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Boykott mit Nachteilen?

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Mit einer im Bundesgesetzblatt kundgemachten Anordnung sind die Einzelbestimmungen für die am 14. November stattfindende Sprachzählung erlassen worden. Es handelt sich um eine Sprachzählung besonderer Art im ganzen Bundesgebiet gemäß der Novelle zum Volkszählungsgesetz vom 7. Juli 1976, obwohl diese Novelle auch die Möglichkeit zuließ, die Sprachzählung nur auf bestimmte Gebiete zu beschränken, etwa auf Kärnten (oder Teile Kärntens) und das Burgenland.

Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn es sich um die Zählung auch der Tschechen in Wien handelt, die bei den letzten Volkszählungen stets recht stiefmütterlich behandelt wurden, indem die Auszählungsergebnisse bezüglich der Umgangssprache nicht ausgewertet wurden und man daher schon seit langem nicht mehr weiß, wieviele Tschechen es noch gibt bzw. gab. Die Sprachzählung vom 14. November ist für die Tschechen (und Slowaken) auch deshalb besonders ermutigend, weil jetzt nach der Muttersprache gefragt wird, was ja viel minderheitenfreundlicher ist als die Frage nach der Umgangssprache. Falls die Wiener Tschechen die Frage nach der Muttersprache wirklich wahrheitsgemäß beantworten sollten, wozu an sich jedermann verpflichtet ist, könnte es sein, daß eine recht große Zahl von Tschechen in Wien und auch noch etliche Slowaken in Niederösterreich ermittelt werden.

In Wien gibt es eine nach ernsthaften Schätzungen heute noch mindestens 20.000 Menschen (wenn nicht mehr) umfassende Sprachminderheit der Tschechen (nach der Muttersprache). Die Zählung wäre ein Auftrieb für die ethnische Minderheit. Tatsächlich hat auch der „Minderheitenrat der tschechischen und slowakischen Volksgruppen in Österreich“ offenbar aus diesem Grunde das Volksgruppengesetz soeben begrüßt. Die Wiener Tschechen dürften ja auch einen Volksgruppenbeirat erhalten. Wenn das Volksgruppengesetz keinen anderen Neuerungseffekt hätte als die Wiedererweckung der Wiener Tschechen als ihrer selbst bewußte Gruppe, was sie zuletzt vor langer Zeit noch war, als ihr Vertreter Jirava Mitglied des Wiener Landtages (SPÖ) gewesen ist, wäre schon viel gewonnen. Denn die Wiener Tschechen sind loyale Österreicher.

Vom Burgenländisch-Ungarischen Kulturverein liegen bisher noch keine Äußerungen zur Sprachzählung besonderer Art vor. Auch hier ist anzunehmen, daß diese Sprachzählung der Erhaltung dieser echten Volksgruppe nur dienlich sein wird, zumal es bei dieser keine Quislinge und keine Assimilanten gibt und die Zählung daher ihre Zahl kaum vermindern dürfte. Zudem ist, im Gegensatz vor allem zu Kärnten, nicht damit zu rechnen, daß angesichts der ruhigen Atmosphäre zwischen den ethnischen Gemeinschaften im Burgenland irgendein gesellschaftlicher Druck auf die Kroaten ausgeübt wird. Nach dem ersten Regierungsentwurf einer Verordnung über die gesetzlich vorgesehenen Volksgruppenbeiräte sollen sie übrigens auch einen Volksgruppenbeirat erhalten.

Da die österreichischen Zigeuner, die großteils heute ganz verstreut leben, nachdem sie im Dritten Reich von einem grausamen Genocid betroffen und bis auf eher geringe Reste ausgerottet wurden, nur noch in geringem Maße die Zigeunersprache sprechen (meist Sinti, doch gibt es auch Romäni), dürfte die Sprachzählung kaum noch österreichische Zigeuner erbringen.

Wonach man sonst in Österreich fragen sollte oder was an Sprachminderheiten herauskommen sollte, erscheint fraglich. Am ehesten könnte man in Vorarlberg Alemannisch ermitteln, doch wäre das wohl eher ein Föderalismus-Bekenntnis (und als solches dann gut, wenn sich dafür eine überzeugend starke Gruppe herausbildete), aber sonst wird man die Wahl einer solchen Variante der deutschen Sprachzugehörigkeit vermutlich belächeln.

Man hat gemeint, die Zählung von Sprachslowenen und Sprachkroaten außerhalb der angestammten Heimat der Volksgruppen in ganz Österreich sei deshalb für diese wertvoll, weil die sehr zahlreichen Slowenen in der Steiermark, in Wien und in Vorarlberg und die ebenfalls sehr zahlreichen Burgenlandkroaten in Wien dann mitgezählt und berücksichtigt würden. Das ist aber undenkbar, weil ja das Volksgruppengesetz den darin angeführten besonderen Erhaltungsschutz auf bestimmte Gebietsteile beschränkt; und zwar auf jene, wo eine verhältnismäßig beträchtliche Anzahl der Gruppenangehörigen wohnt: 25 Prozent der Gesamtbevölkerung. Das ist aber ein so hoher Prozentsatz, daß selbst in Kärnten fast nirgendwo das Slowenische zusätzlich zum Deutschen Berücksichtigung finden wird. Wenn im Motivenbericht zum Volksgruppengesetz vom 7. Juli 1976 steht, man halte sich mit der 25-Prozent-Grenze an internationale Vorbilder, nämlich die Regelung des Londoner Triest-Memorandums vor 1954, so ist das unberechtigt. Denn das Londoner Memorandum ist längst vor Ausarbeitung der Regierungsvorlage, in deren Erläuterungen das steht, durch den italienischjugoslawischen Vertrag von Osimc vom 10. November 1975 aufgehober worden, der jetzt übrigens auch ratifiziert worden ist. Die Grundsätze des Londoner Memorandums sollen zwai noch weitergelten, aber nur noch nach Maßgabe innerstaatlicher Gesetzgebung. Sonst aber wurde bisher nirgendwo in der Welt der Minderheitenschutz erst ab 25 Prozent Minderheitsangehörigen gewährt.

Während der Kroatische Kulturverein im Burgenland sich vor kurzem zwar eindeutig gegen die Sprachminderheitenermittlung ali völlig überflüssig aussprach, es abei den einzelnen Volksgruppenangehörigen überließ, sich zählen zu lasser oder nicht, haben die slowenischer Dachverbände die Boykott-Parole ausgegeben. Sie wollen sich nicht „wie Ochsen“ zählen lassen. Von betont deutschnationaler Seite (die sich heute in Kärnten aber gerne als österreichisch-nationale Seite gibt und damit Verwirrung anrichtet) wurde dazu erwidert, daß der „gute“ Kärntner sich eben nicht zu den Ochsen rechne und sich daher gern und freudig als der Muttersprache nach Deutscher zählen lassen wolle. Darin und in weitergehenden Erklärungen von dieser Seite wurde angedeutet, daß jeder Südkärntner, ob nun deutscher oder „windischer“ Muttersprache, sofern er sich nur als Deutschkärntner fühle, verpflichtet sei, in die Rubrik nur „deutsch“ einzutragen und nichts anderes.

Ob die slowenischen Dachverbände gut beraten waren, als sie die Boykottparole herausgaben, muß bezweifelt werden. Zwar würde nach Auffassung vieler führender Slowenen auch bei einer Teilnahme der Slowenen an der Sprachzählung nicht annhernd die Traumzahl von 40.000 oder 50.000 Sprachslowenen herauskommen, doch wäre immerhin denkbar, daß die Zahl zwischen 19.000 und 23.000 läge. Angesichts des gesellschaftlichen Drucks wäre dann die tatsächliche Zahl mit 50 oder 100 Prozent über dem Zählungsergebnis anzusetzen. Bei Befolgung der Boykottparole werden die assimilierungs-willigen Slowenen (die sog. „Windi-schen“) sich zählen lassen, die volksbewußten aber nicht, und das wird dann etwa 4000 Sprachslowenein geben.

Das ist zum gänzlichen Volkstod zuviel, zum Weiterleben der Volksgruppe jedoch zuwenig. Denn die Rechnung, dann alle Stimmenthaltungen als Stimmen für die Zugehörigkeit zur slowenischen Muttersprachgruppe rechnen zu können, kann kaum aufgehen. Es gibt ja auch NichtSlowenen im fraglichen Gebiet, die trotz der Aufrufe nationaler Organisationen ihre Stimmzettel leer abgeben werden. Als Orientierungshilfe für die Durchführung des Volksgruppengesetzes ist das Zählergebnis bei Boykott durch die Slowenen jedenfalls unbrauchbar.

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