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Brandts Rücktrittsgrund

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Zumindest das Ausland empfand den Rücktritt des deutschen Bundeskanzlers wie einen Blitz aus heiterem Himmel, mit dem eigentlich nicht gerechnet worden war. In einer Situation der Stärke hätte die Entlarvung des persönlichen Brandt-Referenten Guillaume wohl kaum zu einem solch schwerwiegenden Schritt geführt. Der Fall bekam seine für die SPD verhängnisvolle Dimension durch das Zusammenwirken mehrerer Faktoren: ein im allgemeinen angeschlagenes Image der Regierungspartei und des Kanzlers, einen deutlichen Trend zum Konservativismus, eine aggressive Opposition; vor allem aber ließ die Tatsache, daß die bundesdeutsche DDR-Politik zu einer schweren Enttäuschung geführt hat, und die DDR nicht daran denkt, ein Tauwetter einzuleiten, den DDR-Spionageerfolg als nationale Schmacherscheinen. Guillaume mag Brandt enttäuscht haben — die DDR hat ihn gedemütigt.

Noch ist um den Fall Guillaume vieles im Dunkeln. Während die Bild-Zeitung den Spion sofort zum geheimen Drahtzieher der SPD-Politik stilisierte und Brandt als von Guillaume gelenkte Marionette darstellte, bemühte man sich auf SPD-Seite, Guillaume als eher unbedeutenden Kanzlergehilfen darzustellen, der keinen Zugang zu Geheimpapieren gehabt habe. Feststeht, daß Guillaume, der bei der Verhaftung offen gestand, Offizier der Nationalen Volksarmee der DDR zu sein, zumindest über die Interna der SPD bestens Bescheid wußte, da er für Brandt den Kontakt zur Partei hielt, Termine koordinierte und Korrespondenz erledigte.

Auch wenn Guillaume keinen Zugang zu geheimen Papieren über Staatsgeschäfte hatte, so muß doch angenommen werden, daß er über alle Überlegungen in der Regierungsspitze bestens Bescheid wußte. Ein Mann, der Brandt uniunterbrochen begleitete („Der Mann, der mit der Aktentasche immer hinter Wiliy herlief“), mit ihm in den Urlaub fuhr, noch auf der jüngsten Naeder-sachsen-Werbereise Brandts scherz-treibend als Helfer des Kanzlers auftrat, brauchte sicher in vielen Fällen nicht erst Papiere zu studieren, um Vorgänge mit Überlegungen zu kennen, die nicht für die Öffentlichkeit und schon gar nicht für die DDR bestimmt waren.

Die SPD und die Regierung, die nach der Verhaftung Guillaumes sofort den Bundestag und damit auch die Opposition von den Vorfällen in Kenntnis setzten, beteuerten nun, daß der Spion bereite seit nahezu einem Jahr erkannt gewesen sei. Nur zur besseren Beweissicherung habe man ihn so lange auf freiem Fuß gelassen. Wenn dem so war, so hat es in der Tat von Brandt ein unglaubliches Maß an Verstellung und Beherrschung verlangt, so lange einen Verräter im Kreis seiner engsten Vertrauten zu wissen. Die Vermutung, daß die Behauptunig von der frühen Entdeckung der verbotenen Tätigkeit Guillaumes eine Schutzbehauptung ist, liegt daher nicht fern.

In jedem Fall war es für Brandt eine schwere menschliche Enttäuschung. Diese muß er mit vielen anderen prominenten SPD-Männern teilen, die nach eigenem Eingeständnis bis zu Guillaumes Verhaftung für diesen immer munteren, etwas dicklichen Mann die Hand ins Feuer gelegt hätten. Immerhin kann der ehemalige Kanzlerreferent auf die Förderung durch Verteidigungsminister Leber verweisen und auch SPD-Prominente wie Rudi Arndt, Bürgermeister von Frankfurt, und Wirtschaftsexperte Ehrenberg waren von der Integrität Guillaumes überzeugt.

Niemand hätte in dam 1956 aus der DDR angeblich geflüchteten aktiven SPD-Genossen einen DDR-Spion vermutet. Guillaume hatte sich in der SPD Hessens langsam nach oben gedient, sich entscheidend für den rechten Flügel der Sozialdemokraten eingesetzt, die DDR beschimpft und sich als Wahlikampfmanager für Leber solche Verdienste erworben, daß er nach Bonn berufen wurde und hier, für viele recht überraschend, zum persönlichen Referenten Brandts aufstieg.

Hier setzt denn auch unter anderem die Kritik der Opposition im Fall Guillaume ein. Wie, so fragt sie, konnte eine so mediokre Erscheinung, die nur durch ihre Partei-Ochsentour qualifiziert war, bis in den engsten Kreis um Brandt vordringen? Daneben fragt die Opposition, ob bei der Einstellung Guillaumes im Kanzleramt unter dem Sicherheits-gesichtspunlkt mit der nötigen Gründlichkeit vorgegangen worden sei.

Oppositionsführer Carstens beteuerte, die Unionsparteien wollten aus der Spionageaffäre kein Kapital schlagen. Das Eindringen von Staatsfeinden in die Regierungsspitze verlangt auch in der Tat ein gewisses Maß von Solidarität. Auch hat es unter der CDU/CSU-Regierung spektakuläre Spionagefälle gegeben. Im Bundestag nützte Carstens jedoch die Gelegenheit, um der Regierung wegen ihrer Austauschpraktiken mit der DDR Vorwürfe zu machen und damit den ständigen Unions-Vorwurf, die SPD sei gegenüber der DDR zu nachgiebig, eine neue Nuance hinzuzufügen.

Freilich tauscht die Bundesrepublik Spione nicht aus Schwäche bald nach ihrer Verhaftung gegen Inhaftierte in der DDR aus, sondern weil sie auf diese Weise Menschen, die aus politischen Gründen jahrelang in DDR-Gefängnissen saßen, freibekommt. Im Fall Guillaume hat nun aber Innenminister Genscher bereits versichert, eine baldige Auslieferung des DDR-Offiziers in sein Heimatland, in dem ein Konto mit schätzungsweise 100.000 D-Mark auf ihn wartet, komme nicht in Frage.

Auch ohne diese oder andere Vorwürfe gegen die Regierung breit auszuwalzen, darf die CDU jedoch damit rechnen, daß ihr der Rücktritt Brandts zugute kommt. Offen meinte ein SPD-Bundestagsabgeordneter: Das schlägt voll auf die Niedersachsen-Wahl durch. Die teilweise Abkehr von der SPD bei den Wählern findet in der Spionagegeschichte und ihren Folgen Nahrung.

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