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Boten und Gegner Gottes

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Moderne Theologen haben sich vom Teufel und von den Engeln verabschiedet, aber Satanskulte treiben grausi­ge Blüten, und eifrige En­gelverehrer fühlen sich im endzeitlichen Kampf zwi­schen den Mächten des Lichtes und der Finsternis. Und was lehrt die Kirche?

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Moderne Theologen haben sich vom Teufel und von den Engeln verabschiedet, aber Satanskulte treiben grausi­ge Blüten, und eifrige En­gelverehrer fühlen sich im endzeitlichen Kampf zwi­schen den Mächten des Lichtes und der Finsternis. Und was lehrt die Kirche?

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Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat be­nutzen, in Krankheitsfällen moder­ne medizinische und klinische Mit­tel in Anspruch nehmen und gleich­zeitig an die Geister- und Wunder­welt des Neuen Testamentes glau­ben." Dieser oft zitierte Ausspruch des evangelischen Exegeten Rudolf Bultmann aus dem Jahr 1948 bringt das Empfinden nicht weniger Chri­sten zum Ausdruck, wenn die Rede auf Engel und Dämonen kommt. Und doch ist dieser Satz Bultmanns für die theologische Forschung kei­neswegs repräsentativ. Auf der anderen Seite des Spektrums finden wir die besonders akzentuierte En­gelverehrung des Opus Angelorum, wobei nicht wenige Details, die aus dem geheimen Handbuch in letzter Zeit publik geworden sind, meines Erachtens die Bandbreite des Ka­tholischen eindeutig überschreiten.

Die Frage nach dem Ort von Engel und Dämonen im Glauben der Kir­che hat daher ihre volle Berechti­gung. Zu einer ersten Antwort führt der alte Grundsatz der Kirche, daß die lex orandi die lex credendi sei, daß sich im Beten und im Gottes­dienst der Kirche am deutlichsten ausdrückt, was die Kirche glaubt. Dem liturgisch Versierten kommt da wohl in den Sinn, daß das eucha-ristische Hochgebet zu Ende der Präfation auf den Lobpreis ver­weist, den die Engel und die himm­lischen Scharen Gott darbringen, der dann auch im Trishagion der Seraphim, im dreimaligen „Heilig" als Gesang erklingt (vergleiche Jes 6,3). Oder: Bei der Erneuerung des .Taufversprechens geht dem Be­kenntnis des Glaubens an den drei­faltigen Gott die Absage an den Teufel und seine Werke voran.

Mit diesen kurzen liturgischen Erinnerungen ist schon eine erste umrißhafte Antwort auf die Frage nach Engeln und Dämonen im Glau­ben der Kirche gegeben: Von En­geln ist die Rede, wenn Gottes Größe und Herrlichkeit zur Sprache kommt, wenn Gottes Bemühung um uns Menschen deutlich wird; vom Teufel ist die Rede, wenn sichtbar werden soll, daß wir in der Taufe von jeder Macht des Bösen befreit wurden, daß wir aber auch als Er­löste noch gefährdet sind, weil wir den Schatz in zerbrechlichen Gefä­ßen tragen (vergleiche 2 Kor 4,7).

Sollte jemand auf den ersten Seiten der Genesis nach einem Hinweis auf die Erschaffung der Engel suchen, wird er enttäuscht sein. Wohl aber wird der aufmerk­same Bibelleser in den älteren Überlieferungen des Alten Testa­ments eine andere interessante Entdeckung machen: Da ist vom „Engel Jahwes" die Rede, der als hilfreicher Bote erscheint, der Is­rael am Schilfmeer schützt, der das Volk leitet und ihm Aufgaben über­trägt. Im „Engel Gottes" manife­stiert sich Gottes nachgehende Sorge und Bemühung um das Volk. An einigen Stellen ist der „Engel Jahwes" fast nicht von Gott selbst zu unterscheiden (Gen 16,7-14; 21,17-19; 22,11-13): Der Gott, den niemand sehen kann, verleiblicht sich in diesem „Engel", wird sicht­bar und bringt sich zu Gehör.

Neben dem „Engel Jahwes" ist von weiteren himmlischen Wesen die Rede, die den „Hofstaat" Gottes bilden, die als Boten Gottes im Dienst seines Heilswirkens stehen. In der nachexilischen Zeit erschei­nen drei Engel mit Namen, die aber ihre Aufgabe und Funktion aus­drücken: Michael („Wer ist wie Gott?" - Dan 10,13.21), .Gabriel (Starker Gottes - Dan 8,15f) und Raphael (Gott hat geheilt - Tob 12,15). Jeder dieser Namen weist auf Gott zurück. Auch das allge­meine Wort „Engel" bedeutet ja nicht mehr, aber auch nicht weni­ger als „Bote"; es ist ein Funktions­name, wie schon Augustinus be­tont, nicht eine Wesensbezeich­nung.

Die neutestamentlichen Schrif­ten sprechen nicht sehr häufig von Engeln: Der „Engel des Herrn" kündet das Geschehen der Mensch­werdung des Sohnes des Allerhöch­sten, Engel rufen die Frohbotschaft von der Geburt des Retters aus, Engel interpretieren das leere Grab und damit das Geschehen der Auf­erstehung. Im Geschehen der Ver­suchung Jesu und in seiner Todes­angst am Ölberg vermitteln Engel die Nähe und Geborgenheit in Gott.

Die Engel werden tätig als In­strumente in der Hand Gottes; sei­ne Sorge und seine Bemühung um uns Menschen wird in ihrem Er­scheinen sichtbar, seine Größe und Herrlichkeit lassen sie erahnen. Offenkundig gab es aber schon in der zweiten Generation der Chri­sten eine Verschiebung der Gewich­te: Der Hebräerbrief betont, daß Christus über den Engeln steht: „Denn zu welchem Engel hat er jemals gesagt: ,Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt '?" (Hebr 1,5). Diese sind „nur die­nende Geister, ausgesandt, um denen zu helfen, die das Heil erben sollen" (Hebr 1,14).

Vor allem aber sieht sich der Kolosserbrief zu einer Polemik gegenüber einer überzogenen En­gelverehrung veranlaßt: „Niemand soll euch verachten, der sich in scheinbarer Demut auf die Vereh­rung beruft, die er den Engeln erweist, der mit Visionen prahlt und sich ohne Grund nach weltlicher Art wichtig macht. Er hält sich nicht an das Haupt, von dem der ganze Leib durch Gelenke und Bänder versorgt und zusammengehalten wird und durch Gottes Wirken wächst." (Kol 2, 18f) Wer also die Engel aus dem Kontext, in dem sie in den neutestamentlichen Texten stehen, herauslöst und zu Mittlern neben dem einen Mittler macht, der „hält sich nicht an das Haupt"!

Teufel und Dämonen sind „gefal­lene" Engel, so pflegen wir zu sa­gen. Von diesem „Engelsturz" ist zum ersten Mal in dem nicht zu den kanonischen Büchern des Alten Testaments gehörenden Henoch-buch die Rede. Und der Name „Luzifer" (Morgenstern) findet sich in einem Spottlied auf den König von Babel und dessen Sturz (ver­gleiche Jes 14,12). Wo vom „Satan" die Rede ist (wie im Buch Ijob 1,6-12; 2,1-7 und Sach 3,1-5), erscheint dieser als ein Ankläger vor Gottes Thron, als eine Art himmlischer „Staatsanwalt". Die Rede von „Dämonen" hat einen anderen Ursprung: Mit diesem Namen sind zumeist „Geister" des Volksglau­bens gemeint, die in Ruinen und Wüsten wohnen, sie sind in einem gewissen Sinn die Personifikatio­nen des Unheimlichen und Angster­regenden.

Eine große Entfaltung erfuhren Engel- und Teufelvorstellungen in der zwischentestamentlichen Lite­ratur: Dem Kosmos der Engel und guten Geister stehen die Dämonen mit dem Satan an der Spitze gegen­über. Namen und Ordnungen die­ser Wesen finden sich in diesen Schriften, die bezeichnender Weise nie in den Kanon der Heiligen Schriften aufgenommen wurden. Im Vergleich dazu sind die biblischen Texte von einer großen Nüchternheit und Zurückhaltung. Vor allem droht von diesen sehr phantasie­vollen Darlegungen die Gefahr eines Dualismus: Dem Reich des Lichtes wird ein Reich der Finsternis ent­gegengesetzt, dem guten Gott steht ein Reich des Bösen gegenüber. Die Wirklichkeit wird dann durch zwei einander entgegengesetzte Wirk­kräfte bestimmt: durch das Prinzip des Guten, das den Bereich des Geistigen bestimmt, während das Leibhafte und Materielle mit dem Bösen und Dämonischen in Zusam­menhang gebracht wird.

In den neutestamentlichen Schriften ist von Dämonen und Teufel die Rede, wenn die Verfal­lenheit und Gef ährdetheit christli­cher Existenz zum Ausdruck ge­bracht werden soll. So wird das Heilswerk Jesu auch als Entmach­tung dessen geschildert, der die Gewalt über den Tod hat (Hebr 2,14), als Errettung aus der Macht der Finsternis (Kol l,13f), als Sturz des Satans (Lk 10,18-20). Auch die Dämonenbannungen (die im Neu­en Testament nie „Teufelsaustrei­bungen" genannt werden!) sind Erscheinungen des erlösenden und befreienden Tuns Jesu; sie werden immer in engem Zusammenhang mit den Krankenheilungen er­wähnt.

Von Teufel und Dämonen ist in der Heiligen Schrift nicht deshalb die Rede, um uns eine Information über deren Existenz zu geben, son­dern um uns deutlich zu machen, wovon wir erlöst wurden. Christus hat uns von allem Bösen und Gott­widrigen befreit, der Christ hat keinen Grund, in Furcht und Angst zu leben. Zugleich machen uAs diese Texte auch aufmerksam, daß die christliche Existenz eine gefährde­te und bedrohte ist.

Natürlich haben die biblischen Aussagen über die Engel, die War­nungen vor Teufel und Dämonen die Phantasie der Christen immer wieder angeregt und die Theologen zu Spekulationen über das Sein und die Wirkweise dieser Wesen her­ausgefordert. Es ist naheliegend, geistbegabte Wesen in „menschli­cher" Weise zu denken, aber im Grunde bewegen wir uns da auf einem Gebiet mit vielen Fragezei­chen. Man hat „neun Chöre der Engel" errechnet, aber zu diesem Ergebnis kommt man nur, wenn man alle Bezeichnungen höherer Wesen, die in den biblischen Tex­ten vorkommen, zusammenzählt und „ordnet".

Wie steht es mit der feierlichen Lehrverkündigung der Kirche in diesem Bereich? Eine ernsthafte Infragestellung der Existenz von Engeln und Teufel hat es erst im 20. Jahrhundert gegeben. Wo sich die Gemeinschaft der Kirche mit Engel und Dämonen zu beschäftigen hat­te, war der Grund nie deren Be­streitung, sondern deren Überschät­zung. So hat zum Beispiel ein teil­kirchliches Konzil in Braga (im heutigen Portugal gelegen) 561 die Behauptung verurteilt, der Teufel sei das Prinzip des Bösen und der Materie.

Auch hinter der Aussage des 4. Laterankonzils 1215 steht die glei­che Intention: Das Konzil erklärte, daß Gott „in seiner allmächtigen Kraft zu Anfang der Zeit in glei­cher Weise beide Ordnungen der Schöpfung aus dem Nichts geschaf­fen habe, die geistige und die kör­perliche, das heißt die Engelwelt und die irdische Welt, und dann die Menschenwelt, die gewissermaßen beide umfaßt, da sie aus Geist und Körper besteht. Denn der Teufel und die anderen bösen Geister sind von Gott ihrer Natur nach gut er­schaffen, aber sie sind durch sich selbst schlecht geworden."

Das Konzil wollte angesichts der drohenden Irrlehre eines metaphy­sischen Dualismus, wie er von den Katharern vertreten wurde, klar­stellen, daß die Schöpfung der Welt dem guten Gott zuzuschreiben sei. Alles, was existiert, verdankt Gott das Dasein. Es gibt nichts in sich Böses, sondern nur Geschöpfe Got­tes, die in eigener Entscheidung böse geworden sind.

Was glaubt die Kirche in bezug auf Engel und Dämonen? Die Kir­che glaubt nicht an Engel und Dämonen, denn glauben kann man nur an Gott, der sich uns in Jesus Christus mitgeteilt hat. Wir glau­ben nicht ein Vielerlei, sondern an den einen Gott, der uns in der kon­kreten Geschichte Israels und im Christusereignis in seine Gemein­schaft berufen hat. Aber in diesem Geschehen der Zuwendung Gottes zu uns Menschen zeigt uns die Rede von den Engeln, daß Gottes Größe und Herrlichkeit unser Begreifen und Erahnen übersteigt, zeigt uns, „wie begrenzt die von uns gesehene Wirklichkeit ist, und daß Gottes Reich mehr umfaßt als die uns er­kennbare Wirklichkeit" (Claus We­stermann).

Der Autor ist außerordentlicher Professor am Institut für Dogmatische Theologie und Dog­mengeschichte der Universität Wien.

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