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Blutrachetragödie um Handschriftenfunde

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Die Handschriftenfunde in den Höhlen am Toten Meer haben seit dem Jahre 1947 der Presse Schlagzeilen geliefert. Nun behaupten manche Kenner, daß die Handschriftenfunde, die bereits im Dezember 1945 in Nag-Hammadi (Oberägypten) gemacht wurden, wissenschaftlich noch aufregender wären. Doch davon hat die breite Öffentlichkeit noch wenig Kenntnis genommen. Warum wohl? War etwa die Sprache der Handschriften eine unüberwindbare Barriere? -Sie sind nämlich auf Koptisch, der Sprache der christlich gewordenen Ägypter geschrieben.

In weltweiter Zusammenarbeit ist es trotzdem in den letzten 30 Jahren gelungen, die koptischen Funde in Ubersetzung und in einer großangelegten Faksimile-Ausgabe, die über die Anfänge noch nicht hinausgekommen ist, zugänglich zu machen.

Das Interesse dieses Berichtes liegt nun keineswegs in der Beschreibung der Handschriften. Zur Information seien nur einige der wichtigsten Titel der 14 in Leder gebundenen Bücher, die in einem großen Tonkrug gefunden wurden, genannt:

Zuerst die Evangelienbücher: Das Evangelium der Wahrheit - das Evan-• gelium des Apostels Thomas-des Apostels Philippus - das Ägypter-Evangelium - das Marienevangelium.

Sodann die geheimen Offenbarungen: Apokalypse des Jakobus - des Paulus - Adams - des Petrus; ferner die Apostelgeschichte des Petrus und der Zwölf; sowie ein Brief des Apostels Petrus an Philippus.

Dazu kommen noch Schriften über Taufe und Eucharistie, und solche über gnostische Geheimlehren. - Diese kurze Aufzählung, die nicht vollständig sein will, zeigt, daß hier eine Handvoll Dynamit für die Erforschung des Christentums vorliegt. Der zeitliche Ansatz der Abfassung dieser Schriften vor Konstantin dem Großen verschärft die Spannung noch mehr, da für diese frühe Zeit ähnliche Originaldokumente fehlen.

Uber die Fundgeschichte in Nag-Hammadi wurde bislang folgende Version kolportiert: Ein ägyptischer Bauer (Fellache) blieb beim Pflügen seines Ackers mit seinem Spitzpflug hängen und riß einen Tonkrug ans Tageslicht, in dem sich in Leder gebundene Bücher befanden. Auf Umwegen seien dann / zuerst herausgerissene Blätter, dann die ganzen Bücher allmählich auf den Markt nach Kairo gekommen, wo sie zuerst von Privaten. angekauft und schließlich im koptischen Museum in Alt-Kairo zur wissenschaftlichen Untersuchung gesammelt wurden.

Doch diese Version klingt zu einfach, um wahr zu sein. Erst 1975 gelang es dem amerikanischen Professor James M. Robinson (Claremont Graduate School) in detektivischer Kleinarbeit Licht in die verwickelten Fundumstände zu bringen.

Man spricht einfach hin vom Handschriftenfund in Nag-Hammadi. Nun die erste Enttäuschung oder Richtigstellung: die Handschriften wurden nicht in Nag-Hammadi am linken Nilufer, sondern beim etwa 12 km entfernten Gebel al-Tarif am rechten Ufer gefunden. Die Namensgebung ist also nicht exakt, hat sich aber als Kennwort allgemein eingebürgert.

Zum Verständnis des Fundverlaufes müssen wir die Namen von zwei Dörfern nennen: das eine mit dem antiken Namen Chenoboskia hat bei den Kop-tologen einen guten Klang, weil hier das berühmte Kloster des hl. Palamon stand. Das neue ägyptische Dorf heißt einfach al-Kasar, d. i. „die Festung". Die Bewohner bezeichnen sich als Angehörige des Stammes der Sammam.

Das zweite Dorf, vom ersten durch Straße und Eisenbahn getrennt, heißt Hamrah Dum. Es ist etwas kleiner als das erste und gehört zum Stamm der Hawwari, die ihre Abkunft direkt von Muhammad herleiten.

Wozu die Namen dieser beiden Ortschaften? Weil sich zwischen beiden eine blutige Tragödie abspielte, die den Hintergrund für den Handschriftenfund bildet.

Um Weihnachten 1945 zogen drei Brüder: Muhammad, Khalifah und Abu ai-Majd, Söhne eines kurz zuvor ermordeten Feldhüters, mit noch vier Kameltreibern hinüber zur hohen Wand des Gebel al-Tarif. Nach langem Graben stieß Abu al-Majd, der jüngste der drei Brüder, auf einen Tonkrug. Doch Muhammad, der älteste, der nach dem Tode des Vaters die väterliche Autorität in Anspruch genommen hatte, begann selbst, den Krug freizulegen. Als ungefähre Maße werden angegeben: 60 cm hoch, 30 cm mittlerer Durchmesser und ca. 15-20 cm Durchmesser die mit einem Deckel verschlossene Öffnung.

Die nähere Untersuchung des Fundes zeigte aber keine Goldschätze, sondern in Leder gebundene Bücher (Codices). Die Bucheinbände wurden heruntergerissen und fortgeworfen. Was nun mit diesem Fund machen? Jeder mußte einen Anteil an der Beute bekommen. Da nun einmal zwölf Bücher da waren (nach anderem Bericht 13), traf Muhammad folgende Entscheidung: jeder von den sieben Anwesenden bekam ein vollständiges Einzelstück, die übrigen Bücher wurden zu ungefähr gleichen Teilen auseinandergerissen und ebenfalls verteilt.

Die Kameltreiber wußten mit dem Fund nichts anzufangen und gaben ihre Teile Muhammad zurück. Zu Hause angekommen warf er das „unnütze

Zeug" auf das neben dem Kamelstall liegende Stroh. Die Mutter Umm-Ah-mad kochte im Hofe Tee und verbrannte dazu etliche Blätter.

Schließlich suchte Muhammad den Fund doch anzubringen. Da er bei den Mohammedanern kein Interesse für die Bücher fand, erinnerte er sich des koptischen Pfarrers, dem er drei Codices auf etliche Tage zur Ansicht überließ. Dieser meinte, es handle sich um eine alte koptische Bibel, die keinen besonderen Kaufwert habe.

Erst über den christlichen Lehrer An-daräwus ibn-Raghib, der als Wanderlehrer in den christlichen koptischen Dörfern Englisch und Geschichte vortrug, wurde die Verbindung mit der wissenschaftlich interessierten Welt in Kairo hergestellt. Dem schlichten koptischen Dorfschulmeister kommt also das Verdienst zu, den wertvollen Fund vor dem Untergang bewahrt zu haben. Doch bis dahin verflossen Monate, sogar Jahre. Inzwischen nahm eine blutige Tragödie ihren Lauf.

Etwa einen Monat nach dem Fund (Jänner 1946) ging Ahmad aus dem

Dorfe Hamrah Dum, der mutmaßliche Mörder des Feldhüters, mit einem Krug voll Zuckermelasse in das Dorf al-Kasar. Ermüdet setzte er sich, ahnungslos, in der Nähe des Hauses des Feldhüters am Straßenrand nieder, den Krug neben sich, und schlief ein.

Da erblickte ihn Umm-Ahmad, die Witwe des ermordeten Feldhüters. Ein Gedanke durchzuckte ihr Hirn: Allah hat uns die Stunde der Rache gegeben! Sie rief ihre sechs Söhne: „Nehmt eure Hacken und rächt das Blut eures Vaters!" Die sechs Söhne überfielen den Schlafenden, wobei der Jüngste den ersten Hieb gegen den Kopf führte. Dann zerstückelten sie die Leiche Glied um Glied, schnitten das Herz heraus, verteilten es unter sich und aßen es auf.

Dem koptischen Pfarrer, der sie von der Untat abhalten wollte, sagten sie, die Christen könnten ja noch die Leichenstücke begraben. - Weiters wird berichtet, daß die Ortspolizei verständigt wurde und die sechs Mörder auf einige Tage in Gewahrsam nahm. Ein Rechtsakt wurde aber nicht gesetzt, da sonst auch der Polizist in den Teufelskreis der Blutrache geraten wäre. Auch die christlichen Zeugen machten aus Furcht vor den Muslimen keine Aussagen.

Doch das unerbittliche Gesetz der Blutrache schrie nach neuen Opfern. Drei Monate nach dem grausigen Mord an Ahmad tötete dessen Bruder Abu al-Hadm zwei Männer aus dem Dorf al-Kasar. Die eigentliche Pflicht der Blutrache stand aber nicht dem Bruder, sondern dem Sohn des Ermordeten, dem erst I Ijährigen Muhammad ibn-Ahmad, zu. Mit elf Jahren war er aber zu jung, er mußte und konnte warten.

Als im Jahre 1957 im Dorf al-Kasar ein Begräbnis stattfand, lauerte der nun schon 22jährige mit sechs Genossen -entsprechend den sechs Zerstücklern seines Vaters - dem Leichenzug auf und erschoß 13 Männer. Muhammad ibn-Ali, der Sohn des Feldhüters und Ausgräber des Handschriftenkruges, zeigt noch über seinem Herzen die Narbe des Schusses. Demnach geht das Gesetz der Blutrache auf ihn über. Nach seinen eigenen Worten warte er auf die von Allah gesetzte Stunde der Gerechtigkeit.

Wenn in einer Gegend die Angst umgeht, wird jede Nachfrage nach der Geschichte, zu der auch die Auffindung der Handschriften gehört, sinnlos. Aber die Zeit kann auch die Wunden der Blutrache mildern. Unserem Gewährsmann Robinson gelang es jedenfalls, den Finder des Handschriftenkruges Muhammad ibn-Ali im Dorf al-Kasar ausfindig zu machen und ihn sogar zu überreden, die Dorfgrenze bis hinüber zur hohen Wand am Gebel al Tarif zu überschreiten, um nach 30 Jahren (Fund 1945 - Lokalinspektion 1975) den Vorgang des Fundes nochmals zu bezeugen.

Die Handschriften sind nun in der Obhut des koptischen Museums in Alt-Kairo. Die vollständige Faksimileausgabe der Originale sowie die teilweise schon erfolgte und auch noch zu erwartende Ubersetzung eröffnet sicher einen tiefen Einblick in die Geschichte des frühen Christentums.

Univ.-Prof. DDr. Claus Schedl ist Vorstand des Instituts für Religionswissenschaft an der Universität Graz und Kenner der koptischen Dialekte.

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