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Brücke oder Freistaat?

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Als im Zug der Erfüllung des „Pakets" der Südtiroler Autonomiebestimmungen aufgerufen wurde, sich zu einer der drei Volksgruppen zu bekennen, da trugen sich fast zwei Drittel als Angehörige der deutschen, 29 Prozent als solche der italienischen ein und gute vier Prozent als Ladiner. 740 Menschen verweigerten das Bekenntnis — wohl

meist Kinder aus Mischehen, die sich weder der einen noch der andern exklusiv zugehörig fühlten, Vorboten eines künftigen Mischvolks?

Der römische Staatsrat nahm daran Anstoß, daß keine Doppelnennungen möglich gewesen waren. Er hob die Erhebung auf — und heizte damit die Gesamtdiskussion um Südtirol neu an. Es kann nicht ausbleiben, daß dieser Spruch auch den Ruf nach dem Selbstbestimmungsrecht wieder verstärken wird — nach dem Selbstbestimmungsrecht der Südtiroler im ganzen, das man — einigen — Einzelpersonen auch in Bozen verweigert.

„Die Häresie der Südtiroler Selbstbestimmung" ist auch der Kern des Werks „Südtirol und das Vaterland Österreich", das der Wiener Staatsrechtslehrer und ÖVP-Abgeordnete Felix Ermaco-

ra kürzlich vorgestellt hat: der Traum des Volks, das 1918 ohne Selbstbestimmung zu Italien kam und 1945 ohne Selbstbestimmung bei Italien bleiben mußte, das Recht, zu dem sich im Grundsatz auch jene Politiker bekennen, die die Realität nicht gegeben sehen.

„Der Besitz des Selbstbestimmungsrechts ist ein Rechtsproblem" stellt Ermacora fest, „die internationale Anerkennung ist ein Problem der Politik und seine . Durchsetzung eine Machtfrage. Wer sich dieser Sachlage nicht bewußt ist, stolpert mit blinden Augen in eine Situation, die nur mit offenen Augen bewältigt werden kann.

Alle haben Verantwortlichkeit, die, ohne die ganze Sachlage zu kennen oder die Bereitschaft, sie kennen zu lernen, nur ein Element im modernen komplexen Prozeß einer Selbstbestimmung unverhältnismäßig hochspielen, falsch argumentieren, Unrecht für Recht ausgeben, Ursachen und Wirkungen verwechseln, Legitimation für Rechtfertigung ausgeben und in dieser auch Gerechtigkeit sehen."

Ermacora schildert mit wissenschaftlicher Detaillierung die

Entwicklung von Südtirol von St. Germain über die Italienisierung unter dem Faschismus bis zur Option unter Hitler, dann Vom Pariser Vertrag — der bei ihm wenig Sympathie findet - zum Kampf um die Autonomie, zum Paket und zum Operationskalender, der immer noch letzter Erfüllung harrt.

„Für die Nachpaketspolitik oder für die Zeit eines Stops der weiteren Durchführung des Pakets ... gälte es, nicht nur irgendwie weiterzumachen, sondern schon frühzeitig ... nicht nur die Selbstbestimmungsfrage in Form eines verbalen Schlagabtausches zu behandeln, sondern sich die verschiedenen Modelle einer Selbstbestimmung genauer anzusehen", meint der Staatsrechtler. Hierfür schiene ihm das Modell eines „Freistaates Tirol" einer näheren Betrachtung wert.

Liechtenstein, das zwischen der Schweiz und Österreich seine eigenständige Existenz gewahrt hat und mit beiden gleich enge Bezie-

hungen pflegt, ist ihm das Vorbild eines blühenden Zwergstaates zwischen den größeren. Auch die Saar hätte es werden sollen, ein „europäisches Freistaatsmodell, das dem Nationalstaatsdenken weichen mußte".

Träger der Selbstbestimmungsforderung ist heute der Südtiroler Heimatbund, der bei den letzten Landtagswahlen nur geringe Stimmenpotentiale sammeln konnte, deswegen aber nicht unterschätzt werden sollte.

Da man sich bewußt ist, daß Anschlußbestrebungen an Österreich in Wien wenig Gegenliebe fänden, begnügt man sich — vorläufig — mit dem Freistaatsmodell. Der „Freistaat Tirol" sollte das heutige Südtirol — die Provinz Bozen — umfassen, allenfalls einschließlich der ladinischen Täler in den benachbarten Provinzen.

Mit Nordtirol sollte sofort eine intensive wirtschaftliche Zusammenarbeit einsetzen — wie sie durch das „accordino" ohnehin besteht —, um nach einer Ubergangszeit von zehn Jahren die Bevölkerung in einer Volksabstimmung über einen Anschluß an Österreich befinden zu lassen.

„Südtirol wäre prädestiniert,

im Wege eines Freistaatsmodells Ruhe in die Region zu tragen... Südtirol bleibt im Rahmen einer jahrhundertelangen Politik im Alpenraum und der modernen Regionalismuspolitik des Europarates ... eine Frage des europäischen Gewissens", faßt Ermacora zusammen — um dann aber doch die Frage zu stellen: „Oder ist es ratsamer, sich mit dem Unrecht ... abzufinden, aus der gegebenen Wirklichkeit das Beste zu machen: Mißtrauen abzubauen, entspannten Umgang unter den Sprachgruppen zu suchen, die Entkrampfung des Nebeneinander der Südtiroler und Italiener zu lösen, in die Rolle einer Brücke zwischen Nord und Süd, ungeachtet der Gemeinschaftsstrukturen, voll hineinzuwachsen, Dolmetsch zwischen den Kulturen zu sein?"

Und er kommt zum Schluß: „Die Antwort auf alle diese Fragen müßte in der Bewährung des Pariser Abkommens nach der Paketerfüllung und im Fortschritt beim Bemühen um die Vereinigung der europäischen Staaten — Österreich mit eingeschlossen — zum Vereinten Europa liegen."

Nur scheint dieses Traumziel noch weiter entfernt zu liegen als jenes vom Selbstbestimmungsrecht der Südtiroler...

SUDTIROL UND DAS VATERLAND OSTERREICH. Von Felix Ermacora. Amal-thea-Verlag. 1984. 544 Seiten, öS 348.-.

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