PLO von mindestens fünftausend Toten. Später stellte sich jedoch heraus, daß die Zahl der Opfer weitaus geringer war. Auch in et-Tell es-Zaatar kam as bei der Erstürmung keineswegs zu geplanten Massakern. Es gab lediglich einige persönlich motivierte Racheakte für die Verschleppung von siebenundfünfzig Frauen und Kindern in die Gewalt der Terroristen.

Die Lagereinwohner befinden sich im Zustand totaler Erschöpfung und Verschmutzung. Obgleich die PLO über riesige Lebensmittelbestände im Lagerbereich verfügte, ließ sie die Zivilisten hungern und hinderte sie, nach Aussagen von Flüchtlingen, gewaltsam am Überlaufen durch die gegnerischen Linien. Die Christen haben unverzüglich eine Versorgung mit Lebensmitteln und Wasser sowie Medikamenten in Gang gebracht und Ärzte in das Lagergebiet entsandt. Sie wollen durch rückhaltlose Offen-

heit gegenüber dem Roten Kreuz und der Weltöffentlichkeit dafür sorgen, daß keine neue Legende von einem Massaker an den Flüchtlingen aufkommen kann.

Von christlicher Seite wünscht man auch Klarheit über die von den Terroristen in der Belagerungsperiode an ihren Gefangenen und der Zivilbevölkerung begangenen Verbrechen. Die Verantwortlichen dafür sollen zur Rechenschaft gezogen werden. „Die Welt, und vor allem die Araber, sollen deutlich und klar wissen, was sie zu erwarten haben“, sagte uns ein christlicher Sprecher, „wenn sie es zulassen, daß solche Verbrecher irgendwo die Macht an sich reißen“. Der Fall des Thymian -hügels ist nicht gleichbedeutend mit dem Ende des palästinensischen Terrors. Doch es scheint sich zu bewahrheiten, daß der Bürgerkrieg im Libanon zum Grab der Hoffnung des palästinensischen Volkes auf eine eigene freie Heimat geworden ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung