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BRD: Starre Fronten im Arbeitskampf

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Die „härteste Tarifauseinandersetzung in der Geschichte der Bundesrepublik", so Gewerkschaftsfunktionäre, beginnt die deutsche Wirtschaft empfindlich zu treffen. Für Arbeitgeber, aber auch für Wirtschaftswissenschafter ist es schlicht der „dümmste Streik", den sich die Republik leistet.

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Die „härteste Tarifauseinandersetzung in der Geschichte der Bundesrepublik", so Gewerkschaftsfunktionäre, beginnt die deutsche Wirtschaft empfindlich zu treffen. Für Arbeitgeber, aber auch für Wirtschaftswissenschafter ist es schlicht der „dümmste Streik", den sich die Republik leistet.

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Eines kann auch den Gewerkschaften nicht verborgen bleiben: Der wirtschaftliche Aufschwung, der erstmals seit diesem Frühjahr wieder eine Eigendynamik entwickelt, wird unsanft gebremst. Trotzdem sind die Fronten in der Auseinandersetzung erstarrt, und die Bundesregierung, die zur Neutralität verpflichtet ist, sitzt zähneknirschend am Rande des Schlachtfeldes.

Natürlich wird auch dieser Arbeitskampf irgendwann einmal zu Ende gehen. Aber es gibt nur einen ganz geringen Spielraum für einen Kompromiß, der beide Seiten das Gesicht wahren läßt. Denn jedes Abweichen der Arbeitgeberseite von der Festlegung auf die 40-Stunden-Woche wird ihr als Niederlage ausgelegt; umgekehrt kann die Gewerkschaftsstrategie zur Erreichung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich auch nach wochenlangem Streik keinen durchschlagenden Erfolg haben. Man muß sich aufeinander zubewegen. Die Frage ist nur, wieviel?

Die bisherigen Streiks in der Druck- und in der Metallindustrie sind für die Gewerkschaften keine berauschenden Erfolgserlebnisse gewesen. Die IG Druck hatte es da noch vergleichsweise einfach, weil sie lediglich in den einzelnen Betrieben Urabstimmungen durchführen mußte. Da lassen sich natürlich die organisierten Arbeitnehmer eher von Solidaritätsappellen beeinflussen. Und dennoch hat die Druckgewerkschaft in einer ganzen Reihe von Betrieben die notwendige Zustimmung nicht erhalten.

Auch die IG Metall hatte nach den beiden Urabstimmungen in den Tarifbezirken Nordwürttemberg/Nordbaden und Hessen wenig Grund zum Jubel, obwohl es bei den Funktionären ein hörbares Aufatmen gab, als das Quorum von 75 Prozent Ja-Stimmen überschritten wurde.

Die Stimmung ist nicht gut bei den Arbeitnehmern. Das wissen die Gewerkschaftsbosse nur zu genau. Und sie wird mit Sicherheit jetzt nicht dadurch besser, daß die Arbeitgeber zum Mittel der Aussperrung greifen.

Die IG-Metall-Taktik war von Anfang an, mit möglichst geringem Aufwand die größtmögliche Wirkung zu erzielen. Deshalb ließ man zunächst in Tarifbezirken abstimmen, die als besonders zuverlässig bei solchen Gelegenheiten gelten. Dann wurde der Streikaufruf ganz gezielt auf bestimmte Unternehmen beschränkt.

Was von der Gewerkschaft als „sanfter Auftakt" verkauft wurde, war in Wahrheit der — mittlerweile gelungene — Versuch, durch Bestreiken von Zulieferfirmen der Autoindustrie nach wenigen Tagen die Automobilherstellung lahmzulegen. Während die Gewerkschaft offiziell nur verpflichtet ist, den aktiv Streikenden Streikgelder zu zahlen, muß in einem nicht bestreikten Werk, das gleichwohl von den Streikfolgen getroffen wird, nach Ansicht der IG Metall die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg an die umständehalber Arbeitslosen Kurzarbeitergeld bezahlen.

Doch in Nürnberg hat man bereits abgewunken. Da man sich als Behörde in Fällen der Tarifauseinandersetzungen völlig neutral zu verhalten habe, dürfe man nicht mit Zahlung von zeitweisen Unterstützungsgeldern der einen oder anderen Seite der Tariffront einen Vorteil verschaffen. Und den hätte die IG Metall, weil sie die Metallwirtschaft nahezu lahmlegen könnte, aber nur bei wenigen aktiv bestreikten Betrieben Streikgelder zu zahlen wären.

Die Arbeitgeberseite hat diese Taktik mittlerweile durch Aussperrungen durchkreuzt. Solche Abwehraussperrungen versetzen die Gewerkschaften immer in größte Wut, sind aber ausdrücklich vom Bundesarbeitsgericht als rechtmäßig anerkannt. Nun muß die Streikkasse bluten, da auch die ausgesperrten Arbeitnehmer Anspruch auf Streikgeld haben.

Doch alle diese taktischen Finessen können nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Gewerkschaften ihrem Ziel, der Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, nicht einen Schritt näherkommen. Statt dessen müssen sich die Funktionäre täglich von der schlechter werdenden Stimmung an der Basis berichten lassen. Denn wenn in den Familien das Haushaltsgeld knapper wird, lassen auch Solidaritätsgefühle nach, von der Begeisterung für eine 35-Stunden-Wo-che ganz zu schweigen.

Auf den oberen Ebenen werden, garniert mit Anschuldigungen und Vorwürfen, wechselseitig Signale der Bereitschaft zu neuen Verhandlungen ausgesendet. Doch solange kein überzeugender Schlichter auftaucht, stehen die Chancen für erfolgversprechende Gespräche schlecht.

Zwar haben sich sowohl der baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth (CDU), ein alter Duz-Freund des stellvertretenden IG-Metall-Chefs Franz Steinkühler, und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau (SPD) als Schlichter angeboten. Doch die Neigung der Gewerkschaften, einen Politiker mit dieser delikaten Aufgabe zu betrauen, ist sehr gering.

Der Union wirft man vor, sich einseitig auf Arbeitgeber-Seite zu engagieren. Tatsächlich hat die Bundesregierung aber nichts anderes getan, als auf die ökonomischen Gefahren einer flächendek-kenden Einführung der 35-Stun-den-Woche hinzuweisen. Einem Einstieg in die Verkürzung der Wochenarbeitszeit hingegen steht sie durchaus offen gegenüber.

Und die SPD hat auch nicht gerade das Wohlgefallen der Gewerkschafter gefunden, weil sie sich bei ihren Solidaritätsadressen allzu deutlich von parteitaktischen Erwägungen leiten läßt. Die Arbeitgeber wiederum lehnen einen SPD-Schlichter schon deshalb ab, weil sie von dieser Partei ständig vors Schienbein getreten werden.

Am unglücklichsten muß sich die Bundesregierung fühlen. Sie hat keine Möglichkeit, in die Tarifauseinandersetzung einzugreifen. Aber jeder Streik, egal wie lange er dauert, muß den endlich deutlich spürbar gewordenen Aufschwung der deutschen Wirtschaft bremsen oder gar zurückwerfen. Die Auswirkungen werden sich früher oder später zeigen.

Wenn dann aber die Konjunkturdaten keine rosige Tendenz mehr zeigen, wird das erfahrungsgemäß nicht den Arbeitskampfhähnen angelastet, sondern der Wirtschaftspolitik der Regierung.

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