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Briefe des „Zauberers" an „die Fürstin"

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Sie war eine ungewöhnliche Persönlichkeit, eine Frau von Format, so daß Thomas Mann sie sogar in zwei seiner Romane aufgenommen hat. Sie diente dem Erzähler als Vorbild für die Figur der Thamar, der zentralen Frauengestalt im letzten Band der Joseph-Tetralogie. Außerdem soll die vornehme Frau von Tolna in dem Roman „Doktor Faustus" ein idealisiertes Porträt von ihr wiedergeben. Die Rede ist von Agnes E. Meyer, mit der Thomas Mann von 1937 bis 1955 einen umfangreichen Briefwechsel führte, der nun in einer vorzüglich edierten Ausgabe erschienen ist.

Agnes E. Meyer, geborene Emst, eine Amerikanerin deutscher Abstammung, studierte in Paris an der Sorbonne und war mit Auguste Rodin und Paul Claudel befreundet. Sie heiratete den amerikanischen Großbankier und Philantropen Eugene Meyer, der unter anderem die „Washington Post" kaufte und mit reger Beteiligung seiner Frau leitete. Das vermögende Ehepaar machte sein Stadthaus in Washington und seinen Landsitz in Mount Kisco zu einem Mittelpunkt des politischen und künstlerischen Lebens. Agnes Meyer sprach fließend deutsch und kannte Thomas Manns Werke, lange ehe sie ihn persönlich traf. Die unmittelbare Begegnung ergibt sich, als Agnes Meyer den Dichter während einer Amerikareise im April 1937 in New York interviewt. Die Journalistin ist zu diesem Zeitpunkt 50 Jahre, der weltberühmte Autor 62 Jahre alt.

Damit beginnt eine Korrespondenz,

der Thomas Mann nach seinen eigenen Worten „mehr Gedanken, Nervenkraft, Arbeit am Schreibtisch" widmete „als sonst irgendeiner Beziehung auf der Welt". Der schriftliche Dialog mit Agnes Meyer in den beiden folgenden Jahrzehnten ist einer der umfangreichsten und bedeutendsten Briefwechsel des Autors, der in solcher Dichte mit niemandem sonst geführt wurde. Zwischen 1937 und Thomas Manns Tod haben die beiden an die 800 Briefe gewechselt, oft drei Briefe in einer Woche. Agnes Meyer schrieb zunächst englisch, später fast nur noch deutsch. Von der Korrespondenz waren bisher lediglich 126 Schreiben bekannt, die Erika Mann in den zweiten und dritten Band der Briefauswahl ihres Vaters aufgenommen hatte. Die vorliegende Ausgabe umfaßt dagegen 477 Dokumente, davon 363 Briefe von Thomas Mann. Während die überwiegend handgeschriebenen Briefe des Schriftstellers wohl vollzählig erhalten sind, hat Thomas Mann viele Schreiben von Agnes weggeworfen oder verbrannt. Offenbar wollte er, daß nur seine Perspektive erhalten bleibt.

Erstaunliche Korrespondenz

Der Briefwechsel erscheint nun mit Einwilligung der Erben der beiden Briefpartner aus den Beständen der Thomas Mann Collection der Yale University und des Nachlasses von Agnes E. Meyer in der Library of Congress. Die erstaunliche Korrespondenz wird hier erstmals vollständig und in originaler Gestalt veröffentlicht. Der Band wurde von Hans Rudolf Vaget hervorragend ediert und kenntnisreich kommentiert. In einem

längeren Eingangsessay bietet er eine biographische Skizze über Agnes Meyer. Sein eigentliches Verdienst besteht in der Erarbeitung der erläuternden Anmerkungen, die allein 300 Seiten ausmachen.

Agnes Meyers anfänglich politisches Interesse wandelt sich allmählich in ein literarisches. Sie ist begeistert von seinem Werk, verfaßt Rezensionen seiner Romane, übersetzt seine Reden und Artikel, will sogar ein Buch über ihn schreiben. Die Be-wunderin wird mehr und mehr zur Beraterin. Sie ermutigt ihn, in die Vereinigten Staaten auszuwandern, sie verhilft ihm zu einer Professur in Princeton und finanziert die Vorträge an der Library of Congress. Sie machte es sich zur Aufgabe, das Leben seiner Familie zu erleichtem und sein

Schaffen bekannt zu machen.

Bei alledem war Agnes Meyer keine devote oder selbstlose Verehrerin, sondern selbstsicher und mutig genug, ihm zu widersprechen und ihn zu kritisieren. Sie verlangte Anerkennung und Wertschätzung. Er scheute indes die persönliche Annäherung, er nahm ihre Geschenke an und entzog sich ihr gleichzeitig. Anstelle einer direkten Beziehung bot er ihr den ausgedehnten Briefwechsel. Während sie verehrte und bewunderte, dämpfte er ab. Die Bemühungen der energischen und schwärmerischen Frau erschienen ihm oft als unliebsamer Einbruch in sein geregeltes Dasein.

Es gab auch Beziehungskrisen

Es bleibt nicht aus, daß es in diesem gespannten Dialog zu Krisen und Konflikten kommt. Widerspenstig wird Thomas Mann vor allem dann, wenn sie ihn ihrer Vorstellung von ihm angleichen, ihn gleichsam erziehen will. Insbesondere im Mai 1943 kommt es zu Vorwürfen und Streitereien, die fast zum Abbruch der Beziehungen führen. Der Briefwechsel wird seltener, aber er hört nicht auf. Thomas Mann bleibt für sie der „Zauberer", sie für ihn die „Schattenspenderin". Im Jahr 1955 dankt sie ihm dafür, „daß Sie mein Leben und Streben so erhöht und verschönert haben". Und Thomas Mann ist „tief dankbar gerührt von Ihrer liebe- und mühevollen aktiven Versenkung in meine geistige Existenz".

Neben dem biographischen Reiz der doppelten Lebensgeschichte und dem Material für eine Künstlerpsychologie ist der Briefwechsel von beträchtlichem literarischem und historischem Wert. Der Leser erhält reiche Auskünfte über Thomas Manns Arbeit, vor allem am „Doktor Faustus", die auch sein Schaffen in neuem Licht erscheinen lassen. Man erfährt wesentliches über seine Lebensumstände und sein wechselvolles Verhältnis zu Amerika - Eingewöhnung und Solidarisierung, die von McCarthy verursachte Entfremdung und die Rückkehr nach Europa. Der Briefwechsel mit Agnes Meyer ist neben den Tagebüchern die zentrale Quelle für die amerikanischen Jahre Thomas Manns. Die ungewöhnliche Amerikanerin wiederum hat sich mit dieser Korrespondenz in die deutsche Literaturgeschichte eingeschrieben.

BRIEFWECHSEL 1937-1955.ThomasMann/ Agnes E. Meyer: Herausgegeben von Hans Rudolf Vaget. S. Fischer Verlag, Frankfurt 1992. 1.171 Seiten, Leinen, öS 1.155,-.

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