6994105-1987_03_08.jpg
Digital In Arbeit

Brandstifter des Glaubens

19451960198020002020

Für Katholiken im ganzen deutschen Sprachraum, die ihren Glauben vertiefen wollen, gibt es eine noch wenig bekannte Adresse: das Evangelisationszen-trum Maihingen.

19451960198020002020

Für Katholiken im ganzen deutschen Sprachraum, die ihren Glauben vertiefen wollen, gibt es eine noch wenig bekannte Adresse: das Evangelisationszen-trum Maihingen.

Werbung
Werbung
Werbung

Die 500-Seelen-Gemeinde Maihingen liegt in der Mitte des Dreiecks Salzburg — Basel — Würzburg, ganz in der Nähe der touristisch bekannten „Romantischen Straße“. Was im katholischen Evangelisationszentrum Maihingen (KEM) geschieht, hat nichts mit religiöser Romantik zu tun.

Seit zwei Jahren beheimatet das von der Diözese Augsburg zur Verfügung gestellte ehemalige Minoritenkloster das katholische Evangelisationszentrum für den deutschen Sprachraum. Grundanliegen des Hauses ist, zur Erneuerung der Kirche (und der Gesellschaft) beizutragen. „Nur

Gott, der die Kirche gestiftet hat, kann sie auch erneuern. Nur ihm gelingt die Umwandlung der Gemeinde in .personale Wir-Räume', die eine alternative Lebensform zur anonymen Welt bieten und somit allen Suchenden Heimat bieten kann“, formuliert die Glaubens- und Lebensgemeinschaft des KEM.

Als eine Initiativgruppe in der Karwoche 1984 das Gebäude übernahm, fand sie ein Altersheim, dessen Insassen abgesiedelt worden waren, weil die Renovierung wirtschaftlich nicht vertretbar erschien. Heute ist es ein modernes Bildungshaus mit 50 Betten, nach dem Dachbodenausbau soll die Zahl der Zimmer verdoppelt werden. Derzeit umfaßt die Gemeinschaft 17 Erwachsene und fünf Kinder. Acht Personen bilden das Team, das die Kurse leitet, Pädagogen und Theologen wie Schwester Lucida Schmieder OSB und Pater Hans Buob SAC, die von ihren Orden für diesen Einsatz freigestellt sind.

Die Kommunität ruht auf drei Säulen:

• Verbindliche Glaubens- und Lebensgemeinschaft aus Priestern, Ordenschristen, Farmlien und alleinstehenden Laien

• Biblische Glaubensschule mit einem differenzierten Kursangebot für Priester und Laien. „Dabei geht es nicht um ein umwerfend neues Programm für die Bibelarbeit im katholischen Raum, sondern um die Intensivierung und Vertiefung der geistlich-lebens-bezogenen Bibelarbeit“, sagt Schwester Lucida. „Wo die Freude an Gottes Wort geweckt worden ist, kann dieses nicht ohne Auswirkung auf das Leben des einzelnen und der Gemeinde bleiben.“

• Gemeindemissionarische Dienste. Missionsteams aus Maihingen leben einige Wochen und Monate in Pfarrgemeinden mit, um als „Brandstifter der frohen Botschaft“ Menschen zur persönlichen Glaubensentscheidung zu führen.

Die Spiritualität ist von der Geistlichen Gemeinde-Erneuerung geprägt. Heribert Mühlen, Professor für Dogmatik an der Universität Paderborn, betont, daß dies „keine neue Bewegung, keine neue Elitebildung, sondern die Intensivierung des Christseins ist, dessen also, was schon immer in der Kirche geschehen und in der Liturgie vorgesehen ist.“

Allerdings sieht sich die Erneuerung- auch innerhalb der katholischen Kirche — noch immer Vorurteilen gegenüber, weil sie vielfach mit charismatisch-freikirchlichen Gruppen verwechselt wird. Mühlen meint, daß die Unterscheidung zwischen Echtem und Unechtem noch zuwenig entwik-

kelt sei und nennt vier Kriterien: Hinführung zu Christus, Aufbau der Gemeinde, Ubereinstimmung mit der Lehre der Bibel und der Kirche, Bewährung im Alltag.

Wesentlich für eine gelebte geistliche Gemeinde-Erneuerung ist die bewußte Grundentscheidung für Gott und die Kirche. Sie führt zur persönlichen Annahme des sakramentalen Gnadenangebotes, zum Beispiel in der Erneuerung des Tauf- und Eheversprechens und der Gaben des Heiligen Geistes. Kardinal Franz König sagte einmal: „Ohne Ringen um persönliche Frömmigkeit gibt es keine christliche Gemeinde. Christliche Gemeinden brauchen nicht nur gute Pfarrer und einsatzwillige Mitarbeiter, sondern auch geistliche Menschen.“

Das war der Grund für 30 Christen aus Niederösterreich und Wien, die in ihren Gemeinden Verantwortung tragen, das neue Jahr mit einem Seminar in Maihingen zu beginnen. Das Thema hieß „Der Weltauftrag des Christen nach den Aussagen des Zweiten Vatikanums“. Weil der Weltauftrag den ganzen Menschen braucht, war es ein Seminar für Leib und Seele. Es blieb viel Zeit

für Gebet, Anbetung und Liturgie. Vorträge und Gespräche hatten ebenso Platz wie kreative Elemente. Besonders wohltuend für kritische Teilnehmer: Hier war nichts „gemacht“, keine krampfhaft „gestaltete“ Liturgie, keine Peinlichkeiten beim Tanz und Gesang mit Gebärden.

Jeder Tag hatte seinen Themenschwerpunkt: Dimensionen der Hingabe nach Paulus (Sr. Lucida); Selbsterkenntnis und Heilung; Das Wirken des Heiligen Geistes (P. Buob). Besonders am zweiten Tag wurden durch die szenisch-symbolische Darstellung Bindung und Erlösung, Belastung und Befreiung eindrucksvoller bewußt gemacht als sonst durch viele Worte.

Das Seminar gibt Kraft und Mut, sich den konkreten Anforderungen des Alltags neu zu stellen, auch wenn einem nicht zum Alle-luja-Singen zumute ist. Die Teilnehmer engagieren sich in ihren Gemeinden und überpfarrlichen Gebetsgruppen. In ganz Österreich gibt es an die 400 solcher Gruppen. In jeder Diözese finden auch Großveranstaltungen der Geistlichen Gemeinde-Erneuerung statt. Das Wiener Treffen unter dem Motto „Fürchtet euch nicht“ ist von 1. bis 3. Mai 1987 im Zentrum der Stadt geplant.

In Maihingen werden alljährlich fast 50 Kurse gehalten: Exerzitien, Bibelwochen, Familienseminare, Glaubenskurse, Vertiefungstage. Dazu kommen Tage der Glaubenserneuerung für spezielle Zielgruppen wie Jugendliche, Priester, Ärzte, Musiker oder kirchliche Mitarbeiter. Neben der Lebensgemeinschaft und den Kursteilnehmern leben „Oel-Gä-ste“ in dem ehemaligen Kloster.

Oel steht für ora et labora. Hier heißt das, mit der Gemeinschaft zu beten und zu arbeiten, sei es in der Küche, im Garten, im Reinigungsdienst oder beim weiteren Ausbau des Hauses. Diese Eigenleistung ist ein wesentlicher Beitrag zur Entstehung und Erhaltung des Hauses — für viele auch der Einstieg in die Lebensgemeinschaft.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung