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„Brandstifter"?

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Wo Kirche noch einseitig in- stitutionell und Wahrheits- findung noch einseitig monologisch verstanden wird, müssen Theolo- gen und Laien, die das Verständnis der Kirche als Communio und ein ihm entsprechendes Verständnis des Lehramts vertreten, als Stören- friede und Feinde der Einheit er- scheinen. Aber der steckengeblie- bene konziliare Impuls drängt wei- ter; er kann nicht zum Stehen ge- bracht werden.

Wenn Moraltheologen, die mit

Vertretern der verschiedenen ein- schlägigen Wissenschaften und mit der konkreten Erfahrung ständig konfrontiert sind, ihre Einsichten in den Prozeß der Wahrheitsfin- dung einbringen, wenn sie beim Lehramt auch Vermittlungsproble- me und da und dort auch Zweifel anmelden, sollte man sie nicht als „Brandstifter" abmahnen; sie sind Feuermelderund Wehrmänner, auf die nicht zu hören sich verhängnis- voll auswirken könnte.

Die Moraltheologie hat in ihrer Geschichte für schmerzliche Erfah- rungen gelegentlich einen hohen Preis bezahlt. Im 16. und 17. Jahr- hundert stritten sich ihre Vertreter zum Beispiel über die Frage, wel- cher Grad von Sicherheit bezie- hungsweise Wahrscheinlichkeit für die Geltung eines Gesetzes in einer konkreten Situation gegeben sein müsse, damit der Mensch es erfül- len muß beziehungsweise daß er sich für die Freiheit vom Gesetz entscheiden kann. Je nach dem Grad der geforderten Wahrscheinlichkeit in solchen Zweifelsfällen unter- schied man die verschiedenen pro- babilistischen Systeme des Äqui-

probabilismus, des Minusprobabi- Iismus, des Probabiliorismus, die alle unter sich natürlich wieder strengere und mildere Auslegun- gen zuließen.

Der Tübinger Moraltheologe Franz Xaver Linsenmann aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestreitet nicht, daß alle diese Sy- steme der Freiheit dienen wollten. Aber er... selbst handelt die eigent- lich gemeinten Probleme unter dem Stichwort „Pflichtenkollision" ab.. .Gelegentlich hat F. X. Linsen- mann in seiner ätzend kritischen Art gesagt, man könne - und er hat es ja selbst getan - den ganzen Traktat über die probabilistischen Systeme „aus dem Leib der Moral- theologie herausschneiden, ohne daß ein Tropfen Blut nachfließt".

Hoffen wir, daß uns mit der nicht- endenwollenden Diskussion über Empfängnisregelung am Ende nicht ein ähnliches Urteil trifft. Kein Moraltheologe bestreitet den Kern- punkt der kirchlichen Lehre, daß die geschlechtliche Vereinigung auch in der Ehe ihren vollen Sinn nur erfüllen kann, „wenn sie als Ausdruck freier Hingabe ganzheit- lich (also ohne „Unterbrechung") und unmittelbar (also ohne Zwi- schenschaltung von „Mitteln") voll- zogen wird" (1).

Das brauchen sich die Eheleute im übrigen von zölibatären Kir- chenleuten gar nicht sagen zu las- sen, weil sie aus Erfahrung wissen, daß jeder nicht-ganzheitliche und nicht-unmittelbare Vollzug der

Geschlechtlichkeit empfindliche Einschränkungen mit sich bringt, die man nur bei gewichtigen Grün- den auf sich nimmt. Da die Wah- rung der Integrität physiologisch- biologischer StrulJturen und Ab- läufe keine absolute Norm ist, gilt als entscheidendes Kriterium für die Wahl von Verhütungsmitteln, (wenn „natürliche" Wege aus ernst- haften Gründen nicht in Frage kommen) daß „die wesentlichen Werte der Ehe als Gemeinschaft fruchtbarer Liebe erhalten und gefördert werden" (2).

Man kann nur hoffen, daß schon bald Methoden der Empfängnisre- gelung gefunden werden, die ohne jede Form des Eingreifens in phy- siologisch-biologische Strukturen und Abläufe verantwortliche El- ternschaft verwirklichen lassen.

Da sich dies zur Zeit in sehr vie- len Fällen nicht durchführen läßt, muß man Kompromisse zulassen, wenn man das oben genannte und sicher in sich unstrittige Kriterium (Erhaltung und Förderung der we- sentlichen Werte der Ehe als Ge- meinschaft fruchtbarer Liebe) als Entscheidungsgrundlage akzep- tiert.

(1) A. Auer, Art. Ehe, in: Handwörterbuch theologischer Grundbegriffe, herausgegeben von H. Fries, Bd. 1, München 1962,241-251, hier 248.

(2) So im Mehrheitsgutachten aus der Päpstli- chen Spezialkommission, in: Herderkorrespon- denz 21 (1967)427.

Der Autor ist emeritierter Professor für Mo- raltheologie. Auszug aus einem Vortrag im Rahmen des Jubiläums „50 Jahre Theologische Kurse" am 27. April in Wien.

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