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Brüderliche Harmonie

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Vierzehn Jahre nach dem letzten offiziellen Besuch eines österreichischen Regierungschefs führte Bundeskanzler Fred Sino-watz am 8. und 9. März Gespräche in der Schweiz, deren Hauptmerkmal eine derart herzliche Atmosphäre war, wie sie Diplomaten und Journalisten selten zuvor erlebt haben wollen. Die offenkundige Politik der guten Nachbarschaft soll durch noch engere Kooperation intensiviert werden. Viel Wert wurde — vor allem von österreichischer Seite — auch darauf gelegt, daß man sich im menschlichen und kulturellen Bereich besser kennenlernt.

Schon vor dem Besuch war klar: Zwischen Österreich und der Schweiz gibt es derzeit keinerlei schwerwiegende Probleme — allenfalls natürliche Reibungsverluste zwischen Nachbarn. Entsprechend locker waren die Gespräche, die Sinowatz und seine Begleitung (Unterrichtsminister Helmut Zilk und Erich Schmidt, Staatssekretär des Handelsministeriums) mit dem schweizerischen Bundespräsidenten Leon Schlumpf und seinen Regierungskollegen führten.

Sinowatz betonte immer wieder, daß der Pflege gutnachbarlicher Beziehungen gerade in einer Zeit wie heute, in der das internationale Klima durch viele Spannungen belastet ist, besondere Bedeutung zukomme, weü sie „praktische Friedenspolitik nach außen dokumentiert".

Hervorstechendstes Merkmal der Gespräche war denn auch der gemeinsame abschließende Appell an Iran und Irak zur Einhaltung der Genfer Konventionen im Golfkrieg; als offizielle Erklärung zweier Regierungen und nicht eines internationalen Gremiums eine ungewöhnliche Form.

Die ausführlichste Diskussion führten die Gesprächspartner im Hinblick auf das „Jumbo-Tref-fen" der EG- und Efta-Minister in Luxemburg vom 9. April über die Situation der Efta-Staaten gegenüber den EG-Ländern, wobei auch Besorgnis über den wachsenden Protektionismus in vielen Ländern geäußert wurde.

Beide Seiten betonten, über weltpolitische Fragen gebe es viele gemeinsame Vorstellungen. Das zeige sich auch in dem Papier, das die neutralen und nichtgebundenen Staaten an der Stockholmer KVAE-Konferenz vorgelegt hätten.

Im bilateralen Bereich kamen die Gesprächspartner überein, daß die Rahmenbedingungen beider Länder so zu gestalten seien, daß das Handelsvolumen namentlich auch auf den wissenschaftlich-technischen Bereich ausgeweitet werden kann. Dabei gehen die Wünsche Österreichs vor allem auf einen Ausbau des Handelsaustausches bei Agrar-produkten sowie bei militärtechnischen Waren.

Mit Genugtuung stellten die Österreicher fest, daß das Angebot zur Lieferung eines neuen geländegängigen Armeefahrzeuges Puch G 230 in der Schweiz in der engeren Wahl steht.

Sinowatz betonte mehrmals, die gegenseitigen Beziehungen sollten nicht nur auf kommerzieller Ebene spielen (auf die Bevölkrungszahl umgerechnet ist die Schweiz derzeit der größte Abnehmer österreichischer Produkte und absolut gerechnet der größte ausländische Investor in der Nachbarrepublik), sondern auch im menschlichen und kulturellen Bereich. Denn es sei „eigenartig", daß so viele Menschen in den beiden Ländern so wenig über das andere Land wüßten.

Unterrichtsminister Zilk legte einen konkreten Vorschlag auf den Tisch, der von den Schweizern positiv aufgenommen wurde. So soll der Austausch von Lehrern, Jugendlichen und Kulturschaffenden zu einem besseren gegenseitigen Verständnis beitragen. Auch die Zusammenarbeit im Radio- und Fernsehbereich soll über die gemeinsame Nutzung des ECS-Satelliten noch verstärkt werden.

So ist Sinowatz (mehrfach als „kühler Pragmatiker und undogmatischer Sozialist" bezeichnet) mit der Uberzeugung nach Wien zurückgekehrt, daß seine dritte offizielle Auslandsreise nach Ungarn und Jugoslawien „wertvoll" gewesen sei. Und in der Schweiz wird betont, daß das schöne Bild brüderlicher Harmonie zwischen den beiden Nachbarn mehr ist als diplomatische Fassadenmalerei. Auf die „alles andere als nebensächliche Frucht" der Initiative der Österreicher für ein vermehrtes gegenseitiges Verständnis und Sichkennenlernen eingehend, betonte ein helvetischer Journalist: „Hoffentlich fällt auch der Schweiz etwas ein, wie man offizielle und inoffizielle Bindungen deckungsgleicher machen kann. Im Sinne wirklicher Annäherung."

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