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Brechung des Fortschritts

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Plan- oder Marktwirtschaft - oder ein anderes Wirtschaftssystem? Auf dieses und andere Aspekte der Ökonomie geben Deutschlands Grüne erstmals in einem Sammelband eine Antwort.

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Plan- oder Marktwirtschaft - oder ein anderes Wirtschaftssystem? Auf dieses und andere Aspekte der Ökonomie geben Deutschlands Grüne erstmals in einem Sammelband eine Antwort.

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Die Autoren sind allesamt Wirtschaftsexperten in der Bundestagsfraktion der Grünen, in der grünen Partei oder in deren Vorfeld tätig und gehören groß-teils dem universitären Bereich an. Die Beiträge sind im allgemeinen gut lesbar, erheben sich über die übliche Phraseologie und sind konkreter als das bisher dazu Vernommene. Was ins Auge springt gegenüber der gewohnten Diskussion der gegenwärtigen weit- und binnenwirtschaftlichen Lage, ist die Interpretation dieser Lage als Krise. Und zwar als eine sehr umfassende Krise auch sozialer, ökologischer und kultureller Art: „... im Bereich der Wertvorstellungen und Bedürfnisse, der Denk- und Verhaltensgewohnheiten und der Wissenschaftsauffassung.“

Daraus folgt unmittelbar, daß Wachstum nicht als Problemloser gesehen wird. Diesem steht man ja wegen des engen Zusammenhanges, den man dabei mit der Umweltbelastung sieht, bekanntlich ohnehin skeptisch gegenüber.

Die Probleme, die sich aus einer solchen Haltung für die Beschäftigung ergeben, werden erkannt: Dagegen wird eine „wachstumsunabhängige Beschäftigungspolitik“ gefordert, die ihrerseits durch ein ganzes Spektrum von Maßnahmen, Umorganisationen u. a. erreicht werden soll. Dazu gehört natürlich die Arbeitszeitverkürzung, wobei aber die Probleme der Durchsetzung sowohl bei Arbeitgebern wie -nehmern als auch gegen die internationale Konkurrenz gesehen werden. Neu ist dabei der Vorschlag eines „Rechts auf selbstbestimmte Wenigerarbeit“ (ohne Lohnausgleich) für den Arbeitnehmer, der periodenweise nach eigenem Ermessen weniger Arbeitszeit leisten kann. In den Genuß der Flexibilisierung kommt dabei im Gegensatz zu anderen Modellen der Arbeitnehmer. Einen allzu großen Beschäftigungseffekt erwartet man sich von diesem Recht allerdings nicht.

Weiters zu diesem Fragenkreis der „wachstumsunabhängigen Beschäftigungspolitik“ gehören die bekannten Vorstellungen von einer Entkoppelung von Arbeit und Einkommen und eines garantierten Mindesteinkommens.

Eine wichtige Rolle dabei spielt auch die geforderte Entwicklung eines neuen Dualismus in der Volkswirtschaft, worunter ein sinnvolles Zusammenwirken von großen, im Weltmarkt stehenden Unternehmen mit einer starken klein- und mittelbetrieblichen Basis verstanden wird, die traditionell und eventuell auch selbstverwaltend organisiert ist.

Diese Klein- und Mittelbetriebe sollen stark regional- und bedarfsorientiert sein, es soll keine Konkurrenz zwischen ihnen geben. An diesem Punkt wird es für das Verständnis schwieriger: Wer sollte da zum Beispiel noch Forschung betreiben? Nur mehr die Großunternehmen? Das würde zu starken Abhängigkeiten der kleinen von den großen Unternehmen führen. Diese Fragen bleiben ausgespart.

Plan oder Markt - das ist für die Grünen keine Frage: Weder -noch! Beiden Systemen sei die Tendenz zur Vernachlässigung ökologischer Aspekte inherent. Im Raum steht vielmehr die Vorstellung regionaler Komitees von „Betroffenen“, die den zentralen Instanzen, die es schon noch geben muß, beratend zur Seite stehen. Das erscheint noch nicht ausgegoren: In einem solchen System dürfte starker Regionalegoismus entstehen; welches Komitee würde auf seinem Gebiet wohl den Bau eines Kraftwerkes dulden?

Schließlich die schon oft eingemahnte Stellungnahme der Grünen zur Budgetpolitik, „der ökonomische Prüfstand der Grünen“, wie sie selbst erkennen. Wie kann und soll ihre Politik finanziert werden? Ausgehend von der Auffassung, daß die heutigen Budgetkonsolidierungen in erster Linie eine Umverteilungsstrategie von unten nach oben darstellen, wird die Forderung erhoben, das Steuersystem und den Staatshaushalt nach den Kriterien: sozial, ökologisch und basisdemokratisch umzugestalten.

An eine völlige Umkrempelung des Staatshaushaltes wagt man sich vorläufig noch nicht, obige Punkte sollen einstweilen durch Umschichtungen von Mitteln aus überzogenen Verkehrsprojekten und aus dem Militäretat finanziert werden. Die fiskalpolitische Offenbarung dürfte das einstweilen noch nicht sein.

Gar nicht mitkommen kann man als Leser schließlich beim Abschnitt über die Außenwirtschaft, wo man nichts weniger als die Rückkehr zur Binnenwirtschaft fordert, weü alle Theorien über die Wohlstandssteigerungen durch den Außenhandel als dogmatisch abgelehnt werden. Es ist schon klar, daß es da zuletzt Probleme gegeben hat und gibt (Nord-Süd, Schuldenkrise usw.), aber mehr als 200 Jahre Außenwirtschaftstheorie mit einem Federstrich über Bord zu werfen, ist kühn.

Vor allem wird der intra-indu-strielle Handel kritisiert und gefragt, welchen Sinn es haben soll, gleichzeitig Renaults in die Bundesrepublik und VWs nach Frankreich zu befördern. Derlei sollte gestoppt werden. Gespannt darf man sein, wie das einem Bundesbürger, der partout einen Renault haben will, erklärt werden wird. Hier scheinen sich gewisse Bevormundungspotentiale zu verbergen.

GRÜNE WIRTSCHAFTSPOLITIK. Von Frank Beckenbach et al. Verlag Kiepenheuer & Witsch, 360 Seiten, öS 131,10.

Der Autor ist Referent der volkswirtschaftlichen Abteilung der Osterreichischen Nationalbank.

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