6899333-1980_22_04.jpg
Digital In Arbeit

Brachte das Jahr des Kindes Umdenken?

19451960198020002020

Heuer dürfen wir stolz zurückblicken: auf 35 Jahre Zweite Republik, auf 25 Jahre Staatsvertrag. Und auch das Maria-Theresien-Jahr ist da! Es wäre nicht Österreich, wenn uns nicht ausgerechnet die Mutter von sechzehn kaiserlichen Kindern von der Last des Jahres des Kindes befreit hätte.

19451960198020002020

Heuer dürfen wir stolz zurückblicken: auf 35 Jahre Zweite Republik, auf 25 Jahre Staatsvertrag. Und auch das Maria-Theresien-Jahr ist da! Es wäre nicht Österreich, wenn uns nicht ausgerechnet die Mutter von sechzehn kaiserlichen Kindern von der Last des Jahres des Kindes befreit hätte.

Werbung
Werbung
Werbung

Womit haben wir, die Erwachsenen, uns eigentlich 1979 im Jahr des Kindes auseinandergesetzt? Wir haben die Verkürzung unserer Arbeitszeit diskutiert und uns für die Kinder eine Verlängerung ihrer Arbeitszeit via „Zwangstagsschule” einfallen lassen.

Wir haben im Herbst ORF-weit einen neuen Zuschauerrekord im Dauerfernsehen aufgestellt. Die Kinder machten Schlagzeilen wegen ihres alarmierend schlechten Gesundheitszustandes - vor allem durch Bewegungsman-gel-

Wir ereiferten uns über Sinn und Unsinn von Gefängnisstrafen und nickten beifällig, wenn irgendwo ein ungezogener Fratz eine Watsche bekommen hat.

In Österreich werden jährlich rund 85.000 Kinder geboren. Erwachsene in rasenden Blechkisten verletzen jährlich rund 5000 Kinder, über 100 sterben bei Verkehrsunfällen.

In Wien leben mehr als 200.000 Kinder unter 15 Jahren. Die Erwachsenen verbetonieren ihren Lebensraum systematisch. Kinder, die im sechsten, siebenten oder achten Bezirk dieser Stadt wohnen, haben nicht einmal einen halben Quadratmeter „öffentliches Grün” zum Atmen und zum Spielen.

Wo waren eigentlich im Jahr des Kindes die Anwälte dieser zahlenmäßig doch so großen Minderheit der Kleinen? Wo sind die Bürgerinitiativen der Mütter, die auf dem langen Marsch mit dem Kinderwagerl zu einem Fleckerl Grün neben den unbezwingbaren Straßenbahnen und U-Bahnen herlaufen und sich zwischen Hauswand und den die Gehsteige blockierenden Autoküh-lern vorbeiquetschen?

Wo ist die Interessenvertretung der Väter, die sich für Zweitwohnungen in Schulden stürzen, damit auch ihre Kinder zumindest einen Tag in der Woche Platz zum Spielen und Luft zum Atmen haben, die ihnen die großstädtische Architektur und Wohnumwelt nicht gestattet?

Wo ist die Lobby der Gastarbeiterkinder, die sich für die Integration dieser Gruppe einsetzt? Wo sind die Gesundheitsminister und Sozialversicherungsbosse, wenn man den Kindern die gesunde Ernährung, die Schulmilch, verweigert?

Wo sind die Demonstrationen für die Lach- und Lärmfreiheit der Kinder in Höfen, und Parks?

Dennoch: es gibt auch bei der Einstellung gegenüber den Kindern ein Umdenken. Diese Uberzeugung ist kein professioneller Polit-Optimismus, sondern die Summe aus Erfahrungen. Meinungsforschungen zeigen, daß immer mehr Österreicher der Ansicht sind, äußerlich zwar immer reicher, innerlich hingegen immer ärmer zu werden.

Dieser Denksatz führt zu einer positiveren Einstellung zu Familie und damit zu Kindern. Vielleicht, und das möchte ich trotz meiner Einleitung nicht leugnen, war auch das Jahr des Kindes ein kleines Mosaiksteinchen, das zu diesem Umdenkprozeß etwas beigetragen hat.

Es ist aber ein weiter Weg vom Umdenken zum entsprechend anders Handeln. Und in Österreich wird er meist nicht zu Ende gegangen. Das Heer der österreichischen Nörgler, zusammengebrochen in der Mitte des Weges zwischen neuen Ideen und deren Realisierung, ist Legion.

Und hier, so glaube ich, sollte ein Politiker seine Aufgabe sehen: den Menschen zu helfen, neue Wege zu suchen, Experimente und Modelle zu starten, Lösungen zu finden, ihre Situation, mit der sie unzufrieden sind, zu meistern.

Beim Mitarbeiterkongreß der Wiener Volkspartei im Vorjahr wurde eine Fülle von konkreten Vorschlägen für die Verbesserung der Lage der Stadtkinder gemacht.

Die Vorschläge reichen vom Wunsch nach einem „Grünen Bus”, mit dem Mütter mit Kinderwägen aus den dichtverbauten Innenstadtbezirken in Erholungsgebiete fahren können, bis zur Ur-genz für ein Kinderparlament.

Die vorgeschlagenen Lösungen zeigen eines deutlich: niemand glaubt, daß der Staat, der Apparat, die Bürokratie, die Technologie oder sonst ein großer Bruder zur Verbesserung der Situation der kleinen Kinder etwas beitragen kann. Nur die überschaubare Gemeinschaft, Selbstorganisation und Eigeninitiative können zu befriedigenden Lösungen führen.

Von „oben” erwartet man nur, daß nichts verhindert oder behindert wird, daß Kinderfreundlichkeit in den Rathäusern, Schalt- und Planungszentralen dieses Landes neben Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu den Prioritäten des Handelns gehört.

Wir müssen uns der Verantwortung bewußt sein, daß die, die sich am wenigsten wehren und am leisesten artikulieren können, die meiste Hilfe von uns brauchen.

Die Verfasserin ist seit 5. Juni 1979 Wiener ÖVP-Ahgcordnetc /um Nationalrat. von Beruf Kaufmann, und seihst Mutter eines dreijährigen Sohnes.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung