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Boff in Rom — ein Beitrag zur Klärung ?

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Im offiziellen Dokument zur Befreiungstheologie zeigt die Römische Glaub'enskongregation ihr unzulässig erscheinende Verkürzungen und gefährliche Abweichungen auf - dazu eine erste Information.

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Im offiziellen Dokument zur Befreiungstheologie zeigt die Römische Glaub'enskongregation ihr unzulässig erscheinende Verkürzungen und gefährliche Abweichungen auf - dazu eine erste Information.

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Wenige Tage vor Anhörung des brasilianischen Theologen Leonardo Boff in Rom hat der Vatikan ein offizielles Grundsatzdokument zur Befreiungstheologie veröffentlicht. Bevor der derzeit sicher prominenteste Vertreter dieser theologischen Richtung einer Kommission seine beanstandeten Thesen erläutern muß, hat die Römische Glaubenskongregation ihre bekannte Position wiederholt: Neben einer authentischen Befreiungstheologie

— Gerechtigkeit für die Armen ist ein christliches Ziel und Anliegen

— gibt es auch gefährliche Strömungen mit schweren Abweichungen, die den Glauben und das christliche Leben zerstören. Grundlegende Ursachen dieser Verirrungen, so stellt das Dokument fest, sind häufig unkritische Ubernahmen marxistischer Analysen, Termini und Methoden, sind marxistische Vorstellungen von Mensch, Geschichte und Gesellschaft bei manchen Befreiungstheologen. Da der Atheismus und die Leugnung der menschlichen Würde, seiner Freiheit und seiner Rechte nach wie vor das Zentrum des Marxismus bilden, sei er mit dem christlichen Glauben und seinen ethischen Forderungen unvereinbar. Das gleiche ergebe sich auch aus seinem geschichtlichen Grundgesetz vom Klassenkampf, der notwendigerweise Gewaltanwendung einschließe.

Daß der „Fall Boff" bei der römischen Glaubensbehörde verhandelt wird, kennzeichnet den Stellenwert der behandelten Problematik. Denn zuständig für Entscheidungen über Glaubensfragen ist in der Regel der Ortsbischof oder die Bischofskonferenz. Der „Ruf nach Rom" unterstreicht die überregionale Bedeutung dieses Entscheidungsfalles. Die Charakterisierung als „Musterprozeß gegen die Befreiungstheologie" ist jedoch zweifellos überzogen und unangebracht — zumindest für den jetzt anstehenden Vorgang, bei dem es in erster Linie um ekklesiologische Fragen gehen soll. Die Befreiungstheologie dürfte dabei jedoch nicht ausgeklammert sein.

Das Dokument der Glaubenskongregation wendet sich mit Nachdruck gegen unzulässige Verkürzungen des Glaubens auf allzu diesseitige Ziele, auf rein politisch-soziale Programme, wie sie bei manchen Befreiungstheologien zu beobachten seien.

Diese Kritik dürfe jedoch nicht die ursprünglichen Anliegen der Befreiungstheologien aus dem Auge verlieren: Der christliche Glaube, so das Dokument, verlange mit allem Nachdruck den Einsatz für Gerechtigkeit, für soziale Verantwortung, für Solidarität mit den Armen und Unterdrückten, für die Menschenrechte. Grundlage dieser Befreiung müsse die Wahrheit über Jesus Christus, den Erlöser, die Wahrheit über die Kirche und über den Menschen samt seiner Würde sein. Als Voraussetzung für die notwendige theologische Erneuerung nennt die Vatikanbehörde die Aufarbeitung der Katholischen Soziallehre.

Vor dem Hintergrund dieses Dokumentes muß sich vom kommenden Freitag an Leonardo Boff am Sitz der Glaubenskongregation zu seinen mißverständlichen und verkürzenden Thesen äußern. Im Vatikan sieht man der bevorstehenden Anhörung offenkundig sehr zuversichtlich entgegen.

Bei der Befragung wird es sicher unter anderem um das Problem gehen, inwieweit die Anwendung marxistischer Methoden ohne gleichzeitige Adaption der Ideologie möglich ist, inwieweit der Kampf für die Armen in der Kategorie marxistischen Klassenkampfes verantwortbar ist. In der Schweizer Jesuitenzeitschrift „Orientierung" hatte Boff dazu unlängst geschrieben, es gehe den Befreiungstheologen um die reale geschichtliche Befreiung und nicht bloß um die Befreiung von der Sünde oder um eine vage ganzheitliche Befreiung. Ange-' sichts dieser notwendigen Veränderungen habe sich die Befreiungstheologie auch „einiger Kategorien marxistischer Rationalität" bedient, schreibt Boff. Es sei die Frage, wie die Gesellschaft „kritisch, das heißt aus der Perspektive der kämpfenden Armen" zu beurteilen sei. Dabei habe die marxistische Tradition „einige wichtige Elemente zu bieten", vor allem was den „bereits in Gang befindlichen Klassenkampf", was ökonomische Strukturen und das Geschichtsverständnis betreffe.

Zu diesen Aussagen wird man in Rom sicherlich eine Erläuterung hören wollen, läßt sich vermuten. Der Fragenkatalog für die Anhörung selbst wird vertraulich behandelt. Nach der Befragung ist damit zu rechnen, daß die Kommissionsmitglieder — falls sich Mißverständnisse nicht ohnehin erübrigt haben — von Boff eine neue Veröffentlichung erbitten, in der er seine beanstandeten Äußerungen erläutert bzw. ergänzt. Vatikanische Beobachter rechnen, nicht zuletzt angesichts der von Boff signalisierten Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Vatikan, mit einer solchen Ubereinkunft. Sollte sich der Theologe weigern, könnte die Glaubenskongregation die entsprechende Schrift als nicht oder nur teilweise mit der katholischen Lehre übereinstimmend „indizieren" — das Verfahren liefe weiter.

Auch wenn die Vorladung Boff s nach Rom in den vergangenen Tagen eine aufgeheizte Diskussion ausgelöst hat, dürfte die Anhörung selbst eher unsensationell verlaufen. Brisanz erhielt der Vorgang, als er mit einer Reihe anderer kirchlicher Ereignisse in und um Lateinamerika in Zusammenhang gerückt wurde. So wurde eine Verbindungslinie zu der vom Jesuitengeneral, vom Vatikan und vom Episkopat Nikaraguas an die Priesterminister gerichteten Aufforderung zum Rücktritt von ihren politischen Ämtern konstruiert. Und auf dem Hintergrund der Normalisierung zwischen Vatikan und den USA wollte mancher in dem Dokument einen „Rundumschlag" gegen die Kirche in Lateinamerika sehen. Die bevorstehende Etappe im „Fall Boff" allein gibt zu einer derartigen Vermutung keinen Anlaß.

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