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Bomben, T-Shirts und rote Finger

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Drei Tage vor den kolumbianischen Parlaments-, Senatsund Gemeindewahlen explodierte im Zentrum Bogotas ein mit Dynamit geladener Renault-6 vor dem Präsidentenpalais. Der Präsident entkam dem Attentat, da er 12 Minuten verspätet von einer Ansprache zurückkam. Es wurde ein Polizist getötet und weitere fünf Personen verletzt.

Daraufhin kam das Militär zum massiven Einsatz, Straßen wurden abgesperrt, Autos und Passagiere nach Waffen durchsucht. Im ganzen Land kam es vorübergehend zum Verbot von Motorrädern, da sie häufig von Terroristen benutzt werden.

Als ein junger Mann dieses Verbot mißachtete und auch den Halterufen der Polizei nicht nachkam, wurde er erschossen.

Unter diesen Vorzeichen konnte die erste Etappe des heurigen Wahljahres vor sich gehen, die Präsidentschaftswahl folgt im Mai. Es war ein gewaltiges Aufgebot: Etwa 60.000 Personen stellten sich auf mehr als 8000 Wahllisten der Gunst der Wähler. Sie gehörten den beiden großen Mitteparteien an, den Liberalen und Konservativen und einigen Splittergruppen, darunter auch der Linken mit verschiedenen kommunistischen Kandidaten.

Sonntag, den 14. März, ab 8 Uhr früh im schönsten Sonnenschein Bogotas, ging eine brodelnde Menschenmenge zu den Urnen. Im großen Gedränge mußten sich die Wähler in langen Schlangen anstellen, Frauen rechts, Männer links, jeder wurde nach Waffen abgetastet, mußte seinen Wahltisch suchen wo er in der Liste eingetragen war, sich ausweisen und bekam einen roten Zeigefinger, damit eine zweite Wahl für ihn ausgeschlossen war.

Obwohl Alkoholverbot, artet der Wahltag bereits am späteren Vormittag in eine Art Volksfest aus. Aber was will man anderes von einer Bevölkerung, die zum größeren Teil aus Jugendlichen unter 18 Jahren besteht, an diesem Tag keineswegs zuhause blieb und dazu für ihre politische Tätigkeit mit dem Mittagessen, bunten Mützen und T-Shirts belohnt wurde.

Obwohl die endgültigen Zahlen noch nicht vorliegen, erwies sich die Wahl als knapper Sieg der Regierungspartei, der Liberalen. Die zwei großen Parteien haben beide dazugewonnen und liegen jede über zwei Millionen Stimmen. Die Linken schneiden schlecht ab, alle zusammen werden sie kaum über 100.000 Stimmen kommen.

Die Wahlbeteiligung war entschieden höher als das letztemal. Das kann man als Sieg der Demokratie betrachten, denn der Aufruf der Terrorgruppen zum Wahlboykott, verbunden mit den Drohungen zu Terrorakten hat wenig Erfolg gezeigt.

Das zeigt, daß trotz der unendlichen Schwierigkeiten des Landes - der Bevölkerungsexplosion, des ungeheuren Zuzugs zu den Industriestädten und die dadurch entstandenen Slums mit allen Komplikationen, sei es nun der fehlenden Verwaltung, Schul- und Krankenwesen - die Hoffnung auf eine friedliche Lösung hoch eingeschätzt wird.

Aber wird diese Hoffnung erfüllt werden? Wird die neue Volksvertretung für das ganze Land da sein, wird die Regierung sich für alle verantwortlich zeigen oder weiterhin nur ihren eigenen Wählern verpflichtet sein und die Macht dazu benutzen, die eigene Tasche zu füllen?

Die kolumbianische Vergangenheit der letzten 150 Jahre, seit der Befreiung von Spanien war eine blutige Folge von feudalen Interessen- und Gruppenkämpfen, die das Land in keiner Weise einigen konnten. Hier Konservative, hier Liberale und wer dazwischen stand ging unter.

Auch heute noch fühlt sich der Kolumbianer von seiner Partei und nicht vom Staat geschützt.

Viele Bodenschätze des 1,200.000 Quadratkilometer großen Lan-des.ob öl, Gas oder Mineralien aller Art warten auf Förderung, der Staat scheint zu schwach zu sein, um essentielle Entscheidungen darüber zu treffen.

Schon Erfolg genug, daß sich Kolumbien ernähren kann, ja, daß der Kaffeexport der größte Exportposten des Landes ist und daß kaum Nahrungsmittel eingeführt werden müssen, wie bei den reichen Nachbarn Venezuela oder Mexiko.

Für uns Europäer hat Kolumbien einige seltsame Einrichtungen, zum Beispiel birgt es über 1000 private, unabhängige Radiosender.

Auch erscheinen Zeitungen verschiedener Farbe, die jedes Regierungsmitglied angreifen, ja direkt verunglimpfen können, aber vielleicht dadurch den Regierenden den Zynismus erlauben, sich gar nicht darum zu kümmern, was über sie geschrieben wird; vielleicht unter dem Motto: „Es wird ja eh alles mies gemacht, also warum soll ich mir die Finger verbrennen, schaun wir lieber, daß unser eigenes Süppchen kocht."

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