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„Bruder Johannes“ fuhrt die SPD an

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Die Entscheidung des SPD-Parteivorstandes vom Montag vergangener Woche überraschteeigent-lich niemanden: Bei den 1987 fälligen Bundestagswahlen soll der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau die Sozialdemokraten zum erhofften Erfolg führen.

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Die Entscheidung des SPD-Parteivorstandes vom Montag vergangener Woche überraschteeigent-lich niemanden: Bei den 1987 fälligen Bundestagswahlen soll der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau die Sozialdemokraten zum erhofften Erfolg führen.

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Damit hat die große Oppositionspartei ihre personellen Weichen für die kommenden Wahlauseinandersetzungen gestellt. Allgemein ist man der Meinung, daß sie mit Johannes Rau den besten Kandidaten gefunden hat.

Den größten Anteil an dieser Kür hatte zweifelsohne der SPD-Bundesgeschäftsführer und Parteistratege Peter Glotz, der nach den Mai-Wahlen rasch erkannt hatte, mit Johannes Rau einen attraktiven Mann der Mitte für die SPD-Spitze präsentieren zu können, der sowohl dem pragmatisch-gewerkschaftlichen wie auch dem linken Flügel der SPD genehm sein würde.

Wer ist nun dieser Johannes Rau, auch „Bruder Johannes“ genannt, der 1987 gegen Helmut Kohl und die christlich-liberale Regierung antreten will, um mit absoluter Mehrheit, so seine Aussage, die Kanzlerschaft zu übernehmen.

Johannes Rau wurde 1931 in Wuppertal-Barmen, im Bergischen Land (ehemals Herzogtum Berg), als Sohn eines evange-lisch-reformierten Pfarrers geboren, wie man seiner Sprachfärbung deutlich anmerkt. Schon als Kind kam er durch sein Elternhaus mit der gegen das NS-Regi-me opponierenden „Bekennenden Kirche“ in Berührung, die ja ihren Ausgangspunkt und Zentrum in Barmen („Barmer Erklärung“) und in dem dort wirkenden bedeutenden reformierten Theologen Karl Barth hatte.

Es war daher klar, daß sich Johannes Rau einem „geistigen“ Beruf zuwandte. Er absolvierte eine Buchhändler lehre und wurde Leiter eines evangelischen Verlages in Wuppertal. Früh kam er mit Gustav Heinemann in Berührung, der 1949 der erste Bundesinnenminister für die CDU und später sein Schwiegergroßvater wurde.

Als Heinemann sich 1952 mit Konrad Adenauer wegen der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik überwarf und die Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP) gründete, ging Rau mit. Denn die Programmatik dieser Partei (pazifistisch-neutralistisch, um so zur Wiedervereinigung Deutschlands zu kommen) entsprach am ehesten seinen durch die „Bekennende Kirche“ geprägten Vorstellungen.

Die GVP scheiterte 1953 bei den Wahlen an der 5-Prozent-Klau-sel, so daß sie sich 1957 mit der SPD vereinigte, die mit ihrem außen- und sicherheitspolitischen Konzept am ehesten der GVP nahekam.

Eine ganze Reihe von Mitgliedern dieser Splitterpartei kamen in und durch die SPD zu ansehnlichen Funktionen. Neben den bereits erwähnten Gustav Heinemann (Bundespräsident) und Johannes Rau waren es unter anderem auch die späteren Bundesminister Erhard Eppler und Jürgen Schmude.

Zweifelsohne beschleunigte der Eintritt der GVP in die SPD deren Entwicklung zu einer progressiven Volkspartei, in der gläubige Christen dieselben Aufstiegschancen besitzen wie die klassischen sozialdemokratischen Funktionäre aus Parteikader und Gewerkschaft. Insoferne unterscheidet sich die SPD deutlich von der SPÖ.

1969 wurde Rau Oberbürgermeister von Wuppertal, 1970 Wissenschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, 1977 SPD-Landesvorsitzender und 1978 Ministerpräsident als Nachfolger Heinz Kuhns. 1980 erreichte er bei den Landtagswahlen einen beachtlichen Erfolg, sicherlich durch den überraschenden Tod des CDU-Spitzenkandidaten Heinz Köppler: Die SPD wurde die relativ stärkste Partei. 1985 wurde dann diese Entwicklung eindrucksvoll bestätigt.

Auch wenn die SPD ihren idealen Spitzenkandidaten gefunden haben dürfte, stellt sich die Situation der Partei doch nicht gerade rosig dar. Zwar konnte der Fraktionsvorsitzende und „Oberlehrer“ Hans Jochen Vogel zumindest im Bundestag eine einheitliche Linie gewährleisten, die SPD als Parteiorganisation aber leidet dennoch an personeller, finanzieller wie ideeller Auszehrung, die an sich nach langjähriger Regierungszeit natürlich ist.

Der Hauptpunkt, an dem sich die Führungsqualität von Johannes Rau erweisen muß, wird die Frage sein, mit welchem Programm und welchen Personen die SPD ab 1987 Politik in der Bundesrepublik machen will. Und dabei hat es Rau zwei in etwa gleich starken Flügeln recht zu machen: dem gewerkschaftlich-pragmatischen und dem linken.

Gerade letzterer ist durch seine Affinität zu grün-alternativem und teilweise linkssozialistischem Gedankengut geprägt. Man denke nur an das jüngste sicherheitspolitische Papier des ehemaligen parlamentarischen Staatssekretärs im Verteidigungsministerium und Nachfahren einer alten preußischen Offiziersfamilie, Andreas von Bülow, das wegen seiner neutralistischen Tendenz für Diskussionsstoff sorgte.

Die Linken in der SPD, „Enkel Brandts“ genannt, spekulieren sicherlich mit einer rot-grünen Koalition, vor der wiederum vor allem der in Nordrhein-Westfalen starke rechte Flügel schwere Bedenken hat. Johannes Rau hat sich inzwischen geschickt aus dieser Diskussion entwunden, indem er die absolute Mehrheit für die SPD anvisiert.

Für die Regierungskoalition ist die frühe Nominierung des SPD-Kanzlerkandidaten vielleicht von Vorteil. Sie kann sich relativ rasch auf Johannes Rau einstellen und versuchen, die Schwächen Helmut Kohls zu glätten. Leicht wird sie es jedoch nicht haben.

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