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Brüssel bleibt Etappenziel für die Industrie

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Die beiden offiziellen Besuche des Bundeskanzlers und Vizekanzlers beziehungsweise Außenministers der Republik in Moskau haben das Thema EG und Österreich wieder einmal in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. In der „Nacharbeit“ da und dort geäußerte neutralitätspolitische Vorbehalte sowie eine spürbar uneinheitliche

Linie einzelner EG-Länder gegenüber der vorläufig noch innerösterreichischen integrationspolitischen Diskussion führen derzeit manchmal dazu, daß man an die Adresse der Industrie den „Appell“ richtet, in der Befürwortung einer Vollmitgliedschaft unseres Landes bei den Europäischen Gemeinschaften um einige Gänge „zurückzuschalten“. Geht der heimischen EG-Debatte die Luft aus? Keineswegs, aber es liegt noch ein weiter Weg vor uns.

Die industriellen Interessenvertretungen können angesichts der eindeutigen Faktenlage nicht anders, als im gegenwärtigen Diskussionsprozeß neuerlich auf die langfristigen ökonomischen Folgen einer drohenden Ausgrenzung Österreichs aus dem wirtschaftlichen Integrationsprozeß der europäischen Industriestaaten hinweisen. Für die Industrie gibt es zu Brüssel keine Alternative.

Wenn wir uns nicht ernsthaft mit der Frage unserer Teilnahme an der EG-Dynamik auseinandersetzen, dann droht dem Lande — vorerst wirtschaftlich gesehen -ein Abgleiten in das ökonomische beziehungsweise integrationspolitische Niemandsland.

Dazu ein offenes Wort: Die Sicherung der Teilnahme am Prozeß der europäischen Integration, vor allem aber die Teilnahme am im Entstehen begriffenen EG-Binnenmarkt, ist nur im Wege eines EG-Beitrittes zu erreichen. Die Entwicklung des Außenhandels zwischen Österreich und der Zwölfergemeinschaft läßt die für die österreichische Wirtschaft lebenswichtige Bedeutung dieses Marktes ebenso erkennen wie die Konkurrenzfähigkeit der heimisehen Unternehmen, bei gleichen Bedingungen (!). Ein Blick auf die Fakten nützt: Der Export unseres Landes in die sechs Gründungsstaaten der EWG ist von 1972 bis 1986 um 408 Prozent gestiegen, während der österreichische Gesamtexport in diesem Zeitraum nur eine Steigerungsrate von 282 Prozent verzeichnen konnte. Die Importsteigerung aus der EG im gleichen Zeitraum war mit 262,5 Prozent hingegen wesentlich geringer und lag näher bei der Gesamtsteigerung der Ausfuhren von 238 Prozent.

Der Anteil der österreichischen Exporte in die zwölf EG-Länder am heimischen Gesamtexport ist seit 1972 von 51,4 Prozent auf 63,4 Prozent im Vorjahr gestiegen. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres gab es in unserer EG-Ausfuhr eine Wachstumsrate von beachtlichen 11,1 Prozent. Zwischen 1973 und 1986 ist der österreichische Marktanteil in der EG von 1,2 Prozent auf 1,8 Prozent gestiegen, der Marktanteil der EG in Österreich von 65,8 auf 66,9 Prozent.

Was viele nicht wissen: Der Warenaustausch zwischen Österreich und der Zwölfergemeinschaft ist in diesem Zeitraum - stärker gewachsen als der Inner-EG-Handel. Die Wachstumsrate der österreichischen Ausfuhren in die EG lag durchschnittlich um 0,5 Prozent höher als der entsprechende Wert im EG-IntraHandel.

In einem völlig anderen Licht stellt sich dagegen der Agraraußenhandel mit der EG dar. Hier ist als Folge des in der EG herrschenden Agrarprotektio-nismus eine permanente Verschlechterung festzustellen. Mehr als die Hälfte der österreichischen landwirtschaftlichen Exporte entfällt auf die EG. Da der sogenannte Agrarbriefwechsel weder in der Vergangenheit zufriedenstellende Abhilfe bieten konnte, noch Aussichten auf eine Verbesserung der österreichischen Agrarposition auf den EG-Märkten bietet, drängt nunmehr auch die österreichische Landwirtschaft mit Vehemenz in die EG.

Manche meinen, angesichts der dargelegten Zahlen, Österreich habe gegenüber der EG bereits einen derart hohen Integrationsstand erreicht, daß sich eine Vollmitgliedschaft „erübrige“. So zu argumentieren wäre Basis für ein elementares Mißverständnis. Die österreichischen Unternehmen sind, solange ihnen gleich-, artige Rahmenbedingungen gesichert bleiben, im westeuropäischen Markt durchaus konkurrenzfähig. Es muß aber ständig auf die Notwendigkeit der „Waffengleichheit“ mit den in der EG ansässigen Unternehmen hingewiesen werden. So erklärt sich aus der industriellen Sicht der defensive Aspekt der Zielsetzung „volle Teilnahme am Binnenmarkt“. Es besteht die akute Gefahr einer neuen Diskriminierung von Drittstaaten, die als logische Begleiterscheinung der Verdichtung der EG-internen Integration auftritt. Diese Gefahr wollen wir rechtzeitig bannen.

Der Schritt in die EG hat aber auch einen — vielleicht noch wichtigeren — offensiven Aspekt: Die Teilnahme am Binnenmarkt eröffnet viele ungeahnte Chancen für ein wettbewerbsbereites Österreich in Forschung, Produktion und Absatz. Die beiden Autoren Stankovsky und Breuss gliedern in ihrer zu Recht vielgelesenen Studie „Österreich und der EG-Binnenmarkt“ die zu erwartenden Vorteile in mehrere Kategorien. Es sind dynamische Inte-

,,lm Jahr 2000 würden die Exporte um 15 Prozent höher ausfallen“ grationseffekte des Beitrittes, und zwar nur bei voller Teilnahme am Binnenmarkt, zu erwarten. Bei anderen Integrationsvarianten wäre der Ausschöpfungsgrad solcher Effekte bedeutend geringer.

Abbau von Produktivitätsunterschieden gegenüber EG-Ländern bringt naturgemäß Wohlstandsgewinn für Produzenten und Konsumenten. Die Experten schätzen diesen Wohlfahrtsgewinn im Produktionsbereich auf 4,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Dieser ergebe sich aus der Nutzung der Vorteile der Massenproduktion, aus notwendigen Umstrukturierungsmaß-1 nahmen, aus dem Wegfall von Eintrittsbarrieren für österreichische Exporte in dieses wohl wichtigste ökonomische Staatengebilde der westlichen Welt, aus der erhöhten Investitionstätigkeit und vielen anderen Faktoren.

Der Abbau von Preisniveauunterschieden gegenüber EG-Ländern bringt, so die Analytiker aus dem Bereich der Wirtschaftsforschung, auch einen Wohlfahrtsgewinn für Konsumenten in der Höhe von geschätzten 5,5 Prozent des Brutto-Inlandsproduktes. Diese konsumentenpolitische Verbesserung ergebe sich primär daraus, daß bisher geschützte Sektoren dem Wettbewerb ausgesetzt werden, daß sich zusätzliche Vorteile aus der größeren Angebotsvielfalt bei Waren und Dienstleistungen ergeben, und daß die österreichischen Exporteure Verbilli-gungseffekte aus der Preisreduktion für Vorprodukte lukrieren könnten.

Die Prognose für den Export im Jahre 2000 fällt für Österreich im Falle der EG-Mitgliedschaft um

„Abschwächung der posi- • tiven Aspekte durch verstärkte Importe“

15 Prozent höher aus als bei Beibehaltung der Außenseiterrolle. Allerdings ist — und das sollte nicht verschwiegen werden — eine Abschwächung des positiven Effektes durch einen gleichzeitigen Importanstieg zu erwarten.

Zusammenfassend ergibt sich: Die wirtschaftlichen Hauptvorteile eines EG-Beitritts werden in der Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen durch die Gleichstellung im EG-Konkurrenten, im Zwang zum Aufbruch und zur Verbesserung verkrusteter beziehungsweise versteinerter Strukturen und in der vollen Ausschöpfung der Vorteile der Binnenmarktdynamik liegen. Die Faktenlage ist da eindeutig.

Der Autor ist Präsident der Vereinigung Österreichischer Industrieller.

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