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Britische Parteien tagen: Wer entthront die Tories?

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Bereitschaft zur Regierung ist das Schlagwort von Allianzparteien und von Labour, die sich in ihren drei Konferenzen Rechenschaft abgelegt und ihre Wahlstrategie entwickelt haben. Der Augenblick ist für die Oppositionsparteien günstig: Die To-ries an der Regierung sind angesichts von Rekordarbeitslosigkeit, ausgabenfreudigen Lokalräten, Abbau des geliebten Wohlfahrtsystems und rassenmotivierten Aufständen in Schwierigkeiten.

Margaret Thatcher stellte Anfang September ihr neues Regierungsteam vor, das die Abnüt-

Zungserscheinungen reparieren, verlorenen Anhang zurückgewinnen und die Ordnung im Sinne der Konservativen bis zu den nächsten Wahlen in zwei Jahren wiederherstellen soll.

Wie immer sich die Dinge bis zum Urnengang entwickeln werden, die Premierministerin hat es nicht mehr nur mit dem traditionellen Erzgegner, der Arbeiterpartei, zu tun. Die Allianz aus liberalen und jungen Sozialdemokraten hat sich zur dritten Kraft in der britischen Politik herausgemausert und stellt mit Berechtigung Kombinationen an, welche Großpartei sich im Falle eines Kopf-an-Kopf-Rennens als Koalitionspartner anbietet.

Die Premier mini Sterin freilich ist überzeugt, es zum dritten Mal allein zu schaffen. Labourführer Neil Kinnock schlägt die Möglichkeit eines Regierungsbündnisses mit der Allianz rundweg aus, wohl mehr aus Gründen der Taktik denn der Vernunft.

Nach zwei erfolgreichen Konferenzen schießen die Partner der Mitte in der öffentlichen Meinung schlagartig zur überlegenen Führung vor Labour und den Konservativen vor. Die Beförderung mag von kurzer Dauer sein, ist indes eine prompte Anerkennung des Publikums für spektakuläre Versammlungen, welche gravierende Differenzen im Parteiengefüge wenn schon nicht beseitigt, so doch abgeschliffen haben.

Nach wie vor lebt die Mitte-Union von den beiden, bestens aufeinander eingespielten Führerpersönlichkeiten David Owen (SDP) und David Steel (liberal). Der erste ist ein ausgezeichneter Feldherr, dessen Truppe vorderhand noch etwas klein ist, der zweite ein General, dem die Soldaten nicht unbedingt immer in Reih und Glied folgen. In Dundee haben die Liberalen in der zweiten Septemberhälfte aber mit einemmal mehr Disziplin gezeigt.

In der Wirtschaftspolitik genießen die Partner allgemein größeres Vertrauen als es dem Konzept von Labour entgegengebracht wird. Die SDP redet einem gemäßigten Neokeynesianismus das Wort, verspricht, die Arbeitslosigkeit in zwei Jahren um ein Siebtel zu reduzieren, natürlich durch Investitionen in die Beschäftigung.

Die Liberalen machen sich für Kapitalinvestitionen, für Modernisierung der Infrastruktur und für eine Senkung des Zinsniveaus stark. Lohndisziplin und Einkommenspolitik sind jedoch nur durchzusetzen, wenn die störrischen Gewerkschaften zum Mitspielen gewonnen beziehungsweise gezwungen werden können.

Mit ihren - vorläufig noch nicht vollkommen synchronen — Programmen ist es der Allianz gelungen, tief in alte Labourpositionen von der Arbeiterklasse bis zu den Angestellten in der Mittelschicht einzudringen. Owens Devise von „Härte und Fairness“ fällt dort auf fruchtbaren Boden, wo Frau Thatcher versagt hat: in der Korrektur von sozialer Ungerechtigkeit.

Labour: Mehr Realismus

Je weniger die Labour-Partei mit ihren Flügeln fertig wird und je mehr sie sich dem ideologischen Einfluß der Extreme öffnet, umso besser für die Mitte-Parteien. So rechnet die Allianz, deren sozialdemokratischer Teil längst das Merkmal von besseren Labouri-sten abgelegt und sich rechts von der Mitte angesiedelt hat.

Labour, von Natur aus eine „breite Kirche“, hat seit dem

Aderlaß vor vier Jahren an Einheit und damit an Glaubwürdigkeit gewonnen. Nicht zuletzt ist dies das Werk von Neil Kinnock, der 1983 die Zügel aus den Händen des farblosen Michael Foot übernommen hat.

Kinnock hatte erst einmal den Ruf zu revidieren, daß ihm Wort und Medienimage mehr gelten als durchgreifende politische Aktion. Der jüngste Parteiführer in der britischen Politik hat den (lin-ken^Augiasstall seiner Organisation gehörig ausgemistet. Seit einem Jahr verhält sich der stets auf Unruhe bedachte Flügel um Tony Benn bemerkenswert ruhig.

Das überrascht umso mehr als Kinnock selbst aus diesem Kreise stammt. „Nur durch einen Führer von der linken Seite kann Labour nach rechts gedrückt werden, und Kinnock hat in diesem Sinne seine Sache gut gemacht“, lobt der Abgeordnete Mitchell. Mehr und mehr vergißt die Arbeiterpartei auf ihre notorische Nabelschau, stellt inneres Gerangel zu Gunsten von wahlwerbenden Programmen zurück. Alle freilich zufriedenzustellen gelingt auch Kinnock nicht.

Extreme in der Wirtschaftspolitik sind von Kinnock gebremst worden: Von Wiederverstaatlichung im großen Stil ist schon nicht mehr die Rede. Der Rückkauf von Gemeindehäusern, die nach populären Tory-Grundsät-zen in den Besitz ihrer Bewohner übergegangen sind, ist vergessen. Der Auszug aus der europäischen Gemeinschaft ebenso.

Gleichwohl ist das Wirtschaftsprogramm von Labour weder sonderlich neu noch besonders attraktiv. Das Geisteskind von Labour-Stellvertreter Roy Hat-tersley will den Abfluß der Investitionen ins Ausland aufhalten, was wenig bringt, und durch die Gründung einer Investitionsbank der verarbeitenden Industrie wieder auf die Beine helfen, was fragwürdig ist.

Versteht sich, daß Labour an der Macht eine gehörige Reflation in Gang setzt, die sich in hoher Geldentwertung auswirkte, wenn sich die Gewerkschaften nicht durch Ruhe an der Lohnfront bescheiden geben. Hattersley glaubt in schwer verständlicher Naivität dort zu reüssieren, wo schon Premier James Callaghan gescheitert ist.

Daß sich „Rambo“ Kinnock gegen unverschämte Forderungen von Bergarbeiterführer Arthur Scargill - Wiedergutmachung der im Ein-Jahres-Streik eingehandelten finanziellen Strafen in Höhe von einer Million Pfund — gehörig zur Wehr setzt, bringt ihm die Sympathien der Medien ein. Er muß es, will er den Eindruck vermeiden, daß Labour vom militanten Scharfmacher, nicht von Kinnock geführt wird.

Ob er sich damit im Parteienkörper durchsetzt, steht zur Stunde noch nicht fest. Das linksextreme Element (Scargill und die anarchistischen Kräfte von Liverpool) ist eine harte Nuß für Neil Kinnock. Knackt er sie und löst er sich auf wirtschaftlichem Gebiet von überholten Programmen, dann könnte er Frau Thatcher gefährlich werden.

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