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Broda auf der Anklagebank

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Österreichs Richter haben einen Notstandsbericht vorgelegt, sogar für Kanzler Bruno Kreisky eine sehr,, interessante Lektüre“. Es herrscht nicht nur ein eklatanter Personalmangel, es herrschen auch sonst oft abenteuerliche Zustände. A uf der A nklagebank sitzt in diesem Fall Justizminister Christian Broda. Aus diesem Notstandsbericht zitiert die FURCHE auszugsweise:

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Österreichs Richter haben einen Notstandsbericht vorgelegt, sogar für Kanzler Bruno Kreisky eine sehr,, interessante Lektüre“. Es herrscht nicht nur ein eklatanter Personalmangel, es herrschen auch sonst oft abenteuerliche Zustände. A uf der A nklagebank sitzt in diesem Fall Justizminister Christian Broda. Aus diesem Notstandsbericht zitiert die FURCHE auszugsweise:

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Anlaß ist vor allem die tiefe Sorge um das effektive Funktionieren der Rechtspflege in Österreich, das uns der­zeit auch nicht annähernd so gewährlei­stet scheint, wie es die Bevölkerung un­seres demokratischen Rechtsstaates von seiner Gerichtsbarkeit erwarten kann.

Dies findet vor allem in immer stär­kerem Maße in kritischen Berichten der Massenmedien über Mängel im Be­reich der Gerichtsbarkeit seinen Aus­druck, etwa wenn eine Partei nicht in der Lage ist, ihr verbrieftes Recht in an­gemessener Zeit auch durchsetzen zu können.

Mögen einzelne solcher Berichte auch unbegründet oder nur darin zu er­klären sein, daß ein Gericht auf Grund der gegebenen materiellen Rechtslage im Einzelfall eine für den Betroffenen unbillig erscheinende Entscheidung treffen mußte, so verkennt auch die Richterschaft nicht, daß viele Be­schwerden durchaus berechtigt sind.

Vor allem ist der gemeinsame Kern aller dieser Anliegen richtig, daß näm­lich der „Zugang zum Recht“ für den einzelnen Staatsbürger, der sich im fast unentwirrbaren Gestrüpp der gerichtli­chen Kompetenzen und Organisations­regeln nicht zurecht findet, derzeit oft kaum gewährleistet ist.

Dies ist aber nur zum geringen Teil im menschlichen Fehlverhalten der Richter begründet, im überwiegenden Maße liegt es am Nichtfunktionieren des Gerichtsalltages, der inneren und äußeren Organisation, der überalteten Bürostruktur und dem Mangel an ge­eigneten Hilfskräften.

Es ist nicht zu verkennen, daß in den letzten Jahren auf dem Gebiet des ma­teriellen Rechtes sehr viel geschehen ist und Reformen durchgeführt wurden,

die lang überfällig und notwendig wa­ren und Österreich auch international viel Ansehen gebracht haben.

Dieser Erfolg wird aber dann zu­nichte gemacht, wenn der Staat nicht mehr bereit ist oder in der Lage ist, für die effektive Durchsetzung der Rechts­ordnung zu sorgen. Ein Gesetz ist im­mer nur so gut wie sein Vollzug in der Praxis.

Geradezu wird es zum Hohn, wenn dem Staatsbürger in Gesetzen formell Rechte eingeräumt werden, die er dann, wenn er sie in Anspruch nehmen will, nicht durchsetzen kann. Es ist sinnlos, Gesetze zu erlassen, deren tatsächliche Durchführung in der Praxis nicht oder nur ungenügend gesichert ist.

Eine selbstverständliche Forderung muß daher sein, daß jeweils spätestens mit der Erlassung eines Gesetzes auch die nötigen legistischen, personellen und organisatorischen Begleitmaßnah­men getroffen werden, um den Vollzug dieses Gesetzes zu sichern. Dazu gehört natürlich auch die Sicherung der finan­ziellen Bedeckung der dadurch erwach­senden Kosten.

Die richterlichen Standesvertretun- gen haben in den letzten Jahren wieder­holt organisatorische und prozessuale Reformvorschläge zur Beschleunigung und Verbesserung der Rechtsprechung erarbeitet und den zuständigen Stellen, vor allem dem Bundesministerium für Justiz, vorgelegt, die bisher allerdings nur zum geringsten Teil und äußerst zö­gernd verwirklicht oder auch nur be­handelt wurden...

In dieser Situation erachten es Öster­reichs Richter für ihre Pflicht, die Öf­fentlichkeit und die verantwortlichen Stellen in unserem Staat auf diesen Notstand aufmerksam zu machen.

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