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Brasilien in der Sackgasse

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Lateinamerika, so befindet der soeben veröffentlichte Bericht 1991 der CEPAL, der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika mit Sitz in Santiago de Chile, sei dabei, die Krise der achtziger Jahre zu überwinden. Die traurige Ausnahme im traditionellen Jahresreport macht diesmal ausgerechnet Brasilien, wo das Chaos droht.

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Lateinamerika, so befindet der soeben veröffentlichte Bericht 1991 der CEPAL, der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika mit Sitz in Santiago de Chile, sei dabei, die Krise der achtziger Jahre zu überwinden. Die traurige Ausnahme im traditionellen Jahresreport macht diesmal ausgerechnet Brasilien, wo das Chaos droht.

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In Brasilien gilt es als ausgemacht, daß mit der Verfassung von 1988 und ihren rund 250 idyllischen Artikeln eigentlich nicht regiert werden kann. Eine Korrektur läßt sich jedoch von der Präsidentschaft allein nicht durchsetzen. Der dafür notwendige Sozialpakt, der mit Brasiliens gewerkschaftlich dominierter Linken ausgehandelt werden müßte, ist nicht in Sicht. Ein Umbiegen der Verfassung vom präsidialen auf das parlamentarische System hat Staatschef Collor de Mello vorerst abgewendet.

Trotzdem behält die Verfassungsdebatte ihren Stellenwert, weil absprachegemäß in nächster Zeit eine Volksabstimmung gehalten werden muß, bei der in erster Instanz über Republik oder Monarchie (!) entschieden werden muß. Brasiliens Republik hat derart viele ihrer Inhalte verschlissen, daß ein Protestvotum zugunsten der Monarchie in der Höhe von 15 bis 20 Prozent möglich ist. Erst in zweiter Instanz wird dann die Frage nach dem Vorzug für das parla-

mentarische oder präsidiale System gestellt.

Was Brasilien derzeit lähmt, ist die Angst vor der Rückkehr der Hyperin-flation. Lag die Inflationsrate im November bei etwa 20 Prozent, so genügte allein das Gerücht, es würden 30 sein, den Parallelkurs des Cruzeiro auf über 1.000 gegenüber dem Dollar schnellen zu lassen, während der Kurs zu Jahresbeginn 200 betrug. Die Debatte über die erneute Einführung der Indexierüng hält solche Ängste wach. Tatsächlich betrug die Jahresinflation 1991 satte 466 Prozent. Zutrauen flößt die Geldeinheit jedenfalls nicht mehr ein.

Unfähig zum Regieren

Affären, weiterhin Pfründewirtschaft, Korruption stärker dennjeund eine lahmende Privatisierung höhlen Brasilien zusehends aus. Präsident Collor de Mello hält sich zwar weiterhin mit Joggen und Sport fit, doch die Fähigkeit zum Regieren geht dem ehemals strahlenden Fernsehkandidaten immer mehr verloren. Große Sozialprogramme des Bundes wie das Projekt, 5.000 Zentren zu errichten, in denen Brasiliens unversorgte Kinder Essen, Schulung und Sport kostenlos

erhalten sollen, stoßen nur noch auf Ungläubigkeit. In der Provinz Rio de Janeiro, die Mitte der achtziger Jahre solche Zentren einrichtete, stehen 80 Prozent leer, weil die Gelder fehlen.

Wirtschaftliche Erholung, Mitte 1991 staatlich (mit frisierten Zahlen) ausgemacht, fand keine Bestätigung. Dem realen Rückgang der Wirtschaft um vier Prozent 1990 stand 1991 nur ein Nullwachstum gegenüber. Brasiliens nationale Industrie, die im letzten Jahrzehnt ihre Konkurrenzfähigkeit eingebüßt hat, funktioniert heute mit alternden Maschinenparks und macht häufig nur deshalb weiter, weil

eine Schließung infolge der hohen Kündigungszahlungen aus Geldmangel nicht durchführbar erscheint.

Als Höhepunkt der Niedertracht erscheint den Brasilianern, sonst keineswegs kleinlich, die Beichte der Ex-Wirtschaftsministerin Zelia Cardoso de Mello, vor einem Jahr noch der Superstar von Fernando Collor (aber nicht mit ihm ver-

wandt). Daß die attraktive Junggesellin als Wirtschaftszarin sich in ihren Ministerkollegen Cabral, der damals das Justizressort führte, verknallte, wurde noch vergnügt zur Kenntnis genommen. Daß sie jedoch mit Hilfe des Schnellschreibers Fernando Sabi-no eine Lebensbeichte unter dem Titel „Zelia, uma paixao", „Zelia, eine Leidenschaft", vorlegte, verstimmt heute. Natürlich wurde daraus ein Bestseller, bereits in der achten Auflage.

Das Buch enthüllt, was Frauen gerne erfolgreichen Männern nachsagen: Die Karriereökonomin erweist sich als ewiger Teenager, der als Studentin aus bürgerlichem Haus der Kommunistischen Partei beitrat, in zahlreiche unglückliche Liebesaffären tappte, einen geheimnisvollen österreichischen Freund namens Alfred hat und schließlich im weit älteren verheirateten Justizminister Cabral der großen Leidenschaft begegnete. Während die beiden offiziell zu Schuldenverhandlungen in New York weilten - Zelia schildert dies ganz ohne Rückhalt -vergnügten sie sich in Wirklichkeit in einem Luxushotel. Zelia bringt sogar das unrühmliche Ende der Affäre in Paris (nachdem beide Minister bereits

zurückgetreten waren) zu Papier: Nachdem bereits die Namen für ihre künftigen Kinder feststanden, habe sie in einem billigen Hotel auf die Rückkehr des Liebhabers - er hatte sich daheim bloß einen Zahn reparieren lassen wollen - gewartet. Vergebens.

20 Millionen abgesahnt?

Beruflich versucht Zelia derzeit ein „Institut Brasilien" auf die Beine zu stellen. Aber der Plan lahmt, weil herauskam, daß sie vielleicht 20 Millionen Dollar als persönliche Marge für eine ministerielle Transaktion abgesahnt hat. Ganz Brasilien wartet jetzt hämisch auf ihre Steuererklärung. Im übrigen ist sie wieder verlobt, und zwar mit dem 60jährigen Fernsehkomiker Chico Anysio, der als „Professor Rai-mundo" die Brasilianer unterhält.

Brasilien ist heute so abgewirtschaftet, daß nur noch die Vitalität seiner 150 Millionen Bürger alles flott hält. Das meint zumindest das Wochenmagazin „Isto e", das unlängst die Ergebnisse einer Umfrage mit demSatz „sim, o Brasil tem jei-to", ja, Brasilien wird es schon irgendwie schaffen, zusammenfaßte.

Immerhin fragte das Magazin im Untertitel nachdenklich, ob Optimismus allein ausreichen wird, um aus der derzeitigen Krise des Landes herauszukom-

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