6816672-1973_13_05.jpg
Digital In Arbeit

Bonjour tristesse

Werbung
Werbung
Werbung

Das wirtschafts- und konjunkturpolitische Dilemma Österreichs ist mit den internationalen Währungskrisen, die auch die Position des Schillings betroffen haben, mit sehr großer Deutlichkeit offenbar geworden: eine Inflationsrate von nun acht Prozent, hauptsächlich von binnenwirtschaftlichen Expansionskräften ausgelöst; ein zu spät eingesetztes und hinsichtlich der Budgetpolitik der öffentlichen Hand unzureichendes Stabilisierungsprogramm, das in dieser Form den 31. Mai gewiß nicht überdauern wird und, neuerdings, ein Druck von der Währungsseite her, der wohl viel stärker, als das offiziell zugegeben wird, ins Gewicht zu fallen scheint. Kurz und gut: es ist dies eine Kombination von Faktoren, die die schulungsbeispielhafte Situation der sogenannten „Stagflation“, also Stagnation bei Inflation, hervorzubringen droht — anhaltende inflationäre Auftriebsimpulse bei schlechter werdenden Wachstumsund Ertragsaussichten unserer Wirtschaft.

Wer derlei vor ein oder, noch schlimmer, zwei Jahren zu sagen riskierte, setzte sich der Gefahr, als Kassandrarufer diffamiert zu werden, aus. Das sollte sich spätestens seit den Märztagen geändert haben. Denn da machten Bundeskanzler Kreisky, die einschlägig befaßten Minister Staribacher und Androsch Äußerungen, die die Furcht nährten, daß sich die Bundesregierung in den nächsten und letzten beiden Jahren ihres Amtierens darauf beschränken werde, auf dem breiten Feld der Wirtschaftspolitik, wenn immer sich dafür Zeit findet, die inflationäre Preisentwicklung als eine zwar unvermeidliche, aber doch gar nicht so unangenehme Sache zu verkaufen. Keine Spur von neuen Leitlinien, nicht einmal Ansätze für zweckmäßige Maßnahmen etwa auf dem Gebiet der Inflationsbekämpfung — die Reformer der sechziger Jahre sind '“as Establishment der Anf angssiebziger j ahre: konservativ, selbstzufrieden; wer hätte das je von den Spitzen einer Sozialistischen Partei gedacht?

Die Ideenspender von ehedem zogen sich auf die Rückzugslinie zurück, weisen die Leistungen der von ihnen administrierten Ministerial-bürokratien in Berichtsform als reformträchtige Maßnahmen aus, die im Sinne des sozialistischen Wirt-schaftsprogramms und im Dienste an der Allgemeinheit getroffen wurden. Wie es weitergehen soll, diese Information blieb auch den Teilnehmern an der IV. ökonomischen Konferenz der SPÖ ebenso wie einer breiteren Öffentlichkeit verwehrt. Auch den Massenmedien schien eine derart programmierte Versammlung wenig interessant — bonjour tristesse, das ist kein Thema für Schlagzeilen.

Welche aktuelle ökonomische Probleme gibt es doch, die nicht einmal gestreift wurden: Inflationsbekämpfung, die Lohnentwicklung, die Sicherheit der Arbeitsplätze, die Stagnation des wirtschaftlichen Wachstums, die Vermögensbildung, die Steuerlastquote. Dagegen bemühte sich Finanzminister Androsch, in einem dicken Bericht nachzuweisen,daß er in den abgelaufenen Jahren in manchen Monaten gleich zwei stabilitätspolitische Maßnahmen gesetzt hatte. Die Erfolge seiner Politik sind allen Gruppen in unserem Land allerdings nur zu bekannt: eine Inflationsentwicklung, die sich den Grat entlang von Gipfel zu Gipfel bewegt: 1970 waren es 4,4 Prozent, 1971 bereits 4,7 Prozent, 1972 6,3 Prozent und in den ersten beiden Monaten 1973 scheint man mit einer Inflationsrate von unter 10 Prozent schon so zufrieden, daß Androsch von Erfolgen spricht. Mit den Zeiten ändern sich eben die Zielsetzungen; was noch vor drei Jahren als unsozial empfunden wurde, hat heute seinen Reiz. Solche undifferenzierte Äußerungen bewegen sich ganz auf der Linie von Bundeskanzler IC aisky, der ja auch meint, daß 5 Prozent Inflation noch immer besser seien als 5 Prozent Arbeitslosigkeit. So entsteht noch eine Rechtfertigungsideologie für die Instabilität...

Das Ganze aber spielt sich in einer Wirtschaft ab, in der, durch Vielerlei bedingt, Strukturverzerrungen bestehen, die deshalb einen zu arbeitsintensiven Produktionsapparät aufweist, die, mit anderen Worten, noch immer einen gewaltigen Umstrukturierungsrückstand aufzuholen hat, um, in qualitativer wie in quantitativer Hinsicht, der Bevölkerung einen Lebensstandard zu vermitteln, wie er in anderen Industriestaaten unseres Kontinents längst schon gegeben ist. In einer Wirtschaft, in der es an verbindlichen Vorstellungen über einschlägige Leitbilder etwa für die Stabilitäts-, die Industrie-, die Struktur- und die Umweltpolitik fehlt. Wir lesen in der „Arbeiter-Zeitung“, daß die Schilling-Aufwertung um 2,25 Prozent nun den Schilling auch „härter“ gemacht hat und wir ahnen,daß mit solchen „Weissagungen“ mit der Unkenntnis der Leserschaft spekuliert wird. Die Arbeiterkammer und Finanzminister Dr. Androsch behaupten, daß dieser Satz eigentlich zu niedrig sei, die Exportwirtschaft behauptet das Gegenteil. Sicher ist nur, daß zuwenig Informationen für eine auch nur einigermaßen zuverlässige Beurteilung insbesondere der außenwirtschaftlichen Flanke unserer Wirtschaft zur Verfügung stehen. Die Regierung beläßt die Wirtschaft und ihre Teilnehmer in einem Informationsnotstand und dekretiert gelegentlich, was gut oder schlecht zu sein hat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung