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Digital In Arbeit

„Brater" und Mikrochip

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Im „Wehrgraben" der oberöster-reichischen Stadt Steyr, einer historischen Industrielandschaft, um deren Erhaltung ein jahrelanger erbitterter Kampf geführt wurde, ist in der Nachfolge der Oberösterreichischen Landesausstellung 1987 das „Museum Industrielle Arbeitswelt" entstanden. Seit 1. Mai ist dort die Ausstellung „Info. Eine Geschichte des Computers" zu sehen.

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Im „Wehrgraben" der oberöster-reichischen Stadt Steyr, einer historischen Industrielandschaft, um deren Erhaltung ein jahrelanger erbitterter Kampf geführt wurde, ist in der Nachfolge der Oberösterreichischen Landesausstellung 1987 das „Museum Industrielle Arbeitswelt" entstanden. Seit 1. Mai ist dort die Ausstellung „Info. Eine Geschichte des Computers" zu sehen.

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Dieses Museum sieht seinen Auftrag nicht im enzyklopädischen Sammeln und Bewahren, sondern in der wechselnden Dokumentation gesellschaftlich relevanter Teilaspekte. So war in den vergangenen zwei Jahren dort die Ausstellung „Hundert Jahre christliche Soziallehre" zu sehen. Auch die Computer-Ausstellung soll bis Ende 1994 laufen.

Seit 1987 wird die Mittelhalle von drei riesigen Objekten beherrscht, die den Weg der Industrialisierung symbolisieren: Wasserrad, Dampfmaschine und Elektrizitätswerk. Nun steht ein viertes an zentraler Stelle: das „Mailüfterl", 1956-58 von Heinz Zemanek und seinen Mitarbeitern an der Technischen Hochschule Wien gebaut, ist Österreichs relevanter Beitrag zur Computer-Geschichte, die vor allem in den USA geschrieben wurde.

Ungeheuer aus der Vorwelt

Wirft man von dort einen Blick in den angrenzenden Raum mit den al-lerneuesten PC-Modellen, hat man das Gefühl, vor einem Vorweltunge-heuer zu stehen, das von der Gegenwart so weit entfernt ist wie die Benzinkutsche des Siegfried Markus von einem modernen Straßenkreuzer. Aber bis zum „Mailüfterl" war es ein langer Weg.

Im Anfang war der „Brater", ein mechanischer Bratenwender, der im 12. Jahrhundert entwickelt wurde. Bekanntlich nennt man noch heutzutage Uhren, denen man allenfalls Altertumswert zugesteht, „Brater", und um Uhren geht es im ersten Raum. Sie sind die ältesten Maschinen, die keine Arbeit leisten, die programmiert werden, und Informationen liefern. Sie nehmen im Prinzip die Entwick lung späterer Jahrhunderte hinweg, so wie aus Mühlenrädern Turbinen wurden.

Als Computer-Vorläufer sind beispielsweise Rechenmaschinen zu sehen, etwa die Rechenuhr, die Wilhelm Schickart 1623 für seinen Freund Johannes Kepler konstruierte. Sie konnte die Zehner überschreiten und beherrschte die vier Grundrechnungsarten.

Einen ähnlichen Apparat baute Blaise Pascal für seinen Vater, der ein Steuereinnehmer war und viel mit

Zahlen zu tun hatte. Lord John Napier (1550-1617) verdanken wir den Vorläufer des Taschenrechners: Rechenstäbchen, die das Multiplizieren erleichterten. Der Lord verdient auch anderweitig in der Geschichte der Computertechnik genannt zu werden

Turmuhr 1673

- er hat das binäre Rechnen erfunden.

Im Zeitalter der industriellen Revolution entwickelte Jean Marie Jacquard (1752-1843) seinen lochkartengesteuerten Webstuhl und automatisierte damit die Arbeit in den Textilmanufakturen.

Ein Jahrhundert später baute Hermann Hollerith (1860-1929) auf diesem Prinzip auf und ermöglichte 1890 mit seinem Lochkartensystem die Auswertung von Volkszählungen innerhalb von 28 Stunden.

In Schaubildern, Wandtexten und Videofilmen werden zwei weitere Pioniere der Computertechnik vorgestellt. Charles Babbage (1791-1871) leistete mit seinen Differenzen- und Analytischen Maschinen wesentliche Vorarbeit, wenn auch die kühnen Projekte den technischen Möglichkeiten weit vorauseilten. Alan M. Turing (1912-1954) trug wesentlich zur Entwicklung des „Colos-sus" bei, mit dessen Hilfe die Funksprüche der deutschen Wehrmacht entschlüsselt wurden.

Zur Generation der Ausführenden gehörte auch John von Neumann (1903-1957), der 1930 aus Ungarn in die USA eingewandert war. Er war ebenso wie Turing maßgeblich an einem militärischen Projekt beteiligt.

ENIAC (Electroni-cal Numerical Integra-tor and Computer) diente zur Berechnung der Flugbahn von Ge-schossen und war noch kolossaler als der „Colossus": 31 Meter lang, 30 Tonnen schwer, bestückt mit 18.000 Röhren, 50.000 Relais und 70.000 Widerständen. Heraklits Theorie vom Krieg als dem Vater aller Dinge erwies ihre Aktualität bei der Entwicklung von Großrechenanlagen und Computern.

Mit den Großrechnern der Kriegsund Nachkriegszeit war der Wendepunktgekommen. Seit nunmehr dreißig Jahren geht es darum, immer mehr Leistung auf immer kleinerem Raum zu erzielen. Voraussetzung dafür war die Erfindung des Mikrochips, der integrierten Schaltung im Jahr 1959.

Allerdings war es wieder der Krieg, der Kalte Krieg, der die Sache eilig vorantrieb: nämlich der Wettlauf der Supermächte im Weltall. Ebensowenig wie ein Mensch ohne Herz oder Hirn vorstellbar ist, ist es die Weltraumfahrt ohne Computer. Aber man kann nicht gut einen 31 Meter langen Koloß in eine Kapsel packen. Was Mars begann, hat Merkur schleunigst aufgegriffen. 1981 kamen die ersten Personalcomputer auf den Markt. Hier endet die Ausstellung. Weiteres kann man auf einschlägigen Messen sehen: noch bessere, handlichere und erschwinglichere Rechenzentren für jedermann/frau/kind.

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