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Blutregime der Roten Khmer provoziert Thailand

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Die Bewohner der thailändischen Grenzdörfer zu Kambodscha leben in ständiger Angst - in Todesangst: Zu Hunderten greifen Woche für Woche kambodschanische Soldaten der Roten Khmer diese Dörfer an, rauben, stecken Unterkünfte, Polizeistationen sowie medizinische Versorgungsstationen in Brand, metzeln Frauen und Kinder nieder und ziehen sich im Dunkel des Dschungels wieder in ihr Land zurück. Die regulären Truppen der thailändischen Streitkräfte sind machtlos: Sie kämpfen gegen Phantome des Dschungels, gegen Partisanen, die mit der Guerrilla aufgewachsen sind, die das heimtückische Morden von klein auf gegen die Lon-Nol- Armee und die amerikanischen Truppen gelernt haben.

Die engagierten Antikommunisten der Militärregierung in Bangkok schlagen aus dieser Machtlosigkeit gegen die Raub- und Mordhorden der Roten Khmer dennoch Kapital: Für ihre antikommunistische Propagandatätigkeit sind die Film- und Bildberichte aus den überfallenen Dörfern eine wahre Fundgrube: Zum Frühstück in der Zeitung und bei den Abendnachrichten im Fernsehen werden den Thais die gräßlich verstümmelten und blutüberströmten Leichen ihrer Landsleute aus den Grenzregionen präsentiert - das Werk brutaler kommunistischer Soldateska.

Die politischen Beobachter in Bangkok indes rätseln weiter, was in Kambodscha wirklich vor sich geht. Mit ihnen rätseln Politiker, Diplomaten und Geheimdienstler, wieviele Todesopfer seit der kommunistischen Machtübernahme vor 27 Monaten zu beklagen sind. Die Schätzungen über die Höhe der Hinrichtungen in diesem System eines isolationistischen Steinzeit-Sozialismus schwanken zwischen 50.000 und 1,4 Millionen. Um ein Vielfaches höher soll die Zahl derer sein, die in diesem Zeitraum an Hunger oder Malaria gestorben sind. Diese Zahlen stammen von Flüchtlingen, sind aber nicht überprüfbar, da sich das Regime in Pnom Penh von der Außenwelt völlig abgekapselt hat.

Die Gewaltherrscher in Pnom Penh zeigen sich von den Schreckensnachrichten, die im Ausland über die Lage in Kambodscha verbreitet werden, nicht im geringsten beeindruckt: Sie dementieren nicht, schweigen sich aus, Protestnoten aus Bangkok bleiben unbeantwortet. Lediglich in einem Interview mit einem deutschen Nachrichtenmagazin erklärte der kambodschanische Vizepremier und Außenminister Jeng Sary: „Es gibt kein Vorbild für das revolutionäre Experiment der Khmer. Wir wollen etwas verwirklichen, das es noch niemals in der Geschichte gegeben hat“.

Wie dieses Experiment aussieht, is{ inzwischen bestens bekannt: Massenexekutionen, Zwangsarbeit, Evakuierung und Umerziehung der Stadtbevölkerung, Abschaffung der Intelligenzberufe, Terroraktionen in Nachbarstaaten …

Angesichts solch revolutionären Redeschwalls, wie ihn Jeng Sary an den Tag legte, wußte der Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“ in Südostasien nur noch zu kommentieren: „Wenn der Außenminister die Umwandlung des Landes in ein militärisch organisiertes Arbeitslager, unter Verzicht auf chinesische oder vietnamesische Vorbilder, als beispiellos in der Geschichte bezeichnet, so mag er damit recht haben. Ohne Beispiel sind aber auch die Opfer, die ein ganzes Volk bringen muß, damit eine kleine Gruppe in Frankreich ausgebildeter Kommunisten ihre radikalen Ideen in die Wirklichkeit umsetzen kann“.

Unklarheit herrscht auch darüber, was die Überfälle auf thailändisches Territorium zu bedeuten habe: Während ein Teü der politischen Kommentatoren meint, daß es sich um von der Regierung in Pnom Penh gelenkte Aktionen handelt, um nach Erfolgen zu suchen, an denen es im Inneren mangelt, glauben andere, der Kleinkrieg an der Grenze werde von der Regierung wohl kaum gewünscht. Vielmehr handle es sich um eigenmächtige Racheakte der Roten Khmer.

Die Wahrheit wird zwischen diesen beiden Meinungen liegen: Wären die Terrorakte der Roten-Khmer-Füh- rungsschicht unerwünscht, würde sie ihre raubenden und mordenden Soldaten von solchen Übergriffen wohl abzuhalten wissen. Schließlich haben diese Truppen in erster Linie die Aufgabe, den Flüchtlingsstrom nach Thailand mit Gewalt zu bremsen. Gegen die Theorie der gelenkten Aktionen spricht die radikale Abkapselung des Khmer-Staates, auch von den kommunistischen Nachbarn Laos und Vietnam, selbst von der Sowjetunion und der Volksrepublik China. Ein zum äußersten gereiztes Thailand, das vor militärischen Schlägen gegen Kambodscha nicht mehr zurückschreckt, würde schließlich eine Gefahr für das „Experiment“ bedeuten.

Die Situation bleibt so lange ungewiß, bis Pnom Penh eine klare Stellungnahme abgegeben hat, bis die Roten Khmer in ihren eigenen Landesgrenzen bleiben. Dann hat Thailand Ruhe an der Grenze zu Kambodscha. Das kambodschanische Volk aber wird weiter leiden unter einem „noch nie dagewesenen Experiment“, unter einem Schreckensregime, das keine Menschenopfer zur Durchsetzung seiner Ziele scheut.

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