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Blutrachekomplexe

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Die westlich erzogene Be- nazir Bhutto ist in Pakistan gescheitert* Demokratie hat offenbar keine Chance in einer Feudalgesellschaft, die von Korruption und Nepotismus lebt.

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Die westlich erzogene Be- nazir Bhutto ist in Pakistan gescheitert* Demokratie hat offenbar keine Chance in einer Feudalgesellschaft, die von Korruption und Nepotismus lebt.

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Benazir Bhuttos Schicksal war besiegelt von dem Tag an, da sie 1988 die Regierung Pakistans übernahm. Ihr Vorgänger, Gene- ral Zia ul-Haq, hinterließ einen Machtapparat aus Beamtentum und Militär, an dem sich Außen- seiter allenfalls die Zähne ausbei- ßen können.

Die hohen Staatsbeamten und die mit ihnen verschwägerten hohen Offiziere sind außerdem stockkon- servativ, viele bekennen sich zum Islamismus, einer faschistoiden

Ideologie, die sich aus dem islami- schen Fundamentalismus herleitet. Bei den freien Wahlen von 1970 und 1976 hatte ihnen Benazirs Vater, Zulfikar Ali Bhutto, schwe- re Schlappen zugefügt. Aus Rache ließen sie ihn nicht nur stürzen, sondern auf schmähliche Weise im Gefängnis ermorden.

In einer Feudalgesellschaft wie der pakistanischen entwickeln sich aus solchen Konflikten Blutrache- komplexe, die sich über Generatio- nen hinziehen. Benazirs Stärke bei der Landbevölkerung und dem städtischen Lumpenproletariat liegt darin, daß sie als rächender Engel auftritt, sozusagen als Re- inkarnation des „Märtyrers Bhut- to". Sie kann auf diese Dramatik nicht verzichten, ohne einen Teil ihrer Anhängerschaft zu verlieren.

Die Gegenseite fühlt sich erst dann befriedigt, wenn sie die Toch- ter des toten Volkstribunen ebenso fertig macht wie ihn selbst. Was immer sich in Pakistan abspielt, sind Manipulationen und Schach- züge in diesem tödlichen Spiel.

Benazirs Gegner haben eine na- hezu unschlagbare Wunderwaffe, nämlich den militärischen Sicher- heitsdienst, ISI genannt („Interser- vices Intelligence Directorate"), vergleichbar dem Stasi Ostdeutsch- lands, auf der Höhe seiner Macht. Bei Wahlen könnten die Islamisten nicht einmal die fünf Prozent Hür- de bewältigen, das ISI aber haben sie fest in der Hand.

Dessen Chef, General Hamid Gul, weigerte sich, der Ministerpräsi- dentin die Unterlagen über ihren Bruder auszuhändigen (Murtaza Bhutto wird als Terrorist gesucht). Sie entließ ihn. Nun ist er wieder im Amt. Die Zügel der wirklichen Regierungsgeschäfte hatte Hamid

Gul während der gesamten 20 Monate der Regierungszeit Bena- zirs in der Hand behalten.

Das ISI trägt die Hauptverant- wortung für die blutigen Unruhen, die während dieser Zeit das Land erschütterten und Zehntausenden das Leben kosteten. Durch ge- schickt geplante Massaker wurden die verschiedenen Volksgruppen aufeinandergehetzt und eine Bür- gerkriegsatmosphäre geschaffen, die dann ihrerseits den Vorwand für eine erneute Machtübernahme durch das Militär lieferte.

All das war deutlich vorauszuse- hen (FURCHE 19/1989). Wer mit den Machtverhältnissen in Paki- stan vertraut ist, müßte sich 1988 über den Wahnwitz Benazirs wun- dern, unter solchen Verhältnissen Ministerpräsidentin zu werden. Das Vorhaben der Gegenseite war deut- lich erkennbar: Man wollte ihr ein bis zwei Jahre geben, um sich gründlich bloßzustellen, um einen Scherbenhau- fen zu hinterlassen, den man ihr dann für immer vorhalten könnte. Die Regierungsmaschine ge- horchte ihr nicht. Häu- fig hatte di'e Minister- präsidentin Schwierig- keiten, telefonisch ver- bunden zu werden, weil selbst die Telefonisten bestochen worden wa- ren, Benazirs Arbeit zu torpedieren. Ihr blieb nichts anderes übrig, als eine Art privater Ersatz- verwaltung aufzuziehen. Das wiederum lieferte Material, uW ihr Vet- ternwirtschaft und Kor- ruption vorzuwerfen.

Abgesehen von der Sa- botage, die rundherum betrieben wurde und ihre Regierung lahmleg- te, hatten die obersten Militärs und das Zia- Establishment ihr klar- gemacht, daßsie sich aus der Außenpolitik und

Verteidigungspolitik herauszuhal- ten habe. Derart eingeschränkt, konnte sie das Land unmöglich zur Demokratie führen. Sie hätte bes- ser daran getan, nach ihrem Wahl- sieg auf das Regierungsamt zu ver-

ziehten und die Aufhebung sämtli- cher Beschränkungen zu fordern.

Die stets voreilige Benazir konn- te jedoch den Ministerpräsidenten- sessel gar nicht schnell genug be- kommen; als fürchtete sie, eine einmalige Chance zu verpassen. Jetzt wird sie sicher zehn Jahre war- ten müssen, wenn sie überhaupt noch einmal Ministerpräsidentin wird. Auf einige Jahre hinaus wird sie erst einmal voll von den Kor- ruptionsprozessen in Anspruch genommen sein, die man ihr nun anhängt.

Fraglich ist, ob sich Ruhe und Ordnung wiederherstellen lassen. Das ISI scheint sich selbst überbo- ten zu haben mit seinen Intrigen und Aufwiegeleien. Karatschi, Pakistans größte Stadt (rund sieben Millionen Ein- wohner) und Handelsme- tropole, erscheint wie eine Mischung aus Beirut und Bogota. Hier kämpfen nicht nur Sunniten gegen Schi- iten, afghanische Flüchtlin- ge gegen Flüchtlinge aus In- dien, und Einheimische ge- gen Zuwanderer, sondern hier herrscht auch der Rauschgiftterror und jede Art von gewaltsamer Kri- minalität. Das hat zur Ent- stehung von Privatarmeen und Schutztruppen ge- führt. Alles in allem ein He- xenkessel.

Benazir Bhutto hat sich gern mit Corazon Aquino verglichen. Die Philippinen haben kaum Probleme mit Nachbarstaaten. Fanatiker in den pakistanischen Streitkräften suchen jedoch nach wie vor die Konfron- tation mit Indien. Afghani- stan soll ihnen dabei als „strategisches Hinterland" dienen, deshalb verhindern sie eine politische Lösung des Konflikts im westlichen Nachbarland. Benazir war- fen sie Verrat an den „isla- mischen Glaubensstreitern in Afghanistan und Ka- schmir" vor.

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