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Brasilien: Ein TV-Präsident scheitert

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Brasiliens Staatschef Fernando Collor de Mello, 1989 zum ersten Mal seit Dekaden wieder in Direktwahl bestellt, hat das Votum wohl als Blankoscheck für persönliche Bereicherung mißverstanden. Ein Clan von Lokalpolitikern und lokalen Fernsehstationen aus dem Nordosten sind die Nutznießer, während das Land auseinanderfällt. Brasilien wird von einer bösen Verfassungskrise geschüttelt, Collor de Mello droht die Amtsenthebung.

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Brasiliens Staatschef Fernando Collor de Mello, 1989 zum ersten Mal seit Dekaden wieder in Direktwahl bestellt, hat das Votum wohl als Blankoscheck für persönliche Bereicherung mißverstanden. Ein Clan von Lokalpolitikern und lokalen Fernsehstationen aus dem Nordosten sind die Nutznießer, während das Land auseinanderfällt. Brasilien wird von einer bösen Verfassungskrise geschüttelt, Collor de Mello droht die Amtsenthebung.

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So verzweifelt die wirtschaftliche Lage Brasiliens, so unregierbar das große Land mit seiner neuen Verfassung ist, so stark Staaten im Staat -wie etwa die Goldwäscher-Camps -andere Gruppen und Interessen verletzen, die Situation des Präsidenten entbehrt nicht der Ironie:

Fernando Collor de Mello, von dem Medienkenner sagen, nur das Femsehen hätte ihm zum Wahlsieg verhol-fen, weil er mit seinem werbefilmfähigen Strahlerauftreten des tüchtigen jungen Saubermanns gewichtigere Kandidaten via Fernsehen schlagen konnte, rief - seiner Wirkung sicher - Ende August seine Landsleute auf: Sie sollten für ihn, der zu Unrecht der Korruption beschuldigt werde, in den Landesfarben demonstrieren.

Ja, es wurde demonstriert, aber nicht in grün und gelb. Brasilien, derzeit nur von der Vitalität seiner Bürger flott gehalten, erfand den Carneval als Trauerzug neu. Zu Tausenden gingen in den Metropolen die Bürger auf die Straße - überall schwarz aus Trauer über die Korruption, untersprenkelt mit rot als Farbe des Zorns über das Elend, und weiß als Geisterfarbenanspielung auf die Schein-Gesellschaften, die für die Geldtransfers zu Collor und seinem Team gegründet worden sind.

Der Präsident hatte sich hinsicht-

lich der „schweigenden Mehrheit", die er mobilisieren wollte, gründlich verrechnet. Offenbar hielt er seine Position als Saubermann ein für alle Mal gesichert, nur weil er als solcher vom Fernsehen 1989 zum Wahlsieg geführt worden war. Nur: Wenn die von einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß erhobenen Bereicherungsvorwürfe (der Bericht wurde vom Senat bestätigt, aber für eine Amtsenthebung wären zwei Drittel der Parlamentarier notwendig, eine Mehrheit, die schwer zu erreichen ist) stimmen, so reichen sie in die Zeit vor Collors Präsidentschaft. Die „Republik von Alagoas", wie die Clique um

Collor und seinen späteren Wahl-kampfmananger Paulo Cesar Farias genannt wird, stammt aus Collors Zeit als Gouverneur. Seine Wahl zum Präsidenten dehnte das Operationsfeld der Bereicherungsmöglichkeiten der Clique auf ganz Brasilien und auf das internationale Parkett aus.

Trotzdem pflegten die Medien im Wahlkampf Collors Image als Saubermann. Damit gewann er die Wahl. Mit der Begründung, Korruption ausmerzen zu müssen, entließ er heuer im April seine ganze Regierungsmannschaft. Waren es seine solcherart gekränkten Kumpane? Wie immer, diesmal nahmen die Medien seine hehren Motive nicht für bare Münze. Und auch die Wähler nicht.

Neben der „Seifenoper", die die Fernsehnation Brasilien jetzt life erlebt - unter vielen anderen packt auch Collors jüngerer Bruder, Pedro, von Mama als Chef des Familienunternehmens geschaßt, allerhand Scheußlichkeiten über Fernando aus - er-

stickt das Land in Problemen.

Da ist wieder eine Verfassungskrise. 250 idyllische Artikel der neuen Verfassung könnten nur nach einem Sozialpakt mit der gewerkschaftlich dominierten Linken verwirklicht werden. So ein Pakt ist nicht in Sicht. Die konstruktive Zusammenarbeit zwischen Präsident und Parlament ist nicht verankert, weil ein Umbiegen der Verfassung vom präsidentialen auf das parlamentarische System nicht stattfand. Obendrein ist ein Referendum über Republik oder Monarchie ausständig. Bei der jetzigen Krise könnte ein kräftiges Protestvotum für die Monarchie weiter verunsichern.

Pfründewirtschaft

Da ist die anhaltende Wirtschaftskrise. Nach dem erfolgreichen Publizistikcoup der UN-Umweltkonferenz vom Juni in Rio herrscht wieder Ratlosigkeit. Daran ändert auch das Rück-fließen von brasilianischen Spekulation- und Schwarzgeldern an die eigenen Börsen nichts, die seit langem wieder kurz boomten. Die Privatisierungen gehen zu schleppend voran. Die Angst vor der zurückgekehrten Hyperinflation lähmt ebenso wie die fallende Produktion der überalterten Industrie. Der Realwert des Mindestlohnes fiel auf derzeit 50 Dollar im Monat. Die Arbeitslosigkeit steigt. Kreise des Mittelstands rutschen weiterhin unter die Armutsgrenze. Die Pfründewirtschaft hält an und der Präsident regiert kaum noch, sondern verfolgt nur noch ein Ziel - seinen Machterhalt.

Der brasilianische Befreiungstheologe Frei Betto - in Österreich mit dem Kreisky-Preis ausgezeichnet -hat Brasilien einen neuen Namen gegeben: BELINDIA. Was er damit meint: im modernen Teil zwischen Rio und Sao Paulo sei das Land dynamisch wie Belgien, sonst unterentwickelt wie Indien. Bestürzend an der heutigen Lage ist, daß Brasiliens „Indien-Teile" sich rasch ausdehnen, während eine früher dynamische Industrie schrumpft.

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