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Borkenkäfer ade, Bergbauern-Essay

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Mit dem Begriff „Dokumentar­film" verbinden heimische Kinoge­her und Fernseher meist nur vage Vorstellungen, die entweder von der Konfektionsware täglicher TV-In­formation gespeist sind, oder von den unvergeßlich lähmenden Er­fahrungen aus der Schulzeit rüh­ren (Stichwort „Borkenkäfer"). Eine international feststellbare Renaissance des Dokumentarfilms spiegelt im Gegensatz dazu die Ausdrucksfreude und -stärke von „künstlerischen" Dokumentarfil­mern wider, die überdies in ihrer Arbeit selten an den strengen Grenzziehungen zwischen „Doku­mentarischem", „Fiktionalem" und „Experimentellem" festhalten.

An eine nationale Tradition kön­nen Österreichs Dokumentarfilmer freilich nicht anknüpfen, es sei denn, sie wollten sich im Genre des aus der UFA-Zeit konservierten Kulturfilms, wie es bis in die späten sechziger Jahre üblich war, ästhe­tisch wiederbetätigen. Hier begann sich erst in den siebziger Jahren ein Klima zu entwickeln, in dem eine neue Generation von Filmemachern versuchte, die gesellschaftliche Realität anders als mittels operet-tenhaf ter Stereotypien zu verarbei­ten.

„Kreative" Dokumentarfilme, die anderswo auf jahrzehntealte Tra­ditionen und Reflexionen der (film­ischen wie gesellschaftlichen) Rea­lität aufbauen, entstehen in Öster­reich - mit einzelnen Ausnahmen -erst seit etwa zehn Jahren. Eine neue Dokumentaristen-Generation wandte sich Ende der siebziger Jahre, unterstützt durch verbesser­te Förderungsstrukturen, vom Erbe des „Kulturfilms" deutscher Prä­gung ab: Wie in manchem Nach­barland setzte man sich nun mit bis dahin wenig erhellten Randberei­chen der Gesellschaft, mit Alltägli­chem und Verdrängtem filmisch auseinander. Ethnographische Studien, Oral-History-Projekte, und engagierte, oft politisch moti­vierte Reportagen waren das Re­sultat einer Bemühung um andere Sehweisen.

Einige dieser Filme sind freilich dem ausländischen Fachpublikum eher in Erinnerung geblieben, als dem österreichischen Kino- und Fernsehpublikum. Gerade unkon­ventionellere und anspruchsvolle Filme haben im kommerziellen Kinobetrieb beschränkte Möglich­keiten und werden im österreichi­schen Fernsehen - wenn überhaupt - zumeist zu später Sendezeit programmiert. Solch ein „geheimer" Klassiker blieb etwa Michael Pilz' „Himmel und Erde" (1981), ein mehrfach ausgezeichneter Essay über ein steirisches Bergbauern-dorf, der sich wie zuvor kein ande­rer Film der kargen Realität einer unzeitgemäßen österreichischen Region näherte.

Wenn zu Beginn der achtziger Jahre die filmische Entdeckung verdrängter Geschichte (etwa „Wien Retour" von Ruth Becker­mann und Sepp Aichholzer) oder marginalisierten Alltags stand, zeichnete sich gegen Ende des ver­gangenen Jahrzehnts eine Weiter­entwicklung auch des formalen Kanons ab: Einige der Regisseure vertrauen nicht mehr der bloßen Beobachtung, sondern bedienen sich inszenatorischer Mittel, um ihrem Sujet gerecht zu werden. Andere wiederum sprengen die Grenzen „dokumentarischer" Gen­res, indem sie sich experimentellen Arbeitsweisen zuwenden (Michael Pilz) oder von dorther kommen (Marc Adrian).

Filmische Mischformen und Es­says künden das Abwenden von einem Vertrauen auf die (unmittel­bare) Abbildbarkeit der Wirklich­keit an. In dieser Hinsicht gelingt es beispielsweise den Regisseuren Othmar Schmiederer und Heinz Ebner („Josef Hauser - Klang und Raum", 1988), die Umgebung wie auch die Vorstellungswelt eines skurrilen Tiroler Handwerkers einzufangen. Was die inhaltlichen Anliegen betrifft, so erweisen sich die meisten Regisseure als konse­quent.

Die starke Verbundenheit mit den Menschen und den Dingen, die sie filmen, zeigt sich nicht zuletzt in der selten gewordenen Haltung des Autorenfilmers (Drehbuchautor undRegisseur zugleich): Dokumen­taristen bleiben gleichzeitig (Au-gen-)Zeugen und Erzähler, wenden sich im selben Maße puren wie film­isch konstruierten Bildern und Tönen zu. Daß sich Österreichs Dokumentarfilmer eher französi­schen oder anglosächsischen Kino­traditionen verschreiben, als dem Authentizitäts- und Sensationskult alltäglicher Fernsehberichterstat­tung, kann als ein gesundes Lebens­zeichen dieses Genres gewertet werden.

Die Autorin, 1963 in Linz geboren, studierte Publizistik und Kommunikationswissenschaft, arbeitete am Videoprojekt „Der Igel" mit und ist (Mit)Herausgeberin von Büchern zum Doku­mentarfilmschaffen in Österreich.

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