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BRAVSEIN HAT KEINEN SINN

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(Ir)-Doron Rabinovici ist 1961 in Tel Aviv geboren, kam mit zweieinhalb Jahren aus beruflichen Gründen des Vaters nach Österreich und sieht und empfindet sich nicht als Österreicher, er hat die österreichische und die israelisches Staatsürgerschaft. Er hat Geschichte studiert und arbeitet derzeit an seiner Dissertation über die Wiener Kultusgemeinde in den Jahren 1939 bis 1945, über Resistenz und Kooperation nach 1945.

Seit seiner Jugendzeit ist er politisch engagiert, zunächst als Vorsitzender der Jugendbewegung „Haschomer Hazair", die zionistisch und sozialistisch ist, dann im Dachverband jüdischer Hochschulen und seit der Waldheim-Affäre arbeitet er im Republikanischen Klub Neues Österreich mit. Für Rabinovici haben diese Engagements auch eine gefühlsmäßige Bindung bedeutet. Nach Studienabschluß will er vielleicht nach Israel gehen.

Wie hat er seine Integration in Österreich! etwa in der Schule erlebt?„Ich hab' mich wohlgefühlt und fremd zugleich, die Klassenkollegen haben vieles anders gesehen als ich, in Geschichte beispielsweise."Auf die antisemitischen Provokationen zweier Mitschüler (aus FPÖ-Elternhäusern) kam es zu einer Prügelei, die Auseinandersetzung hat die ganze Klasse vor eine bewußte Entscheidung gestellt.

„Im Lauf der Zeit haben immer mehr Mitschüler aber begriffen, worum es geht, nach der Matura hat sich auch der letze der beiden Provokateure entschuldigt. Man ist als Jude hellhöriger, wird schon vom Elternhaus dazu erzogen, die Frage nach der Identität stellt sich früher als bei anderen Jugendlichen", sagt Rabinovici. Und: „Ich meine, daß sich junge Juden heute eindeutiger zu ihrer Identität bekennen, da hat von Generation zu Generation eine Radikalisierung stattgefunden, Bravsein hat keinen Sinn."

Rabinovici erlebt die beiden Identitäten, die jüdische und die österreichische, als einander konträr:„Der Antisemitismus ist eine Kulturtradition in Österreich wie das Wiener Schnitzel, aber auch die Juden der jungen Generation sind von den Ereignissen des Holocaust geprägt, das ist ein un-aufhebbarer Widerspruch. In Israel kann ich als Jude anders leben als in Österreich".

Erzählen denn die Überlebenden ihren Kindern vom Holocaust? „Meine Mutter hat lange Zeit nicht über ihre KZ-Erlebnisse gesprochen, trotzdem war uns die Tatsache ständig bewußt und hat uns geprägt. In meiner Kinder- und Jugendzeit habe ich immer wieder den Namen des KZ vergessen, in dem meine Mutter war."

Für seine Mitarbeit in der Kultusgemeinde sieht Rabinovici kein Problem darin, daß er nicht gläubig ist. „Bis zu Beginn dieses Jahrhunderts wollten Juden in Österreich, Deutschland, Frankreich an die Möglichkeit der Gleichwertigkeit durch Anglei-chung glauben. Nur machten sie dann die Erfahrung, daß Assimilation noch stärkere rassistische Ressentiments hervorruft. Je größere Unterschiede in einer Gesellschaft zugelassen werden, umso sicherer ist sie."

Rabinovici meint, daß die Kultusgemeinde längerfristig Konfrontationen nicht immer ausweichen sollte. Für ihn ist entscheidend, ob Österreichs Politiker eher nach Wählerstimmen schielen als deutlich gegen Antisemitismus und Rassismus auftreten:„Vor der Wahl werden die antisemitischen Stimmen umhegt, nach der Wahl die Israelitische Kül-tusgemeinde."

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