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Digital In Arbeit

Briefe aus den Gefängnissen

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Otta Bednäfovä (53 Jahre, Mutter von zwei erwachsenen Söhnen): „Ohne Brille kann ich nicht einmal das Nächstliegende sehen und bei der Arbeit muß ich ohne direkte Beleuchtung auskommen. Aus diesem Grunde lese ich jetzt überhaupt nicht. Das klingt barbarisch, aber ich kann es mir jetzt wirklich nicht leisten.

Auch fehlt mir hier ein Kocher zum Teekochen und ich habe keine Ahnung, wie sich meine Galle dazu stellen wird, die doch wenigstens ab und zu ihre Bitterstoffe dringend brauchen würde. Aber vorläufig gibt's ja auch keinen Tee, sodaß es sich erübrigt, darüber nachzudenken, worauf ich ihn kochen könnte...

Ich muß zugeben, daß ich mich sehr erschöpft fühle... So gesund bin ich nun wiederum auch nicht. Ich kriege wieder Leberflecken... Die Diät ist nicht so streng, wie ich gewohnt bin, so schränke ich das Essen lieber ein.

Von mir aus kann ich noch mehr abnehmen, das Wichtigste ist, daß ich mir nicht die Leber ganz kaputtmache... Es ist nicht leicht für mich, hatte ich doch früher eine Invalidenrente und eine Büroarbeit.”

Vaclav Benda (33 Jahre, Vater von fünf kleinen Kindern): „Ich habe eine ganz gute Arbeit, an einer nicht besonders gefährlich aussehenden Maschine im Eisenwerk, wobei es mir von Anfang an gelungen ist, die vorgeschriebene Arbeitsnorm ganz erheblich zu überschreiten.

Wie Du ja weißt, habe ich immer und überall eine gute und ordentliche Arbeitsleistung als sehr wichtig und nützlich betrachtet. Diese Meinung vertrete ich auch hier unter den mir so ungewohnten Bedingungen. Allerdings erschöpft es mich vorläufig psychisch und vor allem physisch sehr...

Ich bin zu müde und habe keine Zeit zum Lesen, auch ist nicht anzunehmen, daß sich an dieser Situation etwas grundlegend ändern könnte...

Da ich jedoch nicht darauf aus bin, auf mich, meine Sachen, Freizeit oder die Ansprüche meiner Person Rücksicht zu nehmen, betrachte ich hier alles von der heiteren Seite; ich habe keine Angst zusammenzubrechen und hoffe insgeheim, daß ich alles durch und für Christus tue, denn klein sind wir hier eigentlich alle.”

Vaclav Havel (43 Jahre, verheiratet): „Das hier ist eine phantastische Erfahrung. Die Gefahr einer psychischen Defor-mierung, zu der wohl eine langjährige Isolationshaft fuhren könnte, ist hier wahrscheinlich nicht gegeben, andererseits kann ich mir nicht vorstellen, wie ich dieses Leben hier fünf Jahre lang aushalten kann... Ich versuche es unter Zuhilfenahme meines Sportgeistes...

Ansonsten kann ich nur sagen, wenn auch hier wie erwartet die verschiedensten Leute sind, so verhalten sie sich uns gegenüber wunderbar und versuchen uns zu helfen. Diesbezüglich kann ich absolut nicht klagen. Im Gegenteil, ich war überrascht und gerührt von der Art, wie ich hier aufgenommen worden bin...

Für tiefschürfende existentielle und literarische Überlegungen ist mein Geist momentan zu schwach, alle Versuche in dieser Richtung kommen mir angesichts der hiesigen Erfahrungen bedeutungslos oder zu-mindestens verfrüht vor. Erst muß das hier Erlebte verdaut und begriffen werden. Am liebsten würde ich mir ein Tagebuch zulegen, aber das ist natürlich ausgeschlossen.”

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